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Bezahlkarte für Geflüchtete: Pauschale Bargeldobergrenze laut Gericht rechtswidrig
Eine Festlegung ohne individuelle Bedarfsprüfung sei nicht zulässig, entschied das Hamburger Sozialgericht. Die 50-Euro-Obergrenze der Ministerpräsidenten könnte damit vor dem Aus stehen.
Stand:
Das Sozialgericht Hamburg hat im Eilverfahren einer geflüchteten Familie recht gegeben, die gegen die pauschale Bargeldobergrenze von 50 Euro geklagt hatte.
Darüber informierten am Mittwoch Pro Asyl und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die klagende Familie unterstützen.
Das Gericht erklärte in seinem Beschluss, eine pauschale Festsetzung des Bargeldbetrages auf 50 Euro sei ohne jegliche Einzelfallbetrachtung und Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Betroffenen rechtswidrig.
Enormer Aufwand für die Verwaltung
Es dränge sich die Frage auf, wie „die Leistungsverwaltung mit einer starren Obergrenze individuellen Bedürfnissen und Umständen vor Ort“ gerecht werden könne, schreibt das Gericht auch unter Verweis auf den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz aus dem Juni, wonach Geflüchtete maximal 50 Euro Bargeld abheben können sollen.
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Um dem Ziel gerecht zu werden, den individuellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, werde es „verschiedene Wege“ geben, schrieb das Gericht. Es sei „nicht berufen, einen bestimmten Weg vorzugeben“.
Durch die Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg könnte die von den Ministerpräsidenten der Länder gewünschte flächendeckende Einführung einer Bezahlkarte mit einer vorab definierten Bargeldobergrenze vor dem Aus stehen.
Eine individuelle Bedarfsprüfung wiederum dürfte einen enormen Aufwand für die Verwaltung bedeuten – genau das Gegenteil von dem, was sich die Ministerpräsidenten von der Einführung der Bezahlkarte erhoffen.
Im vorliegenden Fall hatten eine schwangere Geflüchtete und ihr Mann argumentiert, dass ihnen Mittel für den persönlichen Bedarf sowie weitere Leistungen aufgrund des Mehrbedarfs durch die Schwangerschaft in Form von Bargeld oder einer Überweisung auf ein reguläres Bankkonto zustehe.
In Hamburg wird seit Februar 2024 eine Bezahlkarte in Form der Hamburger SocialCard an Geflüchtete ausgegeben.
Bislang konnten die betreffende Familie monatlich 110 Euro abheben – 50 Euro pro erwachsener Person, zehn Euro zusätzlich für das Kind. Das Gericht sprach der Familie nun knapp 270 Euro Bargeld zu.
In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten Hamburgs Innenbehörde und Sozialbehörde auf Anfrage: „Die Entscheidung des Sozialgerichts stellt die Rechtmäßigkeit und das System der Hamburger Bezahlkarte (SocialCard) nicht infrage.“
Auch eine feste Bargeldobergrenze halte das Gericht nicht per se für rechtswidrig. „Am bisherigen Modell in Hamburg ändert sich mit der Entscheidung daher nach jetzigem Kenntnisstand grundsätzlich nichts. Geprüft wird nun, ob gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde erhoben wird.“
Gegner der Obergrenze sehen sich bestätigt
Anders lautet die Einschätzung von Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD): Der Beschluss sei „richtungsweisend“ für die Festlegung der Bargeldhöhe bei der Bezahlkarte und werde bundesweite Auswirkungen haben, sagte sie dem Tagesspiegel. „Ich freue mich über diesen Beschluss für die geflüchtete Familie.“
Regelungen, die die Grundrechte von Betroffenen verletzen, nur um migrationspolitische Ziele zu steuern, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD)
Sie ergänzte: „Regelungen, die die Grundrechte von Betroffenen verletzen, nur um migrationspolitische Ziele zu steuern, sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.“ Die vom Gericht „berechtigterweise“ geforderte Einzelfallprüfung stelle die Verwaltung vor eine fast unlösbare Herausforderung, gab Kiziltepe zu bedenken.
Auch Andreas Audretsch, stellvertretener Fraktionsvorsitzender der Grünen-Fraktionen im Bundestag, äußerte sich ähnlich: „Das Gericht bestätigt die Einschätzung von uns Grünen vollumfänglich“, sagte er.
Ein Kind müsse in der Pause ein Brötchen kaufen können, auch wenn es am Schulkiosk kein Kartenlesegerät gebe. Eine schwangere Frau müsse nötige Kleidung kaufen können, auch wenn im Laden kein entsprechendes Kartenlesegerät zur Verfügung steht. „Eine pauschale Bargeldobergrenze von 50 Euro verstößt gegen Grundrechte“, sagte er.
Kommunen seien verpflichtet, das Existenzminimum und die Teilhabe von Menschen zu garantieren. „Genau das haben wir mit der gesetzlichen Regelung festgeschrieben, die wir im Mai im Bundestag verabschiedet haben, genau das hat das Gericht nun untermauert“, sagte er.
Was zähle, sei die Sicherstellung des Existenzminimums. Als Positivbeispiel, wie man eine Bezahlkarte aus seiner Sicht sinnvoll einsetzen könne, verwies er auf Hannover.
Hakan Demir, Migrationsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: „Es ist eine Stärke unseres Sozialstaats, dass sich Leistungen an den tatsächlichen Bedarfen orientieren müssen.“
Gerade arme Familien seien oft auf Second-Hand-Kleidung oder Lebensmittel vom Markt angewiesen. Wo Bargeldbeschränkungen der Bezahlkarte dies unterbinden, gefährdeten sie das Existenzminimum.
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