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Abdelhamid Dabeiba wurde überraschend Regierungschef. Jetzt gibt es Hinweise auf sein Erfolgsgeheimnis: Bestechung

© imago images/Xinhua

Bis zu 500.000 Dollar Schmiergeld: Mit gekauften Stimmen zur Macht in Libyen

In Libyen sollen bei der Wahl einer Übergangsregierung große Summen geflossen sein. Verschließen die Vereinten Nationen die Augen vor dem Skandal?

Als der milliardenschwere Unternehmer Abdelhamid Dabeiba vor einem Monat zum Chef der neuen Übergangsregierung in Libyen gewählt wurde, überraschte sein Sieg viele Beobachter.

Dabeiba setzte sich bei der Wahl in einem von den UN ausgesuchten Gremium gegen prominente und politisch erfahrene Konkurrenten durch, die noch dazu von einflussreichen Staaten wie Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt wurden.

Die UN sprachen damals von einem „historischen Moment“ für das Bürgerkriegsland. Jetzt stellt sich heraus, dass die Wahl wohl doch keine Sternstunde der Demokratie war. Dabeiba wird vorgeworfen, Wählerstimmen gekauft zu haben. Kurz nach Bildung der Übergangsregierung steht der Friedensprozess für Libyen schon wieder auf der Kippe.

UN-Experten kommen laut der Nachrichtenagentur AFP zu dem Schluss, dass Delegierte bei der Wahl mit bis zu einer halben Million Dollar pro Kopf geschmiert wurden. Ein Delegierter des 75-köpfigen Wahlgremiums habe sich darüber beschwert, dass er nur 200.000 Dollar erhalten habe, während ein Kollege 500.000 Dollar einstrich.

Der Beschuldigte weist die Vorwürfe zurück

Auch die Londoner „Times“ berichtete unter Berufung auf Diplomaten, der Bericht liste hohe Bestechungsgelder zugunsten von Dabeiba auf. Die UN lehnen eine Stellungnahme zu dem Bericht ab, der am 15. März dem Sicherheitsrat vorgelegt werden soll. Dabeiba weist alle Vorwürfe zurück.

Nach dem Zeitplan der Vereinten Nationen soll das libysche Parlament die neue Regierung am kommenden Montag in einer Vertrauensabstimmung bestätigen. Parlamentspräsident Agila Saleh, einer der unterlegenen Rivalen von Dbeiba bei der Wahl, sagte der „Times“ jedoch, er wolle die Sitzung verschieben.

Libyen ist ein Land voller Waffen. Verschiedene Clans, Milizen und Warlords kämpfen um Macht und Einfluss.
Libyen ist ein Land voller Waffen. Verschiedene Clans, Milizen und Warlords kämpfen um Macht und Einfluss.

© Ayman al Sahili

Im Dezember soll es freie Wahlen geben

Dabeibas Regierung soll bis Dezember freie Wahlen vorbereiten. Auch ohne Glaubwürdigkeitskrise durch den Bestechungsskandal wäre das eine Herkulesaufgabe in einem Land, in dem seit zehn Jahren Krieg und Anarchie herrschen.

Seit Herbst ist zwar ein Waffenstillstand in Kraft, doch nach wie vor haben ausländische Akteure sowie die vielen tausend Milizionäre und die 20.000 ausländischen Söldner mehr Macht als die Regierung, die über keine eigenen Streitkräfte verfügt.

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Zehn Jahre nach dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi ist das Land zwischen der von den UN eingesetzten Regierung in der Hauptstadt Tripolis und dem Machtbereich des Parlaments und einer Gegenregierung im ostlibyschen Tobruk geteilt. Ausländische Staaten wie die Türkei, Katar, Russland, Ägypten und die VAE ignorieren bisher jedoch alle Appelle der Weltorganisation, sich aus Libyen zurückzuziehen.

Schon vor Bekanntwerden der Bestechungsvorwürfe hatte sich der 61-jährige Dabeiba bei vielen Libyern unbeliebt gemacht. So hat er wenige Tage vor der geplanten Parlamentssitzung noch keine Kabinettsliste vorgelegt; auch will er sich laut der britischen Zeitung „Guardian“ nicht an die vorgesehene 30-prozentige Frauenquote bei der Vergabe von Ministerposten halten.

Nach Schätzungen der UN warten in Libyen mehr als 570.000 Migranten auf eine Überfahrt nach Europa.
Nach Schätzungen der UN warten in Libyen mehr als 570.000 Migranten auf eine Überfahrt nach Europa.

© Ayman al Sahili/Reuters

Ein Mann von Ankaras Gnaden?

Als er sein erstes Interview nach seiner Wahl der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu gab, verstärkte Dabeiba zudem den Verdacht, ein Mann von Ankaras Gnaden zu sein. Die Türkei wetteifert in Libyen mit Russland, Ägypten und den VAE um Einfluss.

Sollte das Parlament nicht über die Übergangsregierung abstimmen, sehen die Pläne der UN vor, dass die Mitglieder des Wahlausschusses die Regierung bestätigen – genau jene Delegierten, die jetzt durch die Bestechungsvorwürfe ins Zwielicht geraten sind.

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die UN und die im Libyen-Konflikt engagierten Staaten den gesamten Prozess wegen der Schmiergeldaffäre stoppen. „Es ist ein hässliches Baby, aber es ist unseres“, zitierte der Journalist Samer al Atrusch in einem Blogeintrag einen ausländischen Regierungsvertreter. Dabeiba kann also darauf hoffen, am Ende als Ministerpräsident bestätigt zu werden.

Schleuserbanden nutzen die Dauerkrise als Chance: Allein am vergangenen Wochenende rettete die deutsche Hilfsorganisation Sea Watch mehr als 360 Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.

In Libyen warten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 570.000 Menschen darauf, nach Europa zu kommen. Seit Jahresanfang sind 185 Menschen auf der Überfahrt ertrunken – das sind drei Todesopfer pro Tag.

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