Politik: Blockfreie Zone
Im Bundesrat hat kein Lager eine Mehrheit. Das macht die Suche nach Kompromissen interessanter
Berlin - Sie rückt mehr in den Mittelpunkt der Bundespolitik, die Länderkammer. Das Vermittlungsverfahren zu Hartz IV hat gezeigt, dass seit dem vorigen Sommer wieder ein Gegensatz besteht zwischen den beiden Kammern auf Bundesebene. Doch hat weder Schwarz- Gelb im Bundesrat eine Mehrheit hinter sich noch die Opposition. Union und FDP können nach der Hamburg-Wahl mit 31 Länderstimmen rechnen, SPD, Grüne und Linke verfügen über 24 Stimmen. Dazwischen steht mit 14 Stimmen ein „neutrales Lager“: zweimal Schwarz-Rot, einmal Rot-Schwarz, einmal Jamaika (und bisweilen gesellen sich auch die beiden rot- roten Koalitionen dazu). Zustimmungsgesetze haben somit keine Zustimmungsmehrheit, aber auch für Einsprüche gegen Bundesgesetze fehlen in der Regel die nötigen 35 Stimmen. Das neutrale Lager enthält sich meist, die Koalitionsverträge sehen das so vor. Wird der Bundesrat, die mehrheitsfreie Zone an der Leipziger Straße, damit unberechenbar?
Die unentschiedene Situation könnte durchaus von längerer Dauer sein. Schwarz-Gelb kann nach derzeitiger Lage die eigene Bundesratsmehrheit bis zur Bundestagswahl 2013 nicht mehr zurückgewinnen. Eher kommt es zu einer echten Gegenmehrheit des Oppositionslagers und damit zu mehr Einsprüchen, die aber im Bundestag überstimmt werden können. Übrigens hätte eine rot-grüne Regierung im Bund von 2013 an zunächst auch keine eigene Mehrheit. Die Linke wäre über die Länderkammer mit im Boot. Und wie lange eine Dreierkoalition von SPD, Grünen und Linken, so sie denn käme, eine Bundesratsmehrheit hinter sich hätte, steht in den Sternen.
Die Ursache für diese Situation ist klar: Es ist das Fünfparteiensystem, in der Hamburg-Wahl trotz des SPD-Triumphs bestätigt, das die Verhältnisse in der deutschen Politik nachhaltig verändert. Verstärkt wird das durch die asymmetrische Verteilung der Stärke dieser fünf Parteien quer über die Bundesrepublik. Die Koalitionsvielfalt in den Ländern wächst, und damit auch die Unübersichtlichkeit im Bundesrat. Was aber tun, wenn gleichgerichtete Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat noch seltener werden als früher und es immer mehr Vermittlungsverfahren bei Bundesgesetzen gibt? Mal wieder die Verfassung ändern? Den Bundesrat entmachten? Oder aber die Landesebene aufwerten? Die Abstimmungsregeln in der Länderkammer so ändern, dass das „neutrale“ Lager außen vor bleibt? Oder die Enthaltungsklausel in den Koalitionsverträgen verbieten? All diese Forderungen gibt es. Aber es sind Illusionen.
Die Politik-Professorin Julia von Blumenthal von der Humboldt-Universität hat eine viel einfachere Antwort: „Die Parteien müssen umlernen.“ Die „Blocksituation“ der 70er und zum Teil auch der 90er Jahre sei vorüber, konstatiert auch der Jenaer Politikwissenschaftler Sven Leunig. Blumenthal sagt, die Parteien müssten akzeptieren, dass es häufiger wechselnde Konstellationen geben wird. Was bedeutet, dass die Parteiführungen letztlich flexibler agieren müssen. „Es müssen neue Verhandlungswege und -strategien gefunden werden“, glaubt Blumenthal, auch neue informelle Verfahren, um letztlich zu Mehrheiten zu kommen.
Der Vorstoß der drei Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), Wolfgang Böhmer (CDU) und Horst Seehofer (CSU), durch eine Kompromisslösung bei Hartz IV die von den Parteiführungen auf Sand gesetzten Verhandlungen zum Erfolg zu führen, könnte ein Beispiel dafür sein. Da die Mehrheit für ein Bundesgesetz bei den aktuellen Verhältnissen in der Länderkammer gefunden werden muss, ist es nicht unlogisch, dass die Kompromisssuche sich künftig stärker dorthin verlagert. Leunig hält es daher für möglich, dass aus der gewachsenen Parteien- und Koalitionspluralität eine Stärkung des Bundesrats und der Länder folgt. Landesinteressen würden gegenüber reinen Parteiinteressen wieder höher gewichtet. Zwar wird die Bundesregierung die Möglichkeiten der Föderalismusreform 2006 nutzen, was zu weniger Zustimmungsgesetzen führen kann. Aber ganz kommt sie am Bundesrat nicht vorbei. Zumal dann nicht, wenn Aufgaben, die wie etwa die Betreuung von Langzeitarbeitslosen ursprünglich Sache von Ländern und Kommunen waren , vom Bund an sich gezogen wurden. So ist die Logik des Grundgesetzes: Was von den Ländern zum Bund wandert, erweitert die Mitwirkungsrechte des Bundesrats.