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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird von Pham Minh Chinh (l), Premierminister der Sozialistischen Republik Vietnam, mit militärischen Ehren empfangen. Vietnam ist der erste Stop des Bundeskanzlers auf dem Weg zum G20-Gipfel.

© dpa/Kay Nietfeld

Mehr Unabhängigkeit von China: Der Kanzler in Vietnam – Werben um neue Handelspartner

Vor dem G-20-Gipfel auf Bali fliegt Olaf Scholz nach Hanoi. Es geht darum, wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren.

Dem Bruderkuss kann Olaf Scholz knapp entgehen. Erst umfasst der vietnamesische Premier Pham Minh Chinh die Schultern des Kanzlers zur linken, setzt zu einem angedeuteten Wagenkuss an, Scholz weicht etwas aus, dann noch eine Umarmung rechts, dann nochmal nach links.

Scholz versucht den Gastgeber danach lieber rhetorisch zu umarmen, dankt für die Maskenlieferungen in der Corona-Pandemie und den warmen Empfang. Für den Kanzler wird einiges aufgefahren, das Militär marschiert auf, ein Musik-Corps, Schulkinder winken mit Deutschland- und Vietnamfahnen.

Angela Merkel war zuletzt 2011 hier, dass Scholz nun zum Auftakt seiner bisher längsten Auslandsreise in Hanoi weilt, ist auch ein bewusstes Zeichen. Die Reise, die ihn danach nach Singapur und zum G20-Gipfel auf Bali führt, steht unter dem Motto, Alternativen zu China stärken, Wladimir Putin schwächen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird von Pham Minh Chinh (l), Premierminister der Sozialistischen Republik Vietnam, mit militärischen Ehren empfangen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird von Pham Minh Chinh (l), Premierminister der Sozialistischen Republik Vietnam, mit militärischen Ehren empfangen.

© dpa/Kay Nietfeld

Scholz selbst war in seiner Jugend Marxist, gehörte als Juso dem Stamokap-Flügel an, der sich für die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus einsetzte. Als Scholz am langen Tisch sitzt, zu Vietnams Premier und seinen Ministern spricht, thront über der Szenerie eine große goldene Büste des kommunistischen Freiheitskämpfers Ho Chi Minh, der sich dem Marxismus-Leninismus verschrieben hatte.

Aber nicht nur Scholz hat sich gewandelt, er will engere Wirtschaftsbeziehungen mit dem asiatischen Land, auch um Alternativen zum Handel mit China auszubauen. Und betont, dass 180 .000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln in Deutschland lebten.

Es geht etwa um den Ausbau von Metro-Verbindungen in Vietnam und für Deutschland um mehr Zugriff auf Rohstoffe. Deutschland ist in der EU mit einem Handelsvolumen von rund 14 Milliarden Euro der wichtigste Handelspartner für Vietnam, während Vietnam für Deutschland der DIHK zufolge auf Rang 33 der wichtigsten Handelspartner rangiert.

Vietnam als wichtiger Handelspartner

Die wichtigsten Importgüter aus Vietnam sind Elektro-Produkte, Schuhe und Bekleidung, Exportgüter nach Vietnam sind Maschinen, Luft- und Kraftfahrzeuge und pharmazeutische Produkte. Vietnam gewinnt nun stark an Bedeutung, weil die Abhängigkeit von China reduziert und Lieferketten auf ein breiteres Fundament gestellt werden sollen.

Hier wollen beide Seiten eine Stärkung, bei dem anderen großen Thema der Reise ist Scholz aber kein Erfolg vergönnt. In dem Pressestatement mit Premier Pham Minh Chinh fordert er, sich eindeutig gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu stellen.

Er wünsche sich eine „klare Positionierung“ der Regierung in Hanoi in dieser Frage. Es handele sich bei dem russischen Angriffskrieg um einen Bruch des Völkerrechts mit gefährlicher Präzedenzwirkung.

Ich war ja schon mal vor 20 Jahren hier

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Kleine Länder könnten nicht mehr sicher sein vor dem Verhalten ihrer größeren, mächtigeren Nachbarn. Er sagt das auch mit Blick auf China, das im Südchinesischen Meer mit Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinen um Inseln und Meeresgebiete streitet. „Auch in der Region des Indopazifiks muss die Stärke des Rechts gelten, nicht das Recht des Stärkeren“, betont Scholz.

Auch ist illegale Fischerei chinesischer Schiffe ein großes Problem. Vietnam hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bisher nicht verurteilt, sondern sich in Abstimmungen dazu in der UN-Generalversammlung wie auch China und Indien enthalten. Russland ist der wichtigste Waffenlieferant Vietnams.

Beide Länder kooperieren auch bei der Erschließung von Gas- und Ölfeldern vor der Küste.

Keine Reaktion auf Scholz’ Mahnung zu Menschenrechten

Der Premier antwortet auf Scholz klare Mahnung nicht, ebenso nicht zu seinem Appell, die Menschenrechte zu achten und mehr Freiheit zuzulassen. Denn Fragen sind nicht erlaubt, darauf hat die vietnamesische Seite bestanden.

Später am Abend erfährt Scholz dann einen Menschenauflauf und Zuneigung, die in der Heimat eher selten sind in diesen schwierigen, polarisierten Zeiten. Er läuft durch Hanoi, wo ein wuseliges Treiben herrscht. „Ich war ja schon mal vor 20 Jahren hier“, sagt Scholz, damals privat mit seiner Frau. „Da war das auch schon so lebendig.“

Auch der vietnamesische Premier nimmt an seinem Spaziergang teil, die Security kommt ins Schwitzen. Plötzlich rufen mehrere Frauen: „Herr Scholz, Herr Scholz.“ Die Damen sind aus Wuppertal.

„Was geschieht mit mir, da bin ich in Hanoi und treffe den Bundeskanzler hier“, sagt eine Frau. Scholz geht zu ihnen hin, grinst, es ist einer der angenehmeren Momente für einen Kanzler, der fast von Tag eins an mit Krisen zu tun hat, wie sie noch nie eine neue Regierung hatte.

Am Montag geht es weiter nach Singapur

Eine Zeitenwende soll auch in der Außen- und Wirtschaftspolitik her, in diesem Sinne ist auch seine Weiterreise nach Singapur an diesem Montag zu verstehen. Dort nimmt er zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft teil, als erster Kanzler.

„Wir brauchen andere Länder, andere Partner“, mahnt der bereits in Singapur eingetroffene Habeck – und fordert zügige Gespräche etwa über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien.

Die Welt wartet nicht darauf, dass Europa oder Deutschland in die Hufe kommt“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)

„Die Welt wartet nicht darauf, dass Europa oder Deutschland in die Hufe kommt.“ In wichtigen Bereichen dürfe man sich nicht einseitige Abhängigkeiten von China leisten. Bei Halbleitern etwa gebe es sowohl in Singapur als auch in Deutschland Produktionskapazitäten.

Das bedeutet aber nicht, dass Scholz und Habeck eine wirtschaftliche Abkopplung von China wollen, sondern eben ein breiteres Fundament, um aus den Fehlern mit Russland zu lernen.

Scholz knüpft mit seiner Singapur-Reise auch an die Ansätze seines Vorbilds Helmut Schmidt an, der schon in den 1970er Jahren enge Verbindungen zum Staatsgründer und ersten Premier Lee Kuan Yew pflegte.

Der Hafen in Singapur ist nach Shanghai bereits der zweitgrößte der Welt. Scholz ist schon aus seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs ein Freund von Freihandelsabkommen; er kann mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass in der Ampel-Koalition sich hier der Wind dreht.

Ein Neuanlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA steht auf der Agenda, ebenso soll eins zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercosur umgesetzt werden, zudem gibt es bereits die Einigung über das Ceta-Abkommen mit Kanada.

Nach Singapur folgt der schwierigste Teil der Reise, der G20-Gipfel auf Bali. Dass Wladimir Putin nicht kommt, ändert nichts am deutschen Ziel, dass man mehr Staaten als bisher in dem Kreis dazu bewegen will, den Druck auf den russischen Präsidenten zu erhöhen, um einen Ausweg aus dem Krieg in der Ukraine zu finden, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird per Video zugeschaltet werden.

Scholz hat an seinen letzten Gipfel auf Bali gemischte Erinnerungen, im Oktober 2018 war er als Finanzminister bei der IWF-Jahrestagung. Traditionell stand zum Abschluss die Pressekonferenz des Finanzministers mit dem damaligen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann auf dem Programm.

Doch als die rund 20 mitreisenden Journalisten dort zu der Pk eintrudeln, ist gleich zu merken, hier stimmt etwas nicht. Die Reiseleiterin des Ministeriums sagt: „Herr Weidmann hält heute die Pressekonferenz alleine ab.“ Ja und der Minister? „Der ist schon abgereist“, sagt sie. Stirnrunzeln bei den Journalisten.

„Aber wir sind doch mit demselben Flugzeug hier.“ Das war der Regierungs-Airbus „Konrad Adenauer“, der eine Panne hatte. Scholz flog mit einer Linienmaschine. Ob es wegen des Zwischenfalls damals ist? Scholz ist zu seiner Asien-Reise mit dem A340 „Theodor Heuss“ unterwegs und nicht mit der „Konrad Adenauer“.

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