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Prescht wieder vor: Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© Foto: Imago/photothek

„Schwierigste Haushaltsberatungen seit Jahrzehnten“: Lindner will die Schuldenbremse einhalten – kommt er damit durch?

Es geht um viel für Christian Lindner: Der Finanzminister plant, im kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Übersteht sein Etatentwurf für 2023 die nächsten Wochen?

Stand:

Es geht um viel für Christian Lindner in diesem Herbst. Es geht darum, wie sein Etatentwurf für 2023 die nächsten Wochen übersteht – und ob das Kernversprechen des Finanzministers, das Einhalten der Schuldenbremse, in einer der schwierigsten Phasen in der Geschichte der Bundesrepublik zu halten ist.

Die Einbringungsrede im Bundestag am Dienstag musste der FDP-Chef seinem Parlamentarischen Staatssekretär Florian Toncar überlassen – ein Trauerfall in der Familie, der Finanzminister wird erst am Donnerstag im Plenum auftreten.

Toncar machte deutlich, was aus Sicht vor allem der FDP nun gilt: Es sei keine expansive Fiskalpolitik mehr nötig. Mehr öffentliche Investitionen oder Stützungsmaßnahmen, so die Logik, würden nur die Inflation antreiben. Da hat Lindner die Unterstützung der Union. Deren Fraktionsvize Mathias Middelberg sagte, im Kampf gegen die Inflation sei das Einhalten der Schuldenbremse die beste Lösung. Andererseits aber ist damit zu rechnen, dass im Herbst die Wirtschaft schwächelt – bis hin zur Rezession, möglicherweise bis weit ins kommende Jahr hinein. Was dann?

„Rückkehr zur Normalität“ machbar?

Die „schwierigsten Haushaltsberatungen seit Jahrzehnten“ erwartet der Chefhaushälter der Grünen, Sven-Christian Kindler. „Krieg, Inflation, international schwere Verwerfungen, noch immer in der Pandemie, der vierte Hitzesommer in fünf Jahren“ – wird Deutschland also weiterhin in einer Ausnahmesituation sein im kommenden Jahr? Oder ist die „Rückkehr zur Normalität“, die der FDP-Haushälter Otto Fricke beschwor, dann machbar? Immerhin ist das Volumen des Etats mit 445 Milliarden Euro deutlich geringer als das der beiden Pandemiehaushalte nach 2020 und auch des Etats für 2022.

Florian Toncar, Staatssekretär im Finanzministerium, vertritt seinen Chef in der Debatte.

© Foto: Reuters/Annegret Hilse

Vorerst kann die Ampelkoalition die Sache in der Schwebe halten. Ende September aber gibt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Herbstprognose für das Wirtschaftswachstum ab – ein Moment der Wahrheit, an den sich die Steuerschätzung Anfang November knüpft, die wiederum den endgültigen Haushaltsbeschluss einige Wochen später mitbestimmt. Dann wird auch klar sein, ob die bisher angekündigten Entlastungsmaßnahmen tatsächlich ausreichen. Derzeit sprudeln die Steuereinnahmen noch.

Der SPD-Haushälter Dennis Rohde betonte die Notwendigkeit eines „starken Staates“ und versprach, dass der Bund seine „Übergewinne“ aus den inflationsbedingt wachsenden Umsatzsteuereinnahmen an die Bürger zurückgeben werde. Die Länder müssten das aber auch tun - noch eine offene Flanke in diesen Etatberatungen

Wir brauchen jetzt wieder einen starken Staat, der die Bürgerinnen und Bürger nicht alleine lässt.

Dennis Rohde, SPD-Haushaltspolitiker

Der CSU-Abgeordnete Sebastian Brehm wirft der Koalition vor, sie lege mit dem Etat 2023 eine „Mogelpackung“ vor. Ähnlich formulierte es der AfD-Haushälter Peter Boehringer. Der Grund: Tatsächlich ist die Kreditaufnahme im kommenden Jahr etwas unübersichtlich.

Nach den Regeln der Schuldenbremse darf Lindner 9,9 Milliarden Euro neue Schulden machen – bei geringerem Wirtschaftswachstum kann es auch mehr sein. Im Etat stehen darüber hinaus 7,3 Milliarden Euro, mit denen Darlehen an die gesetzliche Krankenversicherung und den Internationalen Währungsfonds finanziert werden. Sie müssen nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.

Neue Schulden außerhalb des Etats

Über Sondervermögen, die nicht im Haushalt ausgewiesen sind, werden aber noch zusätzliche Kredite aufgenommen: 9,3 Milliarden Euro über den Klima- und Transformationsfonds, 8,5 Milliarden für Rüstungsmaßnahmen der Bundeswehr und 2,7 Milliarden im Nebenhaushalt für Digitale Infrastruktur. Dazu kommen 40,5 Milliarden Euro an neuen Krediten, weil Lindner die in den Überschussjahren angesammelte Rücklage (insgesamt 48 Milliarden) weitgehend zur Deckung des Etats verbraucht. Dieses Geld hat das Finanzministerium nach 2014 nicht auf die hohe Kante gelegt, sondern zur Schuldentilgung eingesetzt. Reaktiviert wird es nun über neue Schulden.

Somit addiert sich die tatsächliche Nettokreditaufnahme 2023 auf 78,2 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof schreibt dazu in seinem aktuellen Bericht zur Lage der Bundesfinanzen: „Die Schuldenregel wird zwar auf dem Papier eingehalten und suggeriert so eine auf Begrenzung der Neuverschuldung ausgerichtete Finanzpolitik. Wegen der tatsächlich wesentlich höheren Nettoneuverschuldung wird ihre Wirksamkeit jedoch stark eingeschränkt.“

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