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Wie in Brunsbüttel könnte es auch vor Rügen bald ein LNG-Terminal geben.

© action press/westkuesten-news.de

Mega-LNG-Terminal bei Rügen: Kampf gegen die Stahlkolosse vorm Kreidefelsen

Vor der Insel in der Ostsee könnte das größte Import-Flüssiggas-Terminal der Welt entstehen, samt Pipeline durchs Biosphärenreservat. Lokalpolitiker und Umweltschützer sind entsetzt.

Die Bürgermeister der Ostsee-Insel Rügen sind entsetzt. „Das Vorhaben der Bundesregierung in all seinen Facetten und mit seiner Wucht wird zu einer außergewöhnlichen Zäsur für die Insel Rügen“, schreiben sie in einem Statement, das ihre Sorge ausdrückt. Irreparable Schäden und die Zerstörung des Ökosystems fürchten sie.

Grund für ihre Sorge sind die Pläne von RWE und der Bundesregierung, die fünf Kilometer vor dem Ostseebad Sellin ein weiteres schwimmendes LNG-Terminal errichten wollen. Ab 2024 sollen dort bei voller Ausbaustufe bis zu vier Spezialschiffe zur Regasifizierung des Flüssiggases vertäut werden – jedes rund 150 Meter lang.

Um das Gas ins deutsche Netz einzuspeisen, soll zudem eine 38 Kilometer lange Pipeline durch den Greifswalder Bodden bis nach Lubmin verlegt werden – mitten durch ein Vogelschutzgebiet und Biosphärenreservat.

„Mit Blick auf die Einzelheiten des Vorhabens ergeben sich erhebliche Zweifel, ob Standort, Umfang und Vorhaben als Ganzes verhältnismäßig und gerechtfertigt sind“, klagen die Bürgermeister von Rügen.

Das wäre das größte Import-Terminal der Welt.

Constantin Zerger von der deutschen Umwelthilfe hält das Projekt vor Rügen für völlig überdimensioniert.

Sie fürchten um ihren Ruf als Urlaubsinsel. Fast sieben Millionen Übernachtungen zählt Deutschlands größte Insel jährlich. Schon jetzt komme es zu einem erhöhten Schiffsverkehr für die Versorgung des ersten LNG-Terminals im Hafen von Lubmin.

Deutschland hat neben dem Terminal in Lubmin, welches von privaten Investoren betrieben wird, mit Wilhelmshaven und Brunsbüttel bereits insgesamt drei LNG-Terminals. 20 Milliarden Kubikmeter Gas können die Terminals pro Jahr importieren – knapp ein Viertel des jährliches Gasbedarfs Deutschlands.

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Das Terminal vor Rügen soll die Kapazitäten mehr als verdoppeln. Aus den Antragsunterlagen, die beim Bergbauamt Stralsund vorliegen, geht hervor, dass maximal 38 Milliarden Kubikmeter Gas von dort importiert werden könnten.

„Das wäre das größte Import-Terminal der Welt“, sagt Constantin Zerger von der deutschen Umwelthilfe. Er hält die Pläne vor Rügen für völlig überdimensioniert. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei es nachvollziehbar, dass man im Eiltempo eine alternative Gas-Infrastruktur aufgebaut habe. Doch der Winter habe gezeigt, dass die Versorgung sichergestellt sei. Zudem würden auch andere europäische Staaten ihre LNG-Infrastruktur ausbauen.

Wie viel Gas Deutschland braucht, sagt die Bundesregierung nicht

„Es braucht jetzt eine Denkpause, mindestens bis die Bundesregierung einen Gas-Bedarfsplan vorlegt“, sagt Zerger. Doch genau diese Prognose liegt noch immer nicht öffentlich vor, obwohl der Finanzausschuss des Bundestags diesen bis zum 15. Februar gefordert hatte.

7
Millionen Übernachtungen. Fast so viele kann Rügen für sich pro Jahr verbuchen.

Nun drohen die Parlamentarier damit, Gelder für weitere LNG-Projekte zu blockieren. Doch offenbar gibt es Unstimmigkeiten zwischen dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und dem Kanzleramt von Olaf Scholz (SPD), der höhere Bedarfe sieht.

Offenbar sind sich auch Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung und das Wirtschaftsministerium nicht einig. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums betont auf Anfrage, die Planungen seien noch nicht abgeschlossen. Dass künftig 38 Milliarden Kubikmeter Gas vor Rügen importiert würden, dementiert sie aber.

Bei der Eröffnung des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven freuten sich Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck noch zusammen.
Bei der Eröffnung des ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven freuten sich Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck noch zusammen.

© AFP/Michael Sohn

„Hier liegt ein Missverständnis vor.“ Die Zahl 38 kenne man nur im Kontext der Pipeline-Länge von 38 Kilometern. Sie rechne nur mit fünf Milliarden Kubikmeter pro Spezialschiff.

Im Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, das von SPD-Politiker Reinhard Meyer geführt wird, verteidigt man die Rügen-Pläne dagegen mit Verweis auf die Energieversorgung.

Die bisherigen LNG-Terminals würden nicht ausreichen, heißt es auf Tagesspiegel-Anfrage: „Da eine 100-prozentige Auslastung beispielsweise aufgrund von Wartungen oder wegen Instandhaltung nicht möglich ist, werden Pufferkapazitäten benötigt.“ Der Minister selbst lässt mitteilen: „Es ist ein großer Spagat zwischen Energiesicherheit und touristischer Entwicklung.“

Umweltschützer Zerger sieht den Tourismus durch das Projekt jedoch akut gefährdet. „Die Ostsee steht vor einer beispiellosen Industrialisierung“, sagt er. Er befürchtet, dass die Terminals mit ihrer Lebensdauer von rund 30 Jahren die Klimaziele der Bundesregierung torpedieren. „Die LNG-Infrastruktur fesselt uns an fossile Energieträger.“

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