
© Gestaltung: Tagesspiegel/Dessin/Fotos: dpa/Michael Kappeler, dpa/Kay Nietfeld, freepik,
„CDU droht ihren Wertekompass zu verlieren“: Parteiinterne Gruppe fordert härtere Abgrenzung zur AfD – und Verbotsverfahren
Nach den Debatten um die Brandmauer zur AfD und Merz’ „Stadtbild“-Äußerungen positioniert sich eine neue Plattform innerhalb der CDU gegen den Parteikurs. Was die Initiative „Compass Mitte“ fordert.
Stand:
In der CDU formiert sich Widerstand gegen den Kurs von Parteichef Friedrich Merz. Eine neue Plattform namens „Compass Mitte“ fordert eine klarere Abgrenzung zur AfD, wie die „Zeit“ berichtet.
In ihrer Gründungserklärung, die der Zeitung vorliegt, warnen die Unterzeichner: „Die CDU ist in dem Wissen gegründet worden, dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist.“ Deshalb dürfe es „keinerlei politische Zusammenarbeit der CDU mit der rechtsextremistischen AfD“ geben.
Die CDU droht ihren Wertekompass zu verlieren.
Ruprecht Polenz, früherer CDU-Generalsekretär
Die Initiative geht in ihren Forderungen deutlich über die Position der Parteispitze hinaus. Der Unvereinbarkeitsbeschluss müsse „für alle politischen Ebenen“ gelten, heißt es laut „Zeit“. Zudem fordert die Gruppe: „Die CDU darf deshalb auch keine Anträge stellen, die nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen können.“ Vor der Bundestagswahl hatte Merz als Oppositionsführer im Januar selbst die Unterstützung der AfD für einen CDU-Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik in Kauf genommen.
AfD-Verbotsverfahren als Ziel
Besonders bemerkenswert: Die Plattform spricht sich für ein Verbotsverfahren gegen die AfD aus. „Wir setzen uns dafür ein, dass Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat einen Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit und gegebenenfalls Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht stellen“, zitiert die „Zeit“ aus der Erklärung.
Kanzler Merz hält von einem solchen Verfahren wenig. Die rechtlichen Hürden lägen zu hoch, sagte er vor Kurzem in Berlin. „Ich habe wenig Sympathie dafür, mit einem solchen Instrument zu arbeiten.“ Stattdessen will Merz die Wahlkämpfe im kommenden Jahr auf die Auseinandersetzung mit der AfD als „Hauptgegner“ konzentrieren. Der Kanzler setzt darauf, die AfD inhaltlich zu stellen.
Kommunalpolitiker und Arbeitnehmerflügel als Treiber
Hinter „Compass Mitte“ sollen Vertreter liberaler und sozialer Parteiströmungen stehen. Auf der Liste der gut 30 Erstunterzeichner, die der „Zeit“ vorliegt, finden sich vor allem Kommunalpolitiker und Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU – darunter dessen Vizechefin Monica Wüllner, der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter und der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz.
Polenz sagte der „Zeit“: „Es gibt in der Partei zunehmende Nervosität, weil es mit unseren Zustimmungswerten nicht aufwärts geht.“ Deshalb müsse stärker über den Kurs der Partei debattiert werden. „Die CDU droht ihren Wertekompass zu verlieren, wenn sie sich nur noch als rein konservative Partei versteht.“
Die Unterzeichner kritisieren laut „Zeit“, dass sich unter Merz’ Vorsitz das Spektrum der Partei verengt habe – und die Union deshalb an Zustimmung verliere. „Die 28,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl dürfen uns nicht zufriedenstellen. Es bedarf einer Kurskorrektur, damit die CDU mit 40 Prozent wieder die Ergebnisse einer Volkspartei erreicht“, heißt es in der Erklärung. Der soziale und liberale Teil der Union müsse sichtbarer werden.
Kritik an Merz’ „Stadtbild“-Äußerung
Die Gründung der Plattform erfolgt vor dem Hintergrund anhaltender Debatten über den Umgang mit der AfD und Merz’ umstrittene „Stadtbild“-Äußerung. Der Kanzler hatte am 14. Oktober gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik und mache Fortschritte, „aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“.
Auch aus der eigenen Partei kam Kritik. Der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, forderte einen anderen Stil von Merz. „Natürlich haben wir an vielen Stellen ein verstörendes Stadtbild, aber zu suggerieren, dies würde sich durch Abschiebungen ändern, ist zu kurz gesprungen, erweckt unerfüllbare Erwartungen und wird der Komplexität des Problems nicht gerecht“, sagte Radtke den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vergangene Woche.
„Probleme wie Drogensucht, Obdachlosigkeit oder Mackertum bei Jugendlichen lassen sich nicht abschieben, sondern müssen angepackt werden“, mahnte Radtke. Natürlich müssten illegal eingereiste Migranten abgeschoben werden – aber viele Probleme würden fortbestehen. Er fügte hinzu: „Friedrich Merz ist nicht mehr der launige Kommentator am Spielfeldrand, der einen raushaut, sondern ihm kommt als Kanzler eine besondere Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Debattenkultur und einer positiven Zukunftserzählung zu.“
Ich habe gar nichts zurückzunehmen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)
Merz verteidigte seine Worte. „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, sagte er am vergangenen Montag. „Im Gegenteil, ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran etwas ändern, und der Bundesinnenminister ist dabei, daran etwas zu ändern, und wir werden diese Politik fortsetzen.“
Merkel mahnt zu Maß und Mitte
Indirekt äußerte sich auch die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu der Debatte. Bei einer Lesung in Bonn am Montagabend las sie aus ihrer Autobiografie „Freiheit“ vor und widmete viel Zeit dem Jahr 2015, als fast eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Gerade in der Flüchtlingspolitik müsse man „in der Sache redlich und im Ton maßvoll“ agieren, mahnte Merkel.
„Die übergroße Mehrheit der Menschen hat ein untrügliches Gespür dafür, ob Politiker aus reinem Kalkül handeln, ob sie sich sogar von der AfD gleichsam am Nasenring durch die Manege führen lassen, oder ob sie handeln, weil sie aufrichtig daran interessiert sind, Probleme zu lösen“, las sie aus ihrem Buch vor. Für demokratische Parteien seien „Maß und Mitte“ Basis und Voraussetzung ihres Erfolgs. Das Publikum in der voll besetzten Bonner Oper feierte sie mit Standing Ovations.
Die Debatte um den CDU-Kurs findet vor dem Hintergrund starker AfD-Umfragewerte statt. 2026 werden in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern neue Landtage gewählt. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern kommt die AfD in jüngsten Umfragen an die 40 Prozent heran und ist mit weitem Abstand stärkste Partei. (Tsp mit Agenturen)
- AfD
- Alexander Dobrindt
- Bundesrat
- Bundesregierung
- Bundestagswahl
- Bundesverfassungsgericht
- CDU
- Deutscher Bundestag
- Friedrich Merz
- Jugend
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: