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Lindner und Palmer bei „Maischberger“: Vom Stolz des Autohändlers bis zur Regierungsverantwortung für die AfD
Er sei kein Parteipolitiker mehr, behauptet Christian Lindner – und wehrt sich gegen Spott über seinen neuen Job. Zwischen Palmer und Türmer eskaliert die Debatte. Die TV-Kritik.
Stand:
Lange war Christian Lindner aus der Öffentlichkeit verschwunden, nun taucht er im Talkshow-Studio wieder auf. Bei „Maischberger“ zieht der ehemalige FDP-Chef und Bundesfinanzminister Bilanz – und rückt keinen Millimeter von seinen Positionen ab. Wie sich Lindner schlug und was Maischberger ihm entlocken konnte: Die ARD-Sendung in der TV-Kritik.
Die Gäste
- Christian Lindner, ehemaliger Bundesfinanzminister und FDP-Chef
- Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen (parteilos)
- Philipp Türmer, Juso-Chef
- Markus Preiß: Leiter des ARD-Hauptstadtstudios
- Laura Kipfelsberger: Journalistin
- Ijoma Mangold: Journalist („Die Zeit“)
(K)ein neuer Lindner?
Wer am Mittwochabend „Maischberger“ einschaltet, bekommt nicht nur einen Christian Lindner geboten, sondern gleich zwei. In manchen Situationen wirkt der ehemalige Bundesfinanzminister gelöst, herzlich, er strahlt regelrecht und genießt es, von der Seitenlinie kommentieren zu können. Jahrelang habe er als Liberaler „über die Freiheit der anderen“ gesprochen, sagt Lindner. „Selber war ich aber in einem sehr engen Korsett.“ Das hat er nun abgelegt.
Jetzt kann er es sich leisten, Fragen der Moderatorin mit der Bemerkung vom Tisch zu wischen, er sei „Gott sei Dank kein Parteipolitiker“. Geht es aber um sein Vermächtnis als Parteichef und Finanzminister, kommt der andere Lindner zum Vorschein. Dann schaltet der ehemalige FDP-Chef sofort in den Verteidigungsmodus.
Er sagt dann Sätze wie „Deutschland braucht eine Wirtschaftswende“ oder „Wir haben die Schuldenquote reduziert“. Keinen Millimeter rückt der ehemalige Minister von seinen einstigen Positionen ab. Diese Prinzipientreue in Anspruch zu nehmen, macht ihn sichtlich stolz.

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„Für meine Überzeugungen bin ich in das volle politische Risiko gegangen, mit dem dann bekannten Ergebnis, dass meine politische Laufbahn beendet ist“, betont Lindner. Angesprochen auf seinen Rücktritt als Parteichef unmittelbar nach der Wahlniederlage sagt er: „Ich bin so konsequent“. Er sei mit sich „im Reinen“: „Ich würde mich im Zweifel immer wieder für die Überzeugung entscheiden.“
Zu seinen Überzeugungen gehört auch, wenig überraschend, der Kampf für die Schuldenbremse, den Lindner zu einer Verteidigung des Rechtsstaats hochstilisiert. „Ich habe die Verfassung verteidigt“, behauptet er im Rückblick auf seine Zeit als Finanzminister. Ohne Grundgesetzänderung hätten zusätzliche Schulden gar nicht aufgenommen werden dürfen: „Wir sind ja keine Bananenrepublik.“
Der Überzeugungstäter
Der ehemalige Bundesfinanzminister gefällt sich in der heroischen Pose des Überzeugungstäters, ja des Märtyrers. Ein wenig aus dem Blick gerät dabei, dass er weder die Wähler von sich überzeugen konnte, noch seinen ehemaligen Chef, Olaf Scholz. Der hatte ihn vom Hof gejagt, ehe Lindner die Genugtuung bekam, selbst zurückzutreten.
Die etwas zu rosarote Brille, mit der Lindner in die Vergangenheit blickt, drückt sich in einer etwas merkwürdigen Metapher aus. Mit seiner politischen Karriere sei es „so ähnlich wie bei einer Sportlerkarriere“, sagt der ehemalige Minister. „Man sieht die unterschiedlichen Meisterschaften, Medaillen, Trophäen“.
Nur „die letzte Saison“, so Lindner, „die hätte noch besser sein können“. Noch besser? Um im Bild zu bleiben: Mit seiner Performance hat der ehemalige FDP-Chef im letzten Anlauf nicht nur keine Medaille mehr gewonnen, er hat die FDP gar nicht erst über die Ziellinie gebracht.
Was das mit seiner Partei angerichtet hat, Stichwort 4,3 Prozent, scheint Lindner nicht sonderlich zu tangieren. Als ehemaliger Parteivorsitzender und Spitzenkandidat der FDP „trage ich Verantwortung bis zum Wahlergebnis“, sagt er. „Und jetzt wünsche ich meiner Partei Fortune.“ Maischberger lacht laut auf. Hier ist der Scherbenhaufen, viel Glück beim Aufräumen – über diese Botschaft wird sich die neue FDP-Führung sicher freuen.
Vom Finanzminister zum Gebrauchtwagenhändler
Eine unbestreitbare Komik bekommt die Sendung, als Maischberger Lindner nach seinem neuen Job als stellvertretender Vorsitzender eines Autovertriebs fragt. Man könnte von einem Gebrauchtwagenhandel sprechen, Lindner redet lieber von einem „Mobilitätskonzern“.
„Wir haben Gebrauchtwagen, wir haben Neuwagen, wir haben Jahreswagen“, zählt der ehemalige FDP-Chef die Produktpalette seiner neuen Firma auf, nun ganz in seiner Rolle als Vertriebler angekommen.
Von dem Spott, den seine neue Berufung bei manchen ausgelöst hat, zeigt sich Lindner enttäuscht bis entrüstet. „Jetzt gibt es da irgendwie eine Diskussion: ‘Der soziale Abstieg des Bundesministers’“, beschwert er sich. „Die dachten, ich werde Hedgefondsmanager in New York.“
Er habe sich aber für „Sandersdorf-Brehna statt New York“ entschieden. Nun ja, jeder nach seiner Façon. Diese Freiheit muss man dem ehemaligen Chef der Liberalen schon zugestehen.
Lindner erblickt in den „hämischen Kommentaren“ einen größeren Zusammenhang: „Wenn Autobranche, Mittelstand, Ostdeutschland das Problem sind, dann zeigt das, was in Wahrheit in Deutschland schiefläuft.“
Palmer gegen Türmer: Zuspitzen bis zur Eskalation
Neben dem Talk mit Christian Lindner bietet Maischberger ihren Zuschauern an diesem Abend ein weiteres Spektakel: Der Juso-Chef Philipp Türmer trifft auf den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Besonders letzterer geht an diesem Abend rhetorisch aufs Ganze – und schießt dabei übers Ziel hinaus.
Die Diskussion um den Sozialstaat hat gerade begonnen, da schaltet Palmer schon in den Alarmmodus: „Wir haben die schlimmste Industriekrise seit der Gründung der Republik, und die schlimmste kommunale Finanzkrise“, sagt er. „Deswegen muss jetzt bei den Ausgaben des Staates deutlich zurückgefahren werden.“

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Immer wieder behauptet Palmer, dass Transferleistungsempfänger mehr Geld erhalten würden als Arbeitnehmer: „Das geht so nicht weiter, Herr Türmer“, wirft er dem Juso-Chef vor. Der zeigt sich genervt: „Das geht mir völlig gegen den Strich!“ Türmer will nicht über Kürzungen sprechen, sondern über eine stärkere Verpflichtung der Wohlhabenderen, etwa durch die Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung.
„Wenn die Wertschöpfung nicht da ist, gibt es nichts zu verteilen“, hält Palmer diesem Argument entgegen. Den Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rente abzuschwächen, „ist Politik gegen Mathematik, gegen die Wirtschaft und gegen die junge Generation, alles in einem von den Jusos“, stichelt der Bürgermeister.
„Das ist ein schöner Sprechzettel, aber es passt leider nicht mit dem zusammen, was die Jusos fordern“, entgegnet Türmer. Die Diskussion läuft so intensiv, dass sich Maischberger zwischenzeitlich kaum zu Wort meldet, sondern ihre beiden Gäste einfach mal machen lässt.
Die höchste Eskalationsstufe erreicht die Debatte beim Thema Kriminalität und Migration, das Palmer miteinander in Verbindung bringt. Dem möchte Türmer mit einem Verweis auf seine Heimatstadt „massiv widersprechen“. In Offenbach sei der Migrationsanteil außerordentlich hoch, die Kriminalitätsrate dagegen niedrig.
„Dieser Zusammenhang den Sie da herstellen, mehr Migration gleich mehr Kriminalität, der ist falsch“, folgert Türmer. Das sei ein „billiger Taschenspielertrick, um das real existierende Problem zu leugnen“, erwidert Palmer. Man müsse zwischen allgemeiner Migration und Fluchtmigration unterscheiden.
„Manche Leute leugnen den Klimawandel, manche Leute leugnen den demographischen Wandel, und andere Leute leugnen die Realität von Gewalt, weil sie sie nicht wahrhaben wollen“, (über)treibt er sein Argument rhetorisch auf die Spitze. Exemplarisch zeigt sich: Wenn in Talkshows die Lautstärke steigt, sinkt das Niveau.
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