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Joachim Gauck und Thüringen: Darf sich ein Bundespräsident so einmischen?

Joachim Gauck hat ein Problem damit, dass in Thüringen ein Linker regieren könnte – in einem Interview hat er das kundgetan. Darf er das? Oder muss er sich als Bundespräsident parteipolitisch zurückhalten?

Von Robert Birnbaum

Der Präsident und der Journalist sitzen vor der Kamera im Altarraum der Berliner Gethsemane-Kirche. An historisch aufgeladenem Ort soll Joachim Gauck, der einstige Pfarrer im Widerstand, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer Bilanz ziehen. Der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios will etwas höchst Aktuelles wissen. In Kürze werde Bodo Ramelow vielleicht in Thüringen als erster Linker Ministerpräsident, sagt Ulrich Deppendorf: „Ist das für Sie dann Normalität oder schwer zu verstehen?“ Für Gauck ist es eher schwer zu verstehen: „Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, dies zu akzeptieren“, sagt das Staatsoberhaupt. „Wir respektieren die Wahlentscheidung der Menschen und fragen uns gleichzeitig: Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr schon voll vertrauen können?“ Und Gauck gibt auf die selbst gestellte Frage auch die Antwort: Es gebe „Teile in dieser Partei“, da habe er wie viele andere ein Problem, dieses Vertrauen zu entwickeln.

Der „Bericht aus Berlin“ verbreitet die Zitate am Wochenende vorab. Seitdem haben die künftigen Erfurter Regierungspartner ein Problem mit Joachim Gauck. Aus Linkspartei, SPD und Grünen wird das Staatsoberhaupt zur parteipolitischen Neutralität gemahnt.

Darf sich ein Bundespräsident in die Tages- und Parteipolitik einmischen?

Ja, staatsrechtlich darf er das. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade erst in diesem Sommer über die Freiheit eines Bundespräsidenten geurteilt – mit eindeutigem Ergebnis. Die NPD hatte in Karlsruhe geklagt, weil Gauck sie im Zusammenhang mit den Krawall-Demos gegen die Asylbewerberunterkunft in Hellersdorf als „Spinner“ bezeichnet hatte und die Neonazi-Partei dadurch ihre Wahlchancen beeinträchtigt sah.

Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle wies den Vorwurf zurück und lieferte zugleich zum ersten Mal eine Definition der Befugnisse des ersten Manns im Staate. Das Grundgesetz belässt es nämlich bei den formalen Zuständigkeiten, schweigt sich über Prinzipien der Amtsführung aber aus. Nur gegen Gesetze verstoßen darf das Staatsoberhaupt nicht, dann drohen ihm Anklage in Karlsruhe und die Amtsenthebung.

Das Verfassungsgericht zieht die Grenzen dementsprechend weit. „Der Bundespräsident repräsentiert Staat und Volk der Bundesrepublik Deutschland nach außen und innen und soll die Einheit des Staates verkörpern“, schrieben die Richter. Wie er diese Rolle mit Leben erfülle, „entscheidet der Amtsinhaber grundsätzlich selbst“. Ob er sich am Leitbild eines „neutralen Bundespräsidenten“ orientiere oder nicht – seine Sache.

Nur eine Einschränkung machen die obersten Juristen: Wenn sich der Präsident über eine Partei negativ äußere, dürfe er das nicht „unter evidenter Vernachlässigung seiner Integrationsfunktion und damit willkürlich“ tun. Aber auf die Gefahren hinweisen, die von unbelehrbaren rechtsradikalen Ideologen für das Gemeinwesen ausgingen, das dürfe er allemal. In diesem Kontext sei auch „Spinner“ erlaubt.

Aber gegen die NPD läuft gerade eine Verbotsklage in Karlsruhe – ist die Linkspartei nicht ein anderer Fall?

Das ist sie, schon weil die Linke in den ostdeutschen Ländern den Status einer Volkspartei mit breiter Legitimation durch die Wähler hat. Und das einzig Neue des sich abzeichnenden Bündnisses in Erfurt ist ja, dass der Linke Ramelow Regierungschef werden soll. Als Juniorpartner hat die Linke in Berlin, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern mitregiert, ohne dass aus diesen Ländern kleine DDR-Ableger geworden wären.

Auf der anderen Seite ist die Linke nach wie vor keine ganz normale Partei. Teile ihres Apparats, vorweg die „Kommunistische Plattform“ (KPF), werden von Verfassungsschutzämtern als „offen extremistische Zusammenschlüsse“ eingestuft. Sowohl im Bund als auch in den meisten Ländern werden sie offiziell beobachtet. Selbst in Thüringen steht die KPF noch auf der Beobachtungsliste. Gauck muss also gar nicht auf seine Lebenserfahrungen als Pfarrer und Bürgerrechtler oder seine Zeit als Stasi-Aktenverwalter verweisen, wenn er „Teile in dieser Partei“ misstrauisch beäugt. Der Präsident kann sich zumindest dabei in Übereinstimmung mit der Staatspraxis sehen.

Aber überschreitet Gauck nicht doch die Grenzen der Zurückhaltung, die seine Vorgänger sich selbst gesetzt haben?

Was die Kommentierung von Regierungsbildungen angeht, ganz sicher. Schon die jeweiligen Bundesparteien verkneifen sich ja in der Regel offiziell Ratschläge, wenn Landesparteien nach einer Wahl über Koalitionen verhandeln. Dass ein Staatsoberhaupt eine Regierung kommentiert, noch bevor sie überhaupt zustande gekommen ist, ist sehr ungewöhnlich. Dies gilt umso mehr, als in Thüringen gerade die SPD-Mitglieder aufgerufen sind, über Rot-Rot-Grün abzustimmen. Die meisten dürften ihre Stimme bereits abgegeben haben. Aber das Votum endet erst an diesem Montag. Nicht auszuschließen, dass Gaucks Intervention den einen oder anderen Sozialdemokraten in letzter Sekunde umstimmt.

Kritik an bestehenden Regierungen hingegen gehört fast schon zu den Erwartungen, die die politische Szene unausgesprochen an einen Präsidenten richtet. Und irgendwie hat noch jeder Amtsinhaber der jüngeren Zeit versucht, dieser Erwartung gerecht zu werden. Roman Herzog etwa hat es in seiner „Ruck“-Rede 1997 eher allgemein getan – die Mahnung zu mehr Reformfreude konnten sich alle Parteien zurechnen, zumal die regierende CDU, angeführt vom damaligen Fraktionschef Wolfgang Schäuble, diese Debatte längst selbst führte.

Als unfreundliche Erinnerung empfand es hingegen 2008 Angela Merkel, als Bundespräsident Horst Köhler eine radikale Steuerreform als Teil einer mutigen „Agenda 2020“ forderte.

Richard von Weizsäcker hat am deutlichsten Gegenposition bezogen. Schon als der Christdemokrat in seiner berühmten Bundestagsrede am 8. Mai 1985 das Kriegsende als „Tag der Befreiung“ bezeichnete, schäumte die halbe Union. Franz Josef Strauß schimpfte lauthals auf den „Spezialgewissenträger im Präsidentenamt“. Später legte sich der Staatschef direkt mit dem Kanzler an. 1992 klagte Weizsäcker in einem Zeitungsgespräch über die „Machtversessenheit“ und „Machtvergessenheit“ der deutschen Parteipolitik. Das musste Helmut Kohl natürlich direkt auf sich beziehen, und er nimmt es bis heute übel.

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