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Will CDU-Chef Friedrich Merz nicht als hartherziger Wirtschaftsliberaler dastehen, dann braucht er als Kronzeugen fraglos sozial Gesinnte.

© Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Stunde des CDU-Sozialflügels: Das Bürgergeld verhindert – und nun?

In den Beratungen mit dem Bundesrat über das Bürgergeld setzt die Union auf die sozial Gesinnten der CDA. Die haben auch so ihre Kritik an der Ampel.

Große Namen, große Zeiten: Hans Katzer, Norbert Blüm – die waren einmal geradezu berühmte Chefs der CDU-Sozialausschüsse. Vor vielen Jahrzehnten. Da hatten die noch zehntausende Mitglieder. Heute nicht mehr, bei Weitem nicht. Ein paar Tausend sind es noch, so viele wie, sagen wir, in der Schüler-Union. Die CDU insgesamt hatte vergangenes Jahr 384.000 Mitglieder. Aber der Einfluss der Sozialausschüsse ist immer noch groß, weil auch die Außenwirkung zählt.

Mario Czaja ist zum Beispiel Mitglied, der CDU-Generalsekretär. Oder Armin Laschet. Annegret Kramp-Karrenbauer. Peter Altmaier. Auch Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin. Und Karl-Josef Laumann, Landesminister in NRW, als Vorsitzender seit 2005. Der kann gut mit Friedrich Merz, dem großen Vorsitzenden.

Der Sozialflügel der Union vor neuen großen Zeiten? Jedenfalls wird er jetzt fürs Ansehen der CDU wieder sehr wichtig – für ihre Chancen gegen die Ampel, die Koalition von Rot, Gelb und Grün. Denn die Beratungen nicht im, aber mit dem Bundesrat über das Bürgergeld gehen ja weiter. Sie kommen in den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Länderkammer.

Die Empfänger von Hartz IV stehen nun genauso im Regen wie der ganze Rest des Landes.

Dennis Radtke, Vizevorsitzende der CDA

Wenn die CDU mit Merz an der Spitze nicht als bloße Verweigerer und Verhinderer dastehen wollen, als hartherzige Wirtschaftsliberale, dann brauchen sie als Kronzeugen fraglos sozial Gesinnte: die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft, kurz CDA, auch Sozialausschüsse genannt. Oder scherzhaft „Herz-Jesu-Sozialisten“.

Die haben auch so ihre Kritik an der Ampel, nicht zu knapp sogar. „Die Empfänger von Hartz IV stehen nun genauso im Regen wie der ganze Rest des Landes“, sagt beispielsweise der Vizevorsitzende der CDA, Dennis Radtke. Für ihn ist das „kompromisslose Festhalten“ am Bürgergeld „nichts anderes als politische Spielchen auf dem Rücken von Hilfeempfängern“. Das klingt... ein bisschen wie Merz.

Hintergrund der Unzufriedenheit: Der Vorschlag der Union, die Erhöhung der Regelsätze von der Einführung des Bürgergeldes zu entkoppeln, ist ungehört geblieben. Unerhört, finden die Sozialausschüsse. Denn damit sollte doch sichergestellt werden, dass die Erhöhung auch tatsächlich zum Januar 2023 kommt.

300
Euro brutto für jeden Berufstätigen? Für die CDA wenig verständlich.

Die grundsätzliche Einigung mit dem Bundesrat steht noch aus. Aber Radtke ist sich mit dem CDU- und dem CSU-Vorderen, also Merz und Markus Söder, im Grundlegenden einig: Immer mehr unverständliche Entscheidungen machten „Rot zu einer Fehlfarbe, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht“.

Ein Beispiel der Sozialausschüsse? „Der Villenbesitzer, der seinen Swimmingpool mit Gas beheizt, bekommt im Dezember eine Rechnung erstattet, die Verkäuferin mit Öl- oder Pellet-Heizung hingegen geht leer aus.“ Das ist für die CDA ebenso wenig verständlich wie die unterschiedslose Einmalzahlung von 300 Euro brutto für jeden Berufstätigen. Weil es doch Menschen gibt, die keine Unterstützung brauchen, dafür aber andere, die eine Hilfe zum Überleben von 3000 Euro benötigen.

Die Sozialausschüsse als Trumpf?

Darum der Vorschlag, die „Gießkannenpolitik“ der Bundesregierung mit einfachen Maßnahmen in eine gezielte Hilfe für sozial Bedürftige umzubauen. Wie? Ein einkommensabhängiges Energiegeld auszahlen und Menschen mit Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze einen Rabatt auf Grundnahrungsmittel gewähren.

Worin sich der wirtschaftsliberale Merz und die Sozialausschüsse ganz sicher treffen, ist die Einschätzung der Tatsache, dass jüngste EU-Prognosen Deutschland beim Wachstum auf dem letzten Platz sehen.

Dazu meint Radtke, der auch CDU-Europaabgeordneter ist, was Merz ja früher auch einmal war: „Mir fehlt jegliches Verständnis, dass der Bundeskanzler tatenlos zusieht, wie die Deindustrialisierung in Deutschland voranschreitet und gleichzeitig die Binnenkonjunktur zusammenbricht, weil viele in der Krise eben nur noch Geld für das Nötigste haben.“

Vielleicht spielen die Sozialausschüsse ihren Einfluss in den kommenden Wochen dann doch noch als Trumpf aus – auf beiden Seiten von Bundesrat und Bundestag.

Immerhin schrieb Egon Bahr schon vor Jahrzehnten, am 24. November 1950, im Tagesspiegel unter der Überschrift „Soziales Gewissen einer Partei“ über die CDA: „Manches Wort, das man hörte, hätte auch in einer SPD-Versammlung gesprochen werden können.“

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