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„Das Ganze ist ein riesiger Verwaltungsaufwand“: Kehren nun Hunderttausende Syrer zurück in ihre Heimat?
Der Außenminister bremst, doch die Unions-Spitze erweckt den Eindruck, dass massenhaft syrische Flüchtlinge zurück in ihre Heimat kehren. Aber stimmt das? Und ist das überhaupt wünschenswert?
Stand:
Kehren nun bald Hunderttausende Syrer in ihre Heimat zurück? In der aktuellen Debatte um die Zustände in ihrem Heimatland bremst der Außenminister die Erwartungen, doch Kanzler und Innenminister signalisieren, dass Rückreisen im großen Stil möglich würden. Aber stimmt das? Und ist das überhaupt wünschenswert? Ein Faktencheck.
Knapp eine Million Syrer halten sich derzeit in Deutschland auf. Nach dem Fall des Assad-Regimes und dem Ende des Bürgerkriegs stellt sich nun die Frage: Was passiert als nächstes?
1. Warum dürfen sich Syrer gerade in Deutschland aufhalten?
„Viele Syrerinnen und Syrer haben einen Aufenthaltstitel, der befristet ist, in der Regel auf drei Jahre“, sagte Hannes Schammann im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim und Mitglied im unabhängigen Sachverständigenrat für Integration und Migration.
Schammann fügte hinzu: „Manche sind schon so lange hier, dass sie eine Niederlassungserlaubnis oder sogar die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Häufig handelt es sich um subsidiären Schutz und seltener um Asyl im engeren Sinn. Das ist also eine wilde Mischung – von der Duldung bis zur Einbürgerung ist alles dabei.“ Hintergrund ist in der Regel der syrische Bürgerkrieg; es kann aber auch um individuellen Schutz vor Verfolgung gehen.
2. Wie könnten Syrer zurückgeführt werden?
„Rein rechtlich kann man nur bei denjenigen ansetzen, die einen unsicheren Aufenthalt haben – also laufende Asylverfahren oder Duldungen“, sagte Schammann. Da könne der Staat argumentieren: „Die Lage im Herkunftsland ist sicher, wir lehnen ab beziehungsweise verlängern nicht weiter und schieben ab.“ Bei anderen laufe der Aufenthaltstitel aus und bei einer Verlängerung werde geprüft, ob die Bedrohungslage noch bestehe. Wenn nicht, könne der Schutz enden.
3. Wie schnell können Syrer nun zurückgeschickt werden?
Migrationsexperten warnen vor unseriösen Erwartungen. Immerhin handelt es sich bei den Syrern in Deutschland nicht um eine homogene Gruppe mit einheitlichen Aufenthaltstiteln, die nun einfach von jetzt auf gleich entzogen werden können. Jeder Fall muss einzeln geprüft und bearbeitet werden.
„Das Ganze ist ein riesiger Verwaltungsaufwand und die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind ohnehin überlastet“, sagte Schammann. Eine andere Möglichkeit: freiwillige Rückkehrprogramme inklusive Starthilfe, Reisekosten, Anreize. „Das gibt es schon, aber es wird erfahrungsgemäß nur wenige bewegen“, so der Professor. Ein weiteres Problem besteht in vielen individuellen Abschiebungshindernissen, „Krankheiten, Traumatisierungen, individuelle Verfolgung – die einen Fall kompliziert machen können“.
Wer jetzt über Rückführungen spricht, sollte auch ehrlich sagen: Das ist praktisch kaum umsetzbar.
Hannes Schammann rechnet nur mit wenigen Rückführungen.
Selbst die fehlende Infrastruktur, die Außenminister Johann Wadephul (CDU) angesprochen hatte, kann ein Hemmnis sein. Wenn etwa mangels Gesundheitsversorgung Gefahr für Leib und Leben drohe, könne das ein Abschiebungshindernis sein, so Schammann. Fazit: „Wer jetzt über Rückführungen spricht, sollte auch ehrlich sagen: Das ist praktisch kaum umsetzbar.“
4. Was bewirken Druck und Ablehnung?
Im politischen Diskurs argumentieren nun viele, es sei Aufgabe der Syrer, in ihr Land zurückzukehren, es wiederaufzubauen. Immerhin: Der Hauptgrund für den Aufenthalt in Deutschland, der Bürgerkrieg, fällt weg. Gesellschaftlicher Druck sei allerdings eher kontraproduktiv, sagte Schammann. „Wenn man die Botschaft sendet, Syrer seien hier nicht mehr willkommen, trifft das vor allem die, die mobil und gut integriert sind – und genau die will man ja eigentlich im Land behalten.“ Gleichzeitig zeigten Studien: „Wenn man bei Geduldeten versucht, Sozialleistungen herunterzufahren und den Aufenthaltsstatus prekärer macht, hat das keinen Einfluss auf Rückkehrabsichten.“
Zwar steigt die Zahl derjenigen, die ausreisen – allerdings sind es monatlich immer noch erheblich weniger als Tausend Menschen – rund 0,1 Prozent all derjenigen, die sich hier aufhalten. Schammann argumentierte: „Zwischen Syrien und Deutschland entstehen längst Migrationsnetzwerke – wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen, die beide Seiten nutzen könnten. Wer das zerstört, vergibt eine große Chance.“
5. Wie sehr belasten die Syrer die Sozialsysteme?
Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juli rund 480.000 syrische Staatsbürger Regelleistungsberechtigte und beziehen damit Bürgergeld. Unter den ausländischen Gruppen beziehen nur ukrainische Staatsangehörige (670.000) noch häufiger Bürgergeld.
Häufig hängt das aber auch mit institutionellen Hürden zusammen, etwa Arbeitsverboten, Wohnortsbeschränkungen oder Sprachkursen, die zuerst absolviert werden müssen. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmark- und Berufsforschung zeigte Ende 2024 auf, dass die Leistungsbezugsquoten der Syrer, die 2015 nach Deutschland gekommen waren, nach acht Jahren auf 41 Prozent gesunken war. Bei Männern lag der Wert bei 34 Prozent. Bedeutet umgekehrt: nach acht Jahren hatten 66 Prozent der männlichen syrischen Flüchtlinge in Deutschland einen Job.
6. Wie wichtig sind Syrer für den deutschen Arbeitsmarkt?
„Für den deutschen Arbeitsmarkt spielen syrische Beschäftigte zahlenmäßig keine besonders wichtige Rolle“, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft. Tatsächlich zeigen die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von April, dass von den 950.000 Syrerinnen und Syrern in Deutschland nur knapp 300.000 beschäftigt sind, davon 250.000 in sozialversicherungspflichtigen Jobs.
Schäfer beobachtet ein Mismatch: „Auf dem Arbeitsmarkt werden vor allem Fachkräfte gesucht, syrische Staatsangehörige üben jedoch überproportional Tätigkeiten aus, die keine Berufsausbildung voraussetzen.“
Yuliya Kosyakova, Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, hält die Statistik mitunter für verzerrend. „Denn die Einbürgerung von Syrerinnen und Syrern steigen und das sind die Menschen, die typischerweise im Arbeitsmarkt gut integriert sind.“ Tatsächlich wurden seit 2020 rund 150.000 Syrer eingebürgert – in der Statistik laufen sie seitdem als Deutsche.
Kosyakova betont zudem die Relevanz syrischer Arbeitskräfte, sie würden überproportional häufig in systemrelevanten Berufen – etwa der Pflege oder bei Lieferdiensten – arbeiten. „Lokal und branchenspezifisch würde es sehr spürbare Folgen haben, wenn massenhaft Syrer in ihre Heimat zurückkehren“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Das betont auch die Bundesärztekammer. Dort sind 7042 syrische Ärztinnen und Ärzte Mitglieder deutscher Landesärztekammern – und damit die größte Gruppe unter den ausländischen Medizinern. „Gemeinsam leisten Ärztinnen und Ärzte aus Syrien, ebenso wie viele weitere ausländische Kolleginnen und Kollegen, die aus fast allen Teilen der Welt nach Deutschland kommen, einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung“, sagte ein Sprecher der Bundesärztekammer.
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