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Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, beim Straßenwahlkampf in Hannover.

© dpa/Carsten Hoffmann

Generalist Pistorius: Auf Wahlkampftour mit dem SPD-Kanzlerkandidaten der Herzen

Im Alter von 64 Jahren kandidiert Deutschlands beliebtester Politiker erstmals für den Bundestag. In einer Post-Scholz-SPD gilt Boris Pistorius als fest gesetzt.

Stand:

Nur zwei, drei Sätze sind gefallen, und schon feiern die Gäste Boris Pistorius. Langer rhythmischer Beifall.

Das ist in diesen Tagen eher ungewöhnlich bei der SPD. Am Sonntag droht Deutschlands ältester Partei eine empfindliche, womöglich historische Wahlschlappe.

Mit Pistorius aber, da sind sie sich in der Sozialdemokratie einig, hat das eher wenig zu tun.

Die europäischen Demokraten sind ein Fan von Boris Pistorius.

Hans-Jürgen Hoffmann, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Herrenhausen-Stöcken

Hannover, Stadtteilzentrum Stöcken, Montagabend. Gut 200 Menschen sind durch die Kälte hergekommen. Hans-Jürgen Hoffmann, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins, steht neben Pistorius auf der Bühne, begrüßt den Verteidigungsminister.

„Bis Freitag warst du nur Deutschlands beliebtester Politiker“, sagt Hoffmann mit Stolz in der Stimme: „Nach deiner spontanen Kritik gegenüber dem US-Vizepräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz kann man sagen: Die europäischen Demokraten sind ein Fan von Boris Pistorius.“ Applaus.

„Solch einen Menschen“, sagt Hoffmann noch, „haben wir im Süden Hannovers als Bundestagskandidaten!“ Pistorius lächelt.

Pistorius würde gern Minister bleiben

Boris Ludwig Pistorius, geboren in Osnabrück, 64 Jahre alt, kandidiert an diesem Sonntag erstmals für den Bundestag. Seinen Wahlkreis Hannover II, dürfte er gewinnen.

Pistorius würde gern Minister bleiben. „Wir haben im Verteidigungsministerium vieles auf den Weg gebracht, die Zeitenwende umgesetzt, sind aber noch nicht fertig. Und ich ziehe ungern weiter, solange die Arbeit noch nicht erledigt ist“, sagte er kürzlich im Tagesspiegel-Interview.

Sollte die SPD in der nächsten Regierung vertreten sein, hat Pistorius beste Chancen, erneut Minister zu werden. Niemand würde verstehen, sollte die SPD ausgerechnet auf den mit Abstand beliebtesten Politiker Deutschlands verzichten. Das sagen selbst linke Sozialdemokraten, die den Einsatz von Pistorius für die Bundeswehr, seine Forderung, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, gar nicht mögen.

Die klaren Worte, die Pistorius als Antwort auf US-Vizepräsident J. D. Vance zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz am vorigen Freitag fand, haben parteiübergreifend Zustimmung gefunden, außer bei der AfD.

Er könne „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, eröffnete Pistorius seine Rede: „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst“ – das sei das Selbstverständnis der Bundeswehr und stehe auch für unser Demokratieverständnis. Die Werte dieser Demokratie und die ganz Europas seien von Vance infrage gestellt worden. Als überzeugter Transatlantiker könne er dazu nicht schweigen. Es sei „nicht akzeptabel“, wenn jemand Europa mit autoritären Regimen vergleiche: „Das ist nicht das Europa und die Demokratie, in der ich lebe.“

Etwas komplizierter wird aber schon die Frage, ob Pistorius, etwa unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz (CDU), Verteidigungsminister bleiben wird. Könnte er nicht auch Außenminister werden? Oder Innenminister? Justizminister? Finanzminister? In Personalunion mit dem Amt des Vizekanzlers?

Pistorius ist ein Generalist

Alles offen. Als politisch erfahrener Volljurist gilt Pistorius als Generalist. Noch ist das Personaltableau der SPD völlig ungeklärt. Viel hängt ab von den Plänen von Parteichef Lars Klingbeil. Der will, so ist in der SPD zu hören, erstmals Minister werden, womöglich Vizekanzler.

Bei alldem ist ungewiss: Wird es überhaupt zu einer schwarz-roten Mehrheit reichen, mathematisch wie politisch? Eine Verantwortung für die befürchtete Wahlniederlage trage Pistorius nicht, heißt es in der SPD. Anders als Kanzler Olaf Scholz, die SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken und Klingbeil sowie Generalsekretär Matthias Miersch.

Nach einem möglichen Wahldebakel werde es zu einer Debatte kommen, heißt es bei den Sozialdemokraten, welche Verantwortung die Parteispitze trage dafür, dass die SPD nicht mit dem aussichtsreicheren Pistorius angetreten sei.

Pistorius selbst hat nie um eine Kanzlerkandidatur gekämpft. Selbst Kritiker bescheinigen ihm, in keinem Moment Scholz gegenüber illoyal gehandelt zu haben. In seinem Verzichts-Video im November 2024 hatte Pistorius gesagt: „Olaf Scholz ist ein starker Kanzler und er ist der richtige Kanzlerkandidat.“ Er habe „diese Debatte nicht angestoßen, ich habe sie nicht gewollt und ich habe mich für nichts ins Gespräch gebracht“.

Etliche in der SPD indes sagen, natürlich hätte Pistorius die Kanzlerkandidatur allzu gern übernommen. Das Problem: Scholz wollte nicht verzichten, Klingbeil, Esken und Miersch mangelte es an Kraft, Pistorius gegen den unbeliebten Kanzler durchzuboxen.

Das K-Wort, das sie in der SPD so gar nicht mögen, spricht Pistorius am Montagabend im Bürgerhaus Stöckheim aus. Versehen vorab mit einer „Triggerwarnung“, wie er es ankündigt. „Wir müssen kriegstüchtig werden“, sagt Pistorius: „Viele mögen das Wort nicht, ich auch nicht.“ Er aber verwende es, „um uns aufzurütteln, um uns wach zu machen“. Die Deutschen wollten eine besser ausgestattete Bundeswehr, sagt Pistorius. In Russland könne Putin 2026 auf 1,6 Millionen Soldaten zurückgreifen.

Pistorius zitiert Putins Drohungen. Vor allem aber, und das unterscheidet ihn von Scholz, erklärt er seine Haltung anhand seines eigenen Lebens. Und er verzichtet, noch ein Unterschied zu Scholz, auf den Hinweis, alles immer schon besser gewusst zu haben.

Wie sehr habe er, sagt Pistorius, das „Kind des Kalten Krieges“, sich über den Mauerfall und das vermeintliche Ende des Ost-West-Gegensatzes 1989/90 gefreut! „Ich habe damals, mit Anfang 30, geglaubt: Das war es mit den Konflikten in Europa.“ Mit diesen Worten dockt Pistorius beim Publikum an. Viele sind seines Alters und dürften ähnlich getickt haben.

Wir haben die Snooze-Taste gedrückt, geglaubt, Putin wird schon Ruhe geben.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) über Deutschland nach der russischen Besetzung der Krim 2014

Er verweist dann auf Putins Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, „einige sind damals schon wach geworden, ich war in der Kommunalpolitik“. Dann auf 2014, die Besetzung der Krim, „die Skandinavier, die Balten, die Polen habe den Weckruf gehört, ihre Streitkräfte gestärkt, den Wehrdienst eingeführt“.

Deutschland hingegen habe bei Putins Weckrufen „die Snooze-Taste gedrückt, geglaubt, er wird schon Ruhe geben“. Dann 2022, Russlands Krieg gegen die Ukraine, heute dazu „ein US-Präsident, der die Gemengelage nicht einfacher macht“. Im Publikum keine Beifallsstürme, aber auch kein Widerspruch, kein einziger Pfiff, kein Buh-Ruf.

Über die Zeitenwende spricht Pistorius, die Gefahr durch Putin. „Wir reden hier über Krieg, Tote!“

Dann kommt Pistorius auf den Kanzler zu sprechen. Er sei dankbar dafür, dass der Kanzler „dreimal überlegt, bevor er eine Entscheidung trifft“. Er würde „gern nach dem 23. Februar mit Olaf Scholz weitermachen“.

Pistorius’ Worte klingen, was eine Kanzlerschaft von Scholz angeht, nur wenig siegesgewiss.

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