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Europa - hin- und hergerissen.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Europa unter Druck: Der getriebene Kontinent

Eine gestürzte Regierung in Spanien, Italien von Populisten regiert und die USA setzen Europa mit Strafzöllen zu. Steht die EU vor ihrer größten Herausforderung?

Seit dem 1. Juni sind die Fronten klar. Der kämpferische Begriff „Fronten“ ist hier durchaus passend. Was US-Präsident Donald Trump den Ländern der Europäischen Union – und anderen Staaten – androht, ist nichts Geringeres als ein Handelskrieg. Europa bemüht sich demgegenüber um eine einheitliche Position. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker redet von Vergeltungsmaßnahmen. Außerdem wird die Europäische Union bei der WTO, der Welthandelsorganisation, nicht nur Klage gegen das nach europäischer Ansicht rechtswidrige Verhalten der Vereinigten Staaten einreichen, sondern auch Vergeltungszölle ankündigen.

Europa ist alles andere als einig

Tatsächlich ist die Europäische Union längst nicht so einig, wie sie tut. Während ihr transatlantischer Gegenspieler, die USA, ihrem alten Leitspruch „E pluribus unum“ entsprechend, „aus vielen eines“, Weltpolitik macht, lebt Europa zwar Vielfalt, ist vom „Einen“ aber weit entfernt. Das gilt auch in einem Handelsstreit, den die EU nur durchstehen kann, wenn sie einig ist.

Tiefe Gräben trennen im Europa der 27 die nicht dem Euro verpflichteten Staaten von jenen 19, die die Gemeinschaftswährung eingeführt haben. Erstere befürchten ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, in dem sich die EU-Staaten mit Euro wirtschaftlich und haushaltspolitisch immer enger zusammenschließen, zum Nachteil vor allem von Ländern wie Dänemark, das den Euro nicht einführen will, und Schweden, das sich in einer Volksabstimmung dagegen entschieden hat. Aber auch nordeuropäische Länder, die den Euro als Zahlungsmittel einführten, jedoch gegen eine Vergemeinschaftung immer neuer Politikgebiete sind, sträuben sich gegen Alleingänge. Dazu gehören Finnland, die Niederlande und Irland. Eine einheitliche Linie zu erreichen, ist schwierig.

Der gesamte Süden ist gesellschaftlich tief gespalten

Ein wichtiger Aspekt ist der der Sicherheit. Die baltischen Staaten und auch Polen vertrauen angesichts der von ihnen als immer bedrohlicher empfundenen Präsenz Russlands im Nordosten Europas fest auf den militärischen Schutzschirm der USA, an dessen Zuverlässigkeit sie auch über die Bündnisverpflichtung der Nato hinaus glauben. Diese Länder werden sich nicht in einen Handelskrieg gegen die USA hineinziehen lassen.

Ein weiteres Handicap bei der Suche nach übereinstimmenden Interessen im Handelskonflikt ist die innenpolitische Situation jener Staaten, deren eigene wirtschaftliche Lage labil ist. Der gesamte Süden der Europäischen Union wird durch eine seit Jahren währende Rezession in seinem inneren staatlichen Zusammenhalt erschüttert und gesellschaftlich tief gespalten.

Italiens wirtschaftliche Lage ist desolat

Die italienische Regierungskrise, die gerade jetzt durch den neuerlichen Versuch einer Koalitionsbildung zwischen zwei populistischen Parteien, der Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung, bewältigt werden könnte, ist ein Reflex auf die desolate wirtschaftliche Lage. Das Land ist mit 130 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verschuldet (der EU-Rahmen erlaubt maximal 60 Prozent). Die italienische Verschuldung ist eine direkte Folge der Verbilligung der Kredite von dem Moment an, ab dem klar war, dass Italien 2002 Euro-Land werden würde: Während Italien vorher, weil es als finanziell unsolide galt, auf dem Kapitalmarkt nur zu exorbitanten Bedingungen Geld aufnehmen konnte, profitierte es nun von der Bonität der Nordeuropäer, der Deutschen vor allem. Allerdings flossen die Milliarden nicht in die Infrastruktur. Die Folge: Während das Pro-Kopf-Einkommen der Italiener bei der Euro-Einführung 2002 noch bei 92 Prozent desjenigen der Deutschen lag, macht es heute nur noch 72 Prozent aus. Im gleichen Zeitraum ist die industrielle Produktion um 25 Prozent gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit stieg auf 32 Prozent. Dennoch ist Italien, vor allem durch die Lombardei, noch immer die drittstärkste Volkswirtschaft Europas. Wenn die EU-Kommission Italien zu einer klaren Positionierung gegen die US-Sanktionen bringen wollte, würde das teuer: Die Regierung von Giuseppe Conte ist eher europafeindlich eingestellt und spekuliert auf Erleichterungen bei der Lösung des Verschuldungsproblems.

Die Verschuldung treibt Griechenland und Spanien um

Gegen die gewaltige Dimension der italienischen Staatsverschuldung ist die des „alten“ Sorgenkindes Griechenland eher leicht zu lösen. Beim nächsten Umschuldungsprogramm wird der Internationale Währungsfonds nicht mehr dabei sein, was Deutschland eigentlich zur Voraussetzung für eine Verlängerung gemacht hatte. Doch der IWF verlangte einen Schuldenschnitt. Den hält die Bundesregierung im Bundestag für nicht durchsetzbar.

Verschuldungssorgen hätte auch Spanien genug, um die politische Agenda zu füllen. Die Landflucht junger, gut ausgebildeter Spanier vor der Arbeitslosigkeit im eigenen Land liegt jedoch wie ein dunkler Schatten über den Entwicklungsperspektiven des Landes. Vorrangig ist jetzt die Bildung einer neuen Regierung, nachdem der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy über eine hässliche Korruptionsaffäre stolperte. Immerhin gibt es in Spanien keine populistischen Bewegungen wie in Italien, die das Land instabil machen könnten.

Der Schulmeister des Kontinents wirkt nachdenklich

Diese Phase der Unsicherheit hat Portugal hinter sich. Angela Merkel, die sonst bei Besuchen in Südwesteuropa kaum ohne das Wort „Haushaltsdisziplin“auskommt, lobte Portugal gerade als Beweis dafür, wie man Krisen bewältigt. Vielleicht war das auch Ausfluss einer generellen Erkenntnis über deutsches Verhalten gegenüber anderen EU-Staaten. Wer sich, wie gerade die Bundeskanzlerin und die sie tragenden Schwesterparteien, immer wieder als Schulmeister des Kontinentes aufführt, darf sich nicht wundern, wenn er kein Verständnis findet, falls er selbst einmal in eine schwierige Lage kommt.

Positiver Nebeneffekt der Krise

Die ist jetzt da. So exportabhängig wie Deutschland ist kein anderes Land der EU, auch Frankreich nicht, dessen Präsident gegenüber dem von ihm offenbar als persönlicher Widersacher empfundenen Donald Trump als Wortführer und Verfechter einer harten Linie auftritt. Deutschland wird vielleicht in den kommenden Wochen auch dafür bestraft, dass es in der Vergangenheit wenig Verständnis für die Sorgen anderer Staaten der EU hatte. Wenn eine (Berliner) Lehre daraus sein sollte, sich als stärkste Nation der EU lieber einmal klein und nicht immer riesengroß zu machen, hätte das Trump’sche Wüten gegen Europa zumindest einen positiven Nebeneffekt.

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