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Designierte SPD-Doppelspitze: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans

© Reuters/Fabrizio Bensch

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: Der Populismus hat die SPD erfasst

Disruption hat die SPD immer abgelehnt. Das ist vorbei. Die Partei war ein Stabilitätsgarant, doch darauf kann sich jetzt keiner mehr verlassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Den ersten Fehler hat David Cameron begangen. Der damalige britische Premierminister meinte, er könne die EU-Gegner in seiner konservativen Partei mit dem Versprechen eines Referendums über einen Ausstieg seinen Landes aus der Union zähmen.

Das Referendum führte zum Brexit – brachte also genau das, was Cameron hatte verhindern wollen. Hat die kommissarische Führung der SPD ebenfalls einen Fehler gemacht, als sie nach dem Rücktritt von Andrea Nahles bei der Suche nach einer neuen Parteispitze nicht ihrer eigenen Autorität vertraute, sondern eine Urabstimmung ausrief?

Auf den ersten Blick haben der Brexit oder die Wahl Donald Trumps wenig mit der Niederlage von Klara Geywitz und Olaf Scholz bei der SPD zu tun.

Doch bei den Sozialdemokraten waren ganz ähnliche Dynamiken am Werk, wie in den beiden anderen Ländern des Westens, auch wenn Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wahrlich keine Rechtspopulisten, sondern demokratische Sozialisten oder jedenfalls sehr linke Sozialdemokraten sind.

Dass es nicht so weitergehen dürfe, dass endlich mit dem Bisherigen gebrochen werden müsse, war ihr wirksamstes Versprechen. Auch die Behauptung, eine durch viele Kompromisse gleichsam verschüttete SPD zu verkörpern, erinnert an andere Populisten. In Großbritannien und den USA ging es um das wahre Volk, hier um die wahre Sozialdemokratie. Das Ergebnis ist ebenfalls Disruption: Der Bruch der Koalition, der Grokoxit, steht bevor.

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Wenn Populisten gewinnen, haben ihre Gegner meist schwere Fehler gemacht. Olaf Scholz ist ein guter Vizekanzler, der das Regieren beherrscht. Doch Empathie kann er nicht, die Stimmung hatte er falsch eingeschätzt.

Deshalb demütigte ihn eine Mehrheit jener Genossen, die zur Abstimmung gingen. Manches spricht sogar dafür, dass er in der Partei eigentlich mehr Freunde hat, denn die 66 Prozent Zustimmung der Basis zur großen Koalition sind noch gar nicht lange her. Aber Scholz konnte sie so wenig mobilisieren wie die Europafreunde ihre Anhänger in Großbritannien oder Hillary Clinton ihre Unterstützer in den USA. Zu viele sahen in Scholz einen Fremdkörper.

Wie der Populismus in der SPD gesiegt hat

Bisher schien der Populismus in Deutschland eine Domäne der politischen Rechten zu sein. Rund zwölf Prozent bringt die AfD im Bundestag auf die Waage. In den neuen Ländern, wo sie weit über 20 Prozent liegt, lässt sich das mit der DDR-Geschichte oder der Wendeerfahrung erklären. Die Deutschen seien stolz darauf, dass sie in einer Welt der Unordnung selbst nicht durchdrehten, hatte der Soziologe Heinz Bude vor der Bundestagswahl 2017 prognostiziert. Damals behielt er Recht.

Der Wahlabend im Willy-Brandt-Haus spricht nun gegen seine Diagnose. Der Populismus hat in einer Partei gesiegt, die bislang die Werte der Aufklärung hochhielt, die sich immer gegen die Revolution entschieden hatte, weil sie der Rationalität, der Berechenbarkeit und Kontinuität im Fortschritt verpflichtet war.

SPD-Abstimmung – historischer Wendepunkt

Disruption haben die Sozialdemokraten immer abgelehnt. Nun aber hat die planlose Lust am ganz Anderen, der gefährliche Flirt mit einer ungewissen Zukunft eines der Kraftzentren der deutschen Demokratie überschwemmt. Dass andere westliche Länder Ähnliches schon erlebt haben, ist ein schwacher Trost. Die Entwicklung der politischen Kultur der USA nach der Trump-Wahl oder Großbritanniens nach dem Brexit sollte abschrecken. Ohnehin war die SPD nach der Bundestagswahl schon weit nach links gerückt. Ihre neuen Vorsitzenden wollen aus der linken Volkspartei nun eine rein linke Partei machen. Ob die Bundestagsfraktion das zulässt, ist eine offene Frage. Schon der Parteitag Ende der Woche könnte zur Zerreißprobe werden.

Ganz sicher wird der 30. November 2019 in die Geschichte der SPD eingehen. Er kann aber auch ein bedeutsames Datum in der Entwicklung des politischen Systems der Bundesrepublik werden. Dessen von vielen bewunderte Stabilität war bis Sonnabend auch von der geschundenen SPD garantiert worden. Darauf kann sich nun niemand mehr verlassen.

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