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Susanne Hennig-Wellsow (l), bisher Co-Parteivorsitzende von Die Linke, ist von ihrem Amt zurückgetreten.

© dpa/Fabian Sommer

#metoo-Skandal und Rücktritt: Die Linkspartei steht am Abgrund

Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Zu desaströsen Wahlergebnissen kommen Vorwürfe sexualisierter Gewalt. Parteichefin Hennig-Wellsow zog nun die Reißleine.

Sie habe es sich mit der Entscheidung nicht leicht gemacht, sagt Susanne Hennig-Wellsow. Aber das, was sich in den vergangenen Tagen in der Linkspartei abspielte, was ans Licht gekommen war über sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch – es dürfte am Ende den Ausschlag gegeben haben.

Die Parteichefin, erst vor gut 14 Monaten gemeinsam mit ihrer Co-Vorsitzenden Janine Wissler ins Amt gekommen, trat am Mittwoch zurück. Der Abgang Hennig-Wellsows ist Ausdruck der existenzbedrohenden Lage, in der sich die Linkspartei befindet.

Die 44-Jährige nennt in ihrer Erklärung zwar auch private Gründe, den Wunsch, für ihren achtjährigen Sohn da zu sein. Doch sie sagt auch: „Die vergangenen Monate waren eine der schwierigsten Phasen in der Geschichte unserer Partei.“ Die Linke habe es verdient, von Menschen geführt zu werden, die den Anhänger:innen wieder Mut machen könnten.

Hennig-Wellsow nennt auch private Gründe

Diesen Mut konnte Hennig-Wellsow offenbar nicht mehr verbreiten. Bei der Landtagswahl im Saarland war die Linke auf gerade einmal 2,6 Prozent der Stimmen gekommen. Der dritte große Grund für Hennig-Wellsows Rücktritt – und hier kommen die vergangenen Tage ins Spiel – ist der #metoo-Skandal in der Linkspartei.

„Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt“, schreibt die 44-Jährige. Vergangene Woche hatte ein „Spiegel“-Bericht Fälle von sexueller Gewalt und Sexismus in der hessischen Linken öffentlich gemacht. Von einer „toxischen Machokultur“ war die Rede. Seitdem haben sich Dutzende weitere Betroffene bundesweit gemeldet. Hessen sei nur die „Spitze des Eisbergs“ gewesen, heißt es in der Partei.

Jakob Hammes, Bundesvorsitzender der Linksjugend, sieht die Schwierigkeit aber in den Strukturen der Partei. „Wir haben in der Linken ein Problem mit Männerbünden, bestehend aus Funktionären, die schon seit der Gründung aktiv sind, Ämter auf sich vereinen und sich gegenseitig helfen, ihre Macht zu festigen“, sagte er in dieser Woche dem Tagesspiegel. „Wenn intern Grenzüberschreitungen von solchen Männern bekannt werden, heißt es oft: Den kenne ich schon so lange, der ist doch ein Guter.“

Vorfälle rühren an Grundverständnis der Partei

Einige Linke monieren aber zudem den Umgang mit den vom „Spiegel“ öffentlich gemachten Vorfällen. Der Vorwurf: Es werde innerhalb der Linkspartei zu wenig auf die Opfer, die Betroffenen geschaut. „Da wird den Betroffenen und ihren Unterstützer:innen mindestens unterschwellig unterstellt, eine Kampagne gegen die Partei zu fahren – eingedenk der Tatsache, dass sie monate-, wenn nicht gar jahrelang versucht haben, sich innerparteilich Gehör zu verschaffen und dabei immer wieder gegen Wände gelaufen sind“, monierte beispielsweise die Linken-Abgeordnete aus dem Brandenburger Landtag, Andrea Johlige.

„Auch Vorwürfe, der Partei schaden zu wollen und selbst nur die mediale Aufmerksamkeit zu wollen, fehlen nicht.“ Dass die Linke der #metoo-Skandal so erschüttert, liegt nicht nur an den Schilderungen der Betroffenen, die von Belästigung, Grabschen bis hin zur Vergewaltigung reichen. Die Vorfälle rühren an das Grundverständnis der Partei, glaubt auch der Parteienforscher Albrecht von Lucke von den Blättern für Deutsche und internationale Politik.

Die Linke verstehe sich als Emanzipationsprojekt für gerechte Geschlechterverhältnisse. Ausgerechnet sie erbringe nun den Beweis, dass in ihren Reihen eine „absolute Machokultur“ herrsche. Das sei desaströs . „Und es wird erhebliche Wählerstimmen kosten.“

„Der Partei fehlt es an allem“

Bereits jetzt steht die Linke am Abgrund. „Der Partei fehlt es an allem: Es gibt keinen inneren Zusammenhalt, kein Projekt, kein Personal, keine Strategie, kein Alleinstellungsmerkmal“, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. „Das ist eine spektakulär verdichtete Krisensituation, die keineswegs vom Himmel fällt.“ Jahrelang habe sich die Linke an der SPD angearbeitet, anstatt ihr Profil zu schärfen. Jetzt komme der #Metoo-Skandal dazu. „Die Linke sieht sich als feministische Partei. Was hier jetzt ans Licht kommt, lässt jeglichen Rest an Authentizität schwinden.“

Das machte sich auch an der Wahlurne bemerkbar: Bei der letzten Bundestagswahl scheiterte die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde und konnte nur wieder ins Parlament einziehen, weil sie drei Direktmandate errungen hatte, die ihr den Fraktionsstatus sicherten. Bei der Landtagswahl im Saarland hatte sie 10,2 Prozentpunkte verloren – vor allem an die SPD. So drastische Verluste hatte es für die Partei noch nie gegeben. Der Linken – so die einhellige Analyse – droht der Fall in die Bedeutungslosigkeit.

Auch Hennig-Wellsow macht das zu schaffen. In der persönlichen Erklärung, die sie am Mittwoch veröffentlichte, schildert sie eine Erinnerung an den Sonntag der letzten Bundestagswahl. Da steht sie in ihrem Wahllokal in Erfurt, auf einem Schulhof in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Menschen kommen vorbei, manche grüßen sie, andere wünschen ihr Glück. Einige haben sie gewählt. „Was würden diese Menschen heute auf die Frage antworten, ob ihre Erwartungen erfüllt wurden?“, fragt sich nun Hennig-Wellsow.

Sie fühle sich verantwortlich gegenüber alleinerziehenden Müttern in Plattenbausiedlungen, gegenüber Flaschen sammelnden Rentnern und Familien, die Angst vor der Heizkostenabrechnung haben. „Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen“, schreibt sie. Die Linke habe zu wenig von dem geliefert, was sie versprochen habe.

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In den vergangenen Wochen hatte die Linke dann der Krieg in der Ukraine zusätzlich in ihren Grundfesten erschüttert. Die russlandfreundliche Partei, die einen Austritt aus der Nato forderte, sah sich mit ihren eigenen Fehlern konfrontiert. Innerhalb der Linken entbrannte ein Streit. Hennig-Wellsow setzte sich dafür ein, beispielsweise das Verhältnis zur Nato neu zu überdenken. „Sagen wir weiterhin jenen, die ihre Sicherheit in der Nato suchen, dass deren Auflösung unser programmatisches Ziel ist?“, fragte sie. Doch von dem Ergebnis dieses internen Diskussionsprozesses ist bislang wenig nach außen gedrungen.

Von Lucke glaubt: „Sie brechen nicht mit ihrer Tradition. Der Grund dafür: Sie haben riesige Angst, ihre traditionell russland-freundlichen Wähler im Osten zu verprellen. Deswegen werden sie ihren Kurs der Aufklärung und Distanzierung von früheren Positionen immer sanfter betreiben als andere.“

Der Rücktritt von Henning-Wellsow dürfte nun die Konflikte innerhalb weiter verschärfen. Eigentlich sollten Hennig-Wellsow und Wissler an der Spitze die Breite der Partei abbilden. Die Ostdeutsche Hennig-Wellsow, eine Pragmatikerin, ihre Co-Vorsitzende Wissler dagegen eher in der Tradition der westdeutschen Linken. Diese Konstellation ist nun an ihr Ende gekommen.  

„Das ist ein schwelender Brand“

Albrecht von Lucke glaubt, dass den Rücktritt Hennig-Wellsows der Druck auf Janine Wissler, steigen wird. Wissler war lange Fraktionsvorsitzende in Hessen. Der „Spiegel“-Bericht legte nahe, sie habe nicht ausreichend auf die Fälle von Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch in der Partei reagiert. Wissler bestreitet das.

Wenn Janine Wissler in ihrem Amt verbleibe, werde dies Munition sein in den zu erwartenden Grabenkämpfen, glaubt von Lucke. „Das ist ein schwelender Brand.“ Wissler ringe ob der desolaten Werte ohnehin um Selbstbehauptung, der #metoo-Skandal erschwere ihre Lage nun umso mehr. Sie habe Schwierigkeiten, sich von der Fraktion der Putin-Versteher um die umstrittenen Linken-Ikone Sahra Wagenknecht abzugrenzen.

Experte sieht Zukunft der Partei düster

Eigentlich habe die Linke jetzt eine große Chance, meint von Lucke. „Sie hätte alle Möglichkeiten, die linke Leerstelle jenseits der SPD zu besetzen: Zwei vermeintlich linke Parteien, SPD und Grüne, ziehen gerade in den Krieg. Die pazifistisch ausgerichtete Friedensbewegung findet ihren Hort nicht mehr bei den Grünen und auch nicht bei der SPD, das ist doch ein enormes Potential“, sagt er. Wäre die Linke geschlossen, könne sie leicht 8 bis 10 Prozent erzielen. „Das ist das eigentliche Desaster für die Partei.“

Die Zukunft der Linkspartei sieht der Parteienexperte düster. „Im Westen ist ihr Schicksal als Splitterpartei bereits besiegelt. Als Partei in der Breite und in den Landtagen ist die Partei erledigt, sie wird nur noch in den Großstädten existent sein.“, sagt er.

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