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Die Sonne scheint in ein verbranntes Waldstück in Brandenburgs.

© Ralf Hirschberger/dpa

Waldbrände in Brandenburg: Deutschland, ein Waldfriedhof

Feuer haben in Brandenburg über 1000 Hektar Wald verschlungen, wenig im Vergleich zu den Dürreschäden. Ein Land, dem die Bäume ausgehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Torsten Hampel

Ein geflügeltes Wort, das recht kleine Flügel hat, geht so: „Das Wetter bleibt sich nichts schuldig.“ Auf Hitze folgt irgendwann immer Kälte. Auf Sturm folgt Windstille und Zeit zum Aufräumen. Auf Trockenheit Regen. Kaum jemand scheint das geflügelte Wort zu kennen. Ins Internet geschrieben wurde der Satz nur ein paarmal. Ausschließlich und ausgerechnet in diesem Sommer, und immer als Ermunterung, als Zeichen der Zuversicht, als altbewährtes und deshalb mächtiges Hausmittel gegen die Resignation. Es wird Regen geben.

Der kleine Satz, der so unbekannt ist, weil er nur in Zeiten wie diesen seine Flügelchen zu spreizen scheint: Er stimmt nicht. Der Zeitraum von April bis Ende August ist auf bestem Weg, die heißeste und trockenste Periode in Deutschland seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 zu werden. Das Wetter bleibt sich den Regen schuldig. Den Menschen verlangt es damit eine Einsicht ab, die zweierlei ist: einfach zu erlangen und zu monströs, um das in Echtzeit tun zu können. Sie können dabei zusehen, wie sich wegen so etwas läppischem, flüchtigem wie einer Jahreszeit etwas aus ihrer Umgebung zu verabschieden beginnt, was sie für ewig hielten. Bäume, Wälder. Sie brennen ab zum Beispiel.

Der Umbau der Monokulturen muss jetzt schnell gehen

In diesem Jahr brannten sie in Brandenburg – bis zum vergangenen Mittwoch, dem Tag vor Ausbruch des großen Feuers bei Treuenbrietzen – 405-mal. Fast 700 Hektar Wald verschwanden. Seit Donnerstag sind mindestens 400 dazugekommen.

Kein Mensch unter Deutschlands Sonne hat so etwas wie dieses Sommerhalbjahr je erlebt. Auch kein Tier. Der Wald auch nicht. Der Wald in Deutschland ist laut Bundeswaldinventur im Durchschnitt 77 Jahre alt. Die Durchschnittseiche ist 102, die Buche 100 und die Tanne 96. Was, wenn dieser Wald – und nicht nur des Feuers wegen – diesen Sommer nicht einigermaßen überstehen wird, so wie er noch jeden Sommer seit Menschengedenken überstanden hat? Den „Jahrhundertsommer“ des Jahres 2003 zum Beispiel, den Sommer 2015, den 2016. 2016 war das sechste Jahr in Folge, in dem es laut Deutschem Wetterdienst „zu trocken“ war.

Im Thüringer Staatsforst machen sie sich Sorgen um ihre Setzlinge. Vor allem den im zurückliegenden Jahr 150 000 auf Sturmkahlflächen gepflanzten Bäumchen drohe der Tod. Man rechne mit Ausfällen bis zu 50 Prozent. In Brandenburg rechnen sie bei ihren Aufforstungen mit einem Drittel, was ungefähr der Fläche entspricht, die hier bis Mittwoch abgebrannt ist. Im Forstamt Flechtingen im Norden Sachsen-Anhalts vermutet man, dass alles, was dort in diesem Jahr gepflanzt wurde, verloren ist. Im Spessart ist man sich dessen schon gewiss.

Im Frankenwald und im Fichtelgebirge sind Wälder grau. Im Süden Sachsen-Anhalts sind Bäume schon seit Juli ohne Laub. Das Forstamt des Rhein-Neckar-Kreises gibt bekannt, dass alte Buchen Anfang August eine Blattfarbe hatten wie sonst im Oktober. In den Fichten fresse der Borkenkäfer. „Mittlerweile müssen wir von einer Jahrhundertkatastrophe sprechen“, sagt der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates.

Es gab schon einmal ein Waldsterben in Deutschland. Der Erzgebirgskamm zum Beispiel glich damals – 30, 40 Jahre ist das her – einer Endzeitkulisse. Schwefeldioxid war die Ursache, die Dreckfahnen, die aus Braunkohlekraftwerken kamen. Der Unterschied zu heute war: Der Mensch konnte das reparieren, er baute Entschwefelungsvorrichtungen in die Kraftwerksschornsteine ein. Reparieren kann er heute nichts.

Er kann im nächsten Frühjahr wieder Bäumchen pflanzen. Die in diesem Jahr gestorbenen ersetzt das aber nicht. Er kann danach vielleicht wieder dabei zusehen, wie auch sie sofort vertrocknen.

Denn das ist die eigentliche Lehre aus diesem trockenen Sommer: Er ist möglich. Und was einmal möglich ist, kann sich auch wiederholen. Es spielt dabei keine Rolle, ob dieser Sommer einfach nur Wetter ist oder eine Folge des Klimawandels und ob dieser Klimawandel menschengemacht ist oder nicht. Dieser Sommer ist da.

Setzt sich dieses Wetter fort, kann der Mensch den ganzen schönen, „Waldumbau“ genannten Mentalitätswandel im deutschen Forstwesen abschreiben, der ja vor allem der Erkenntnis folgt, aus Nadelbaummonokulturen Mischwälder zu machen, weil die wehrhafter sind gegen Extremwetter und Klimawandel. Er kann dem Borkenkäfer beim Fressen zuschauen, dem die geschwächten alten Bäume in den Fichtenplantagen nichts mehr entgegenzusetzen haben. Dem Kiefernspinner, dem Eichenprozessionsspinner, der Nonne und der Forleule. Den Rest erledigen der Sturm und das Feuer.

Menschen, sofern sie nicht ausgerechnet an Meeresküsten leben, haben dann nichts mehr in der Natur, was größer ist als sie, was über ihre eigene Lebensspanne hinausweist. Was sie mit ihren Altvorderen verbindet, die ihnen Bäume hinterlassen haben, und mit ihren Nachfahren, denen sie selbst wiederum Bäume hinterlassen. Die Menschen müssten sich etwas Neues suchen. Steine vielleicht.

Die Forstwirte fordern eine Milliarde an Hilfen. Das ist wenig

Seit Menschen in Mitteleuropa siedeln, teilen sie sich diese Gegend mit Wäldern. Sie haben diese Wälder gerodet und gepflanzt, mit ihnen Feuer gemacht und Häuser gebaut und Schiffe. Ihre Völkerschlachten fanden im Wald statt und ihre Volksmärchen spielen im Wald. Sie lesen sie ihren Kindern aus Büchern vor, die aus Wald gemacht sind. Menschen atmen den Sauerstoff, der aus Wäldern kommt. Sie dürfen die Wälder betreten, auch wenn sie ihnen nicht gehören. Sie richten darin ihre Körper und Seelen auf oder vertreiben ihre Langeweile. Das meiste, was Wälder Menschen geben, kostet nichts.

Wenn jetzt der Bund Deutscher Forstleute eine Milliarde Euro Steuerzahlergeld fordert, dann ist das vergleichsweise bescheiden. Mit einer Milliarde Euro können die Förster grobgeschätzt 500 Millionen Bäumchen pflanzen lassen. 500 Millionen, das ist die ebenfalls geschätzte Zahl der vertrockneten Jungpflanzen in diesem Jahr. Das ausgegebene Steuergeld wäre, anders als bei den Bauern, nicht nur eine bloße Wirtschaftshilfe für Privatleute. Es wäre gekaufte Hoffnung. 500-Millionen-Mal Luthers Apfelbäumchen.

In Brandenburg scheinen sie so zu denken. Der Waldumbau müsse forciert werden, sagt der Chef des Landeskompetenzzentrums Forst. Um Schatten in die Bestände zu bekommen. Um Humus, der wasserbindend ist, zu bilden.

Der Umbau, wenn er eine Chance haben soll, muss nun vor allem schnell gehen. Koste es, was es wolle. Er wäre dann zwar immer noch nichts anderes als ein Wettlauf mit dem nächsten trockenen Sommer. Ein Glücksspiel. Allerdings eines, das mit einem unbezahlbaren Gewinn winkt: mit etwas, das bis eben noch selbstverständlich war.

Ein geflügeltes Wort mit großen Flügeln geht so: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Nach allem anderen.

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