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Gesine Schwan ist Politikwissenschaftlerin und Mitglied der SPD. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin.

© dpa

Gesine Schwan zur Lage der EU: Deutschland hat sich nicht um Konsens bemüht

Gesine Schwan erklärt im Interview mit EurActiv.de, Deutschland handele immer wieder der europäischen Solidarität zuwider - in der Euro-Krise und bei der Vorbereitung auf ankommende Flüchtlinge.

Drohender Brexit, Flüchtlingskrise, Furcht vor einer neuen Bankenkrise: Europa scheint nur noch von Krisen heimgesucht, die es letztlich zunehmend zu spalten scheinen. Ist die bisherige EU-Strategie gescheitert?

Ja. Die EU-Politik, die ja maßgeblich von der Bundesregierung geprägt ist, steht im Grunde vor ihrem Offenbarungseid. Beim Ausbruch der Finanzkrise hat die Bundesregierung ganz klar eine Absage an die Solidarität an finanznotleidende Staaten getätigt und stattdessen den Rettungsschirm über den Banken mit dem Argument aufgespannt, dass das Bankensystem gerettet werden muss. Man kann sich allerdings fragen, ob dadurch nicht das europäische Staatensystem schwer gefährdet wurde.

Sie sprechen von der Bankenkrise: Was werfen Sie Deutschland vor?

Deutschland hätte die Möglichkeit gehabt, anderen Staaten freiwillig in der Finanznot zu helfen. Das aber hat die Bundesregierung mit ihrer wirtschaftspolitischen Position abgelehnt und mit einem, wie ich finde, negativen Menschenbild argumentiert: Wenn man einem Staat hilft, lädt man ihn zu weiterer Verantwortungslosigkeit ein. Ich finde aber, so hätte man auch bei der Unterstützung der Banken argumentieren können. Denn wenn man Banken hilft, unterstützt man schließlich deren Verantwortungslosigkeit. So haben sich die Staaten verschuldet, weil sie die Banken herausgekauft haben. Das Narrativ der neoliberalem Konservativen heißt aber leider: Nicht die Banken sind schuld, sondern die verantwortungslose Haushaltspolitik von Staaten. Angela Merkel hat das immer als eine Politik ohne Alternative dargestellt. Deutschland hat in der EU die größte Macht gehabt und hat sich dennoch nicht darum gekümmert, auch mit kleineren Ländern einen Konsens zu finden. Stattdessen hat die Bundesregierung auf fast religiöse Art immer wieder betont, dass die Austeritätspolitik die einzig richtige Linie sei.

Fehlt den Deutschen also die europapolitische Linie?

Das Handeln der Bundesregierung in der Bankenkrise war gegen eine gesamteuropäische Solidarität gerichtet. Das gleiche gilt auch in der Flüchtlingskrise: Die alte Dublin-Regelung war strukturell unsolidarisch. Länder wie Deutschland konnten dadurch nicht gezwungen werden, Asylsuchende aufzunehmen – es sei denn, die Schutzsuchenden kamen direkt mit dem Flugzeug nach Deutschland. Und die Bundesregierung hat immer wieder das Hilfeersuchen von Griechenland und Italien abgewehrt. Die aktuelle Bundesregierung hat sich immer vor allem so verhalten, dass es den nationalen Wählern, wie sie sich vorgestellt hat, gefällt. Auch mit Martin Schulz hat sich das nicht geändert – die EU hat sich immer sehr an den kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Deutschen orientiert. Die deutsche Opposition ist dagegen leider nie wirklich engagiert angetreten. In der Bankenkrise, Eurokrise, Schuldenkrise trat Deutschland auffällig moralisierend auf und hat nie die positiven Effekte des Schuldenmachens angesprochen. Aber ohne Schulden, sprich Kredite, würde kein Unternehmen Innovationen antreiben können, und das gilt auch für Staaten. Das aber wollte die Bundesregierung nie in den öffentlichen Diskurs lassen – genauso, wie sie nie wahrhaben wollte, dass nicht die Staatsschuldenkrise, sondern die Bankenkrise der Ursprung des Übels war. Aber viele andere und auch ich sagen schon lange voraus: Wenn Deutschland in Schwierigkeiten ist, werden wir unser unsolidarisches Handeln zurückgezahlt bekommen.

Gibt es denn Möglichkeiten, die uns Europäer wieder mehr verbinden können?

Die gibt es. Ein Beispiel ist der Vorschlag, dass man die EU-Außengrenze zwischen der Türkei und Griechenland zu einer europäischen macht, die auch europäisch organisiert und über europäische Bonds finanziert wird. So würden die Ankommenden nicht nur den Griechen als Asylsuchende zugerechnet. Nicht nur die Verteilung von Asylsuchenden sollte so finanziert werden, sondern auch auch ihre Integration. Auf diesem Weg könnte man auch gegen die Arbeitslosigkeit in Südeuropa angehen und eine Wachstumspolitik initiieren.

Was sagen Sie zu Großbritannien? Sollte das Land Mitglied der EU bleiben?

Natürlich wäre es schöner, wenn Großbritannien in der EU bliebe – auch wenn es immer eine distanzierte Haltung zu Europa und die Tendenz hatte, die europäische Integration nicht zu fördern. Trotzdem gilt jetzt: Was Cameron macht, ist innenpolitische Taktiererei und hat nichts mit EU-Politik zu tun. Ich bin nicht dafür, ihm sehr nachzugeben. Großbritannien sollte keine Sonderrolle bekommen, denn Camerons Linie ist nur Erpressung und durch nichts Sachliches begründet.

Die britische Presse hat David Cameron für seine Einigung mit EU-Ratspräsident Donald Tusk verspottet. Tusk wiederum hatte auf Twitter mit einer Verbeugung vor dem Land Shakespeares Hamlet zitiert: „Sein oder nicht zusammen sein“. Was meinen Sie, wie weit sollte der Rest Europas Großbritannien entgegenkommen?

Tusk ist Großbritannien schon viel zu weit entgegenkommen. Jedes andere Land könnte jetzt auch fordern, was Großbritannien fordert. Ich fände es sehr dramatisch, wenn das Beispiel Großbritannien Erfolg hat und Erpressung sich als erfolgreiche Masche durchsetzen würde.

Cameron gibt vor, ein Problem zu lösen, dass keines ist: EU-Immigranten tragen mehr zum britischen Haushalt bei, als ihnen gezahlt wird. Dennoch folgen viele Menschen seiner Argumentation. Welche Rolle haben die Medien bei der Tendenz zur Renationalisierung in vielen Ländern?

Medien haben natürlich eine ganz wichtige Verantwortung inne. Allein der häufig genutzte Begriff des Nettozahlers ist irreführend. Das ist populistische Propaganda gewesen, die darauf aufbaut, dass die einzelnen Nationalstaaten ihr eigenes Süppchen kochen und sich nicht darum kümmern, was insgesamt mit der EU passiert. Weil einzelne Länder ein Übergewicht im EU-Rat haben, darunter Deutschland, richten sie sich vor allem danach, ihren Wählern zu gefallen. Das wird zu einem großen Teil auch von den Medien unterstützt.

Ist die Idee von Europa in Gefahr?

Ja, das ist sie – und das nicht erst jetzt durch die Flüchtlingskrise. Aber sie bringt die bisher geheuchelte Solidarität zum Vorschein. Doch für den Verzicht auf moralische Geradlinigkeit werden wir büßen müssen. Hoffnung machen mir aber die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen, Gewerkschaften, und auch die DiEM 25-Bewegung, die der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis gerade in der Berliner Volksbühne vorgestellt hat. Sein Konzept ist zwar noch ganz am Anfang. Dass die Grundziele – Solidarität und Demokratie – unter die Räder gekommen sind, dem stimme ich zu. Und auch die Intransparenz in der EU nimmt tatsächlich zu. Wo ich mich aber von Varoufakis’ Position unterscheide: Nicht die EU-Institutionen als solche sind das Problem, sondern ihre desintegrierende Handhabung durch eine klare neoliberal-konservative Mehrheit – die aber auch gewählt wurde. Ich finde es darum gut, wenn sich Bewegungen wie DiEM 25 stark machen und ihre Forderungen nach außen tragen. Es sollte noch weitere andere Initiativen geben, die sich für Transparenz und mehr Solidarität einsetzen.

Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

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