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Länderporträts: Deutschland, links unten

Sie haben beide einen Bindestrich im Namen. Und der macht es ihnen schwer, weil er verbindet, was nicht recht zusammenpasste. Und in beiden Ländern wird heute gewählt. Wer sind Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz?

Stand:

Für den, der aus der Ferne von oben nach unten blickt, geografisch korrekt: von Nord nach Süd, für den ist Baden-Württemberg perfekt. Das Land hat alles, wonach andere sich sehnen. Es ist selbstbewusst, ohne dreist zu sein, wohlhabend, ohne damit zu prahlen, innovativ und traditionsreich zugleich. Weltkonzerne wie Daimler, Porsche und Bosch tragen den Ruf Baden-Württembergs in die Welt hinaus. Die Universitäten in Freiburg, Heidelberg und Konstanz gehören zur deutschen Spitzenklasse, und landschaftlich berauschend schön ist es auch. Während wir in Berlin noch frieren, blühen im Markgräfler Land die Mandelbäume.

Das alles stimmt, und noch viel mehr, und doch ist es, aus der Nähe betrachtet, nur die Hälfte der Wahrheit über dieses Bundesland. Baden-Württemberg wurde die Spitzenposition auf so vielen Feldern des innerdeutschen Wettbewerbs nicht in den Schoß gelegt. Im Südwesten gab es früher bittere Armut, etwa auf der Schwäbischen Alb mit ihren kargen Böden und den harten, langen Wintern. Im Muschterländle, wie die württembergischen Landeskinder ihre Heimat nennen, herrschte in den Gründungsjahren nach 1952 alles andere als Harmonie, denn das Land, das heute modellhaft für genutzte Chancen steht, war ein Kunstprodukt, entstanden unter dem Druck der Verhältnisse und dennoch bis heute das einzige Beispiel für die Neuordnung von Ländergrenzen in der Bundesrepublik. Die von den Besatzungsmächten Frankreich und USA nach 1945 gegründeten Länder Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern waren sich am Beginn der durch den Grundgesetzartikel 118 ausgelösten Zwangsehe nicht grün. Das Ergebnis einer Volksabstimmung 1951, bei der sich Südbaden für Eigenständigkeit ausgesprochen hatte, wurde von den Befürwortern des Südweststaates manipuliert ausgelegt. Vertreter Südbadens wandten sich in Prozessen bis zum Bundesverfassungsgericht letztlich erfolgreich gegen den Wahlbetrug, aber als es zu einer neuen Volksabstimmung kam, 1970, waren die alten Gräben längst zugeschüttet. Die Badner hatten ihren Frieden mit dem Gesamtstaat gemacht.

Geblieben sind aus jener Zeit die Frotzeleien zwischen Schwaben und Badnern. Erstere sind davon überzeugt, dass sie den Wohlstand des Landes erarbeiten und unterstellen den badischen Landsleuten einen gewissen Hang zur Leichtlebigkeit. Die hingegen mögen die pietistische Frömmelei überhaupt nicht und verweisen darauf, dass Württemberg letztlich nur durch die landschaftliche Schönheit Badens und dessen bessere Küche und gehaltvollere Weine zu ertragen sei. Wie bei allen Vorurteilen gilt hier: Nichts kommt von nichts…

Tatsächlich haben sich die mehr als zehn Millionen Baden-Württemberger miteinander und in Deutschland sehr gut eingerichtet. Nirgendwo in der Bundesrepublik ist die Arbeitslosigkeit niedriger, die Zahl der Erfindungen größer und die allgemeine Bildung höher. Baden-Württemberg ist, anders als die ebenso reichen Nachbarn, die Bayern, frei von separatistischen Sprüchen. Und auch dies ist anders als in Bayern, das bis 1986 Nehmerland beim Länderfinanzausgleich war: In den haben die Baden-Württemberg vom ersten Tag an eingezahlt. Mit Kurt-Georg Kiesinger, Hans Filbinger, Lothar Späth und Erwin Teufel hatten sie, freilich jeder auf ganz eigene Art, herausragende Ministerpräsidenten, die das Land voranbrachten. Eine kluge Struktur- und Förderpolitik trug zur Wohlstandsverteilung bei. Ausgesprochene Armenhausgegenden, wie noch vor 50 Jahren, gibt es heute im Südweststaat nicht mehr. Die Wirtschaftskraft des mittleren Neckarraumes ist zwar herausragend, die jüngste Weltwirtschaftskrise hat aber gezeigt, wie schnell eine hohe Exportabhängigkeit zum Pferdefuß werden kann.

Dass die Mentalität des „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ nicht etwa in den (schwäbischen) Genen liegt, sondern eine ansteckende Eigenschaft ist, beweisen die vielen Gastarbeiterfamilien, vor denen der Wohlstand nicht halt gemacht hat. Der unaufdringliche Stolz auf das, was man erreicht hat, ist für Baden-Württemberg genauso typisch wie das starke bürgerschaftliche Engagement in Vereinen und sozialen Institutionen.

Und noch etwas sollte die Politik nie unterschätzen: Die Naturverbundenheit der Menschen. Der Schwäbische Albverein ist, wie der Schwarzwaldverein, eine Volksbewegung. Beide zusammen haben fast 200.000 Mitglieder. Dass man am Wochenende mit den Kindern aus den Städten hinauszieht und wandert, bis heute eine Selbstverständlichkeit. Als der wenig stimmungssensible Ministerpräsident Hans Filbinger ab 1973 den Bau eines Kernkraftwerkes in Wyhl am Kaiserstuhl mit der Drohung durchsetzen wollte, sonst gingen demnächst die Lichter aus, biss er sich am Widerstand der Winzer und Bauern die Zähne aus. Deren zorniger Protest wurde durch die Gleichsetzung seiner Initiatoren mit linken Chaoten eher noch angestachelt. Deshalb war es für langjährige Beobachter des Landes keine Überraschung, wie sich das Aufbegehren gegen Stuttgart 21 hochschaukelte – reagierte doch die Landespolitik im letzten Herbst zunächst genauso autoritär wie vier Jahrzehnte zuvor, obwohl auch diesmal biedere Bürger auf die Barrikaden gingen.

Wer gewinnt heute? Nimmt man alle Eigenschaften der Baden-Württemberger zusammen, die konservativen wie die liberalen Traditionen, Fortschrittsglauben und Naturliebe, bleibt als Schlussfolgerung: Vertrauen muss in der Politik stets neu erarbeitet werden. Wer Sprüche klopft, hat in Südwest so wenig Chancen wie der, dem man nicht mehr glaubt. Darauf mache sich nun jeder seinen Vers… Gerd Appenzeller

{Seitenumbruch-Titel} Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wer ist Rheinland-Pfalz

Gute Frage, was Rheinland-Pfalz ist. Womöglich gibt es dieses Land ja gar nicht. In jedem Fall ist es die schrillste jener Bindestrich-Kreationen, die die Alliierten nach dem Krieg im Westen Deutschlands erfanden. Was Franzosen und Amerikaner da zurechthäkelten, gehörte und gehört bis heute weit weniger zusammen als Altbayern und Franken, als Baden und Württemberg. Im wesentlichen Teil süddeutsch, ragt Rheinland-Pfalz im Norden um Mosel und Saar, Koblenz und die Eifel über die Dat-und-Wat-Grenze hinaus. Aber auch die südlichen Landesteile haben herzlich wenig gemein. Das grundkatholische Mainz, Kurfürstensitz und bis Napoleon ein politisches Zentrum Deutschlands, und die evangelisch-reformierte, ländliche Pfalz, der rheinhessische Dialekt und der pfälzische: Was wäre da ähnlich? Mit einer Kampagne nach Düsseldorfer Vorbild „Wir in Nordrhein-Westfalen“ hat man es folglich nie versucht, Appelle an ein nicht existentes Wir-Gefühl weise vermieden. Die Zwangsehe ab 1946 war sowieso eine schlechte Voraussetzung für eine große Liebe: Schließlich ließ die lange Herrschaft zweier hörbar echter Pfälzer, Helmut Kohl und Kurt Beck, im Rest der Nation den Eindruck entstehen, die Landeshauptstadt Mainz sei selbst Teil der Pfalz. Mainzer schmerzt das, Erst recht, seit der FSV Mainz 05, jahrzehntelang eine Gurkentruppe von nicht einmal regionaler Bedeutung, unter seinem charismatischen Trainer Jürgen Klopp vor ein paar Jahren die Kicker im smarteren Freiburg als nationaler Kultclub ablösen und Kaiserslautern in der Pfalz jedenfalls imagemäßig weit hinter sich lassen konnte. Was der Ministerpräsident dazu meint, muss er für sich behalten. Natürlich hält der Pfälzer den Lauterer Buben die Daumen, aber als Landesvater mit Büro in der Hauptstadt muss Beck sich ab und zu im Stadion der 05er zeigen. Das wird bald wie so viele andere Stadien Arena heißen und ganz woanders liegen, auf den Kohläckern im Mainzer Gemüsegürtel. „Wo machsten hi?“ „An de Bruchwesch.“ – Das wird nach dieser Saison Vergangenheit sein.

Dabei gibt’s einiges, was das Rheinland und die Pfalz verbindet. Mainz, Worms und das ostpfälzische Speyer waren im Mittelalter die drei europäischen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und Dichtung – wie auch Schauplätze grausamer antijüdischer Pogrome. Und wie auch immer künstlich entstanden, versammelt das Land, das seit mehr als 65 Jahren Rheinland-Pfalz heißt, eine ganz besondere Melange von Menschen, jene ethnisch wilde, glückliche Mischung, die der Mainzer Schriftsteller Carl Zuckmayer in seinem Stück „Des Teufels General“ dem Nazi-Rassenwahn entgegenhielt. „Es waren die Besten, mein Lieber!“ heißt es über die Menschen am Rhein in der Standpauke, die der Titelheld dem Fliegeroffizier Hartmann hält. „Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein, das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse. Seien Sie stolz darauf, Hartmann – und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt.“

Damit ist das Lebensgefühl zwischen Rhein und Mosel, Koblenz und Landau noch immer gut beschrieben. Wo die Nachbarn im Süden tüfteln und granteln, die im Norden auch mal dröhnen, sind die Rheinländerin und der Pfälzer, der Trierer und die Bürgerin von der Südlichen Weinstraße vor allem freundlich-neugierig und offen. Ein „Mir-san-mir“-Gefühl oder „Wir in...“ braucht’s nicht. Woher auch nehmen? Wer ist denn schon „wir“? Fremde waren in dieser Gegend schließlich alle irgendwann einmal.

Zur gesamteuropäischen Mischung – Zuckmayers General lässt den römischen Feldhauptmann, den griechischen Arzt, jüdische Gewürzhändler, schwedische Reiter, desertierte Kosaken und napoleonische Soldaten passieren – kommt die Nähe Frankreichs und damit vielleicht eine gewisse natürliche Neigung zur Freiheit: Wo heute Rheinland-Pfalz ist, wurde 1792 die – freilich recht kurzlebige – erste Republik auf deutschem Boden ausgerufen, die Mainzer Republik. Und vierzig Jahre später feierten nebenan im pfälzischen Hambach zum großen Ärger der fürstlichen Reaktion die Demokraten ihr Fest. Den Buchdruck mit beweglichen Lettern, Medium und Motor aller großen Umwälzungen seit der Reformation, hat sowieso der Mainzer Johannes Gutenberg erfunden.

Wo so viel revolutionäres Erbe ist, gedeihen unverrückbare Glaubenssätze womöglich schlechter als anderswo. Schon das Dogma, Rheinland-Pfalz sei tiefschwarz und konservativ, zerbröselte im Sieg des Sozialdemokraten Rudolf Scharping 1991. Und zwar auf Dauer. Auf Scharping folgte 1994 Genosse Kurt Beck, und der ist bis heute Ministerpräsident.

Genauso könnte jetzt die Kreuznacher Christdemokratin Julia Klöckner für eine Überraschung gut sein. Ob sie und die Grünen, falls es rechnerisch reicht, wirklich nicht miteinander könnten, ist noch sehr die Frage. Gegen die „Sozen“ haben sich Schwarze und Grüne schließlich schon einmal spektakulär zusammengetan, als sie wegen der Nürburgring-Affäre gemeinsam „König Kurt“ die EU-Kommission auf den Hals hetzten. Dass auch die Schwarzen den Kopf noch nicht so lange aus dem Sumpf haben – nach üppigen Strafzahlungen musste die Landes-CDU ihre Zentrale verkaufen, um den Landtagswahlkampf zu finanzieren – wird da nicht viel ändern. Die frühere Weinkönigin Julia I. hätte dann die Scharte ein wenig ausgewetzt, die der notorische Weinköniginnenküsser Rainer Brüderle, ehemals Landes-Wirtschaftsminister und noch immer Vorsitzender der rheinland-pfälzischen FDP, dieser Tage mit seinem freimütigen Geständnis geschlagen hat, das mit dem Atom-Moratorium der Bundesregierung habe doch nur mit den vielen Landtagswahlen zu tun.

Überhaupt der Wein: Wo nicht gerade Wald im Wege steht, gedeiht der überall in Rheinland-Pfalz. Wie will man für so ein Land schon Prognosen stellen? Andrea Dernbach

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