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Macht interessante Vorschläge: Familienministerin Franziska Giffey wünscht sich an der SPD-Spitze eine Person, die ihr ähnlich ist. Doch da bleibt ein Risiko: ihre Doktorarbeit.

© imago images / Jürgen Heinrich

Die an die Regeln glaubt: Giffey bringt sich als SPD-Chefin ins Spiel

Familienministerin Franziska Giffey kommt aus der Deckung und empfiehlt sich der SPD als neue Chefin. Was könnte die Berlinerin in der Partei ändern?

Von Hans Monath

Womöglich wird ihr Vater darüber entscheiden, wer an die Spitze der SPD rückt. Franziska Giffey war Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, als sie vor mehr als einem Jahr das Angebot bekam, in die Bundespolitik zu wechseln und Familienministerin zu werden. Sie zögerte, denn sie fühlte sich ihren Wählern verpflichtet. Den Ausschlag gab dann ein Gespräch mit dem Vater, wie die Tochter wenig später erzählte: "Er hat gesagt: Wenn du verantwortlich handelst, dann musst du es aus Verantwortung für Deutschland und die SPD machen. Das hat mich überzeugt."

Jetzt steht wieder eine Frage an, die Franziska Giffey in ihrem eigenen Interesse und in dem ihrer schwer angeschlagenen Partei beantworten muss: Kann sie dazu beitragen, die SPD vor dem Untergang zu bewahren? Kann sie dazu beitragen, die SPD als eine politische Kraft in Deutschland im Spiel zu halten, die für sozialen Ausgleich sorgt? Und wollen die Sozialdemokraten sie auch?

Fest steht: Das Argument "aus Verantwortung für Deutschland und die SPD" wird sie nicht leichtfertig beiseite wischen. Die Worte, sie klingen ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Aber sie beschreiben gut, wie die in Ostdeutschland aufgewachsene Politikerin denkt und fühlt - und wie sie sich selbst sieht. Ungeachtet aller Plagiatsvorwürfe gegen ihre Doktorarbeit hat sich Giffey vorgenommen, ihre Zeit zu nutzen und weiter mit aller Kraft weiter für gesellschaftlichen Zusammenhalt zu kämpfen.

Spätestens seit die Ministerin in der Talksendung „Anne Will“ am Sonntagabend nichts ausschließen wollte, ist die Frage nach ihrer Zukunft in der SPD öffentlich aufgeworfen. "Das muss man sehr gut abwägen", meinte sie dort und verwies darauf, dass sie auch einen neunjährigen Sohn habe und an ihrem Familienleben hänge. Pläne dementierte sie nicht, sagte stattdessen: "Ich werde dazu heute Abend keine Aussage treffen."

Am Mittwoch ging die SPD-Politikerin einen großen Schritt aus der Deckung. Sie gab der "Süddeutschen Zeitung" ein Interview, das in ihrer Partei als Bewerbung um das Spitzenamt gelesen wird. "Die Leute entscheiden viel über den Bauch, über Sympathie", sagte sie: "Es ist extrem wichtig, dass im Vorsitz jemand ist, der Bauch und Herz erreicht." Die SPD müsse endlich wieder Zuversicht ausstrahlen, weil die Leute keine „Miesepeter“ mögen würden. Das klang wie eine Selbstbeschreibung der meist Optimismus ausstrahlenden Berlinerin. Doch vor kommendem Montag, dem Datum, an dem der SPD-Vorstand über das Verfahren zur Vorsitzenden-Wahl entscheidet, will Giffey nicht deutlicher werden.

Eine Doktorarbeit als Risiko

Die Ostdeutsche sorgt nun dafür, dass den Sozialdemokraten einmal vor Augen geführt wird, was sie bekommen würden, wenn sie sie zur Vorsitzenden wählen - nach dem Motto: Wenn ihr mich ruft, dann müsst ihr auch meine Überzeugungen ertragen. Denn die Ministerin hielt bislang wenig von dem Linkskurs, auf den Andrea Nahles die SPD geführt hatte. Intern hatte sie sich dagegen gestemmt - ohne großen Erfolg.

Während Nahles und ihre Unterstützer über einen gängelnden Sozialstaat klagten, der Menschen die Würde raube, betont Giffey immer wieder die Selbstverantwortung des Einzelnen, sieht die Gefahr, dass sich Transferempfänger dauerhaft im Sozialsystem einrichten. Sehr anschaulich kann die Ex-Bezirksbürgermeisterin von ihren Erlebnissen in Neukölln berichten, wo von 330.000 Einwohnern 78.000 Kunden des Jobcenters sind. Manche Familien haben sich dort damit arrangiert, über Generationen Hartz IV zu beziehen, statt Arbeiten zu gehen. Erlebt hat die Politikerin dort auch, dass viele mit Schwarzarbeit dazuverdienen und so über nicht weniger Geld verfügen als ihre Nachbarn, die hart arbeiteten.

Giffey kennt die Sicht derer, die ihrem Beruf nachgehen und sich an die Regeln halten. In der Autowerkstatt ihres Vaters hört sie die Urteile solcher Menschen über Fehlentwicklungen - und spürt ihren Unmut. Dass Staat und Gesellschaft Regeln gegen Regelbrecher durchsetzen müssen, wenn das Ganze funktionieren soll, davon ist die Politikerin überzeugt.

Das gilt in ihren Augen sowohl für Menschen, die den Sozialstaat ausnutzen, wie auch für die Themen Migration und Integration. Ideologische Vorgaben aus dem Kosmos der SPD schiebt sie notfalls zur Seite, weil sie das Sicherheitsbedürfnis gerade kleiner Leute sehr ernst nimmt. So warnten Genossen, es sei rassistisch gegen Clan-Kriminalität arabischer Familien vorzugehen. Giffey tat es in Neukölln trotzdem -lange vor anderen. Manchen in der eigenen Partei gilt sie als "Rechte".

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die SPD von Dezember an von einer Doppelspitze geleitet werden. Würde Giffey antreten, bräuchte sie womöglich einen Ko-Aspiranten, der über andere Eigenschaften verfügt als sie selbst. Giffey hat mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil eine Doppelkandidatur erwogen. Weil ist Chef seines SPD-Landesverbandes, kennt die Partei von innen. Er würde Kontinuität verkörpern, Giffey mit ihren 41 Jahren und gerade 16 Monaten Erfahrung in der Bundespolitik den Part der Erneuerin übernehmen.

Gegen Weil spricht allerdings: Ein Duo zu bilden mit einem Repräsentanten des linken Flügels, könnte Giffeys Chancen erhöhen. Allerdings wird unter Hauptamtlichen in der SPD schon gefragt, wie stark sich die Ministerin für die Partei in der Vergangenheit eingesetzt habe und ob sie ihr wirklich zugetan sei. Als Gradmesser für Engagement gilt in der weiteren Parteiführung unter anderem die Zahl von Auftritten vor sozialdemokratischen Untergliederungen irgendwo in der deutschen Provinz - eine Disziplin, in der Giffey sich bislang keine großen Lorbeeren erworben hat. Elf Jahre ist sie erst in der Partei, der andere ihr ganzes Leben verschrieben haben. Würde eine Mehrheit der Sozialdemokraten darin einen Vorteil sehen - es wäre eine Revolution der SPD-Parteikultur.

Bleibt die Entscheidung der Freien Universität (FU) Berlin über die Doktorarbeit von Giffey, der die Internetplattform "Vroniplag" massive Plagiate bescheinigte. Sie wird in den kommenden Monaten erwartet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie und andere SPD-Minister das Frühjahr noch im Amt erleben, ist gering. Viel spricht dafür, dass die SPD auf dem Parteitag im Dezember die Koalition aufkündigen wird. Würde ihr die FU erst danach den Titel aberkennen, träfe es sie nicht mehr als Ministerin.

Selbst den Fall, dass ein negatives FU-Urteil früher einschlägt, halten Insider das Risiko für beherrschbar. Dann, so lautet die Erwartung, würden sich nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern auch die CDU-Spitze mit Attacken und Rücktrittsforderungen zurückhalten. Zwar hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer vor wenigen Wochen an die harten Angriffe der SPD auf die Plagiatsbeschuldigten Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und Annette Schavan (CDU) erinnert und vor doppelten Maßstäben gewarnt. Doch das war vor der Europawahl, die beiden Partnern massive Verluste bescherte. Seither schont die Union die SPD in der Koalition in auffälliger Weise, weil sie die Angst vor dem Ende der Regierung und baldigen Neuwahlen umtreibt.

Giffey selbst äußert sich nicht zu solchen Fragen. Sie verweist auf ein gutes Gewissen, gibt sich gleichzeitig demütig gegenüber jedem kommenden Urteil, lässt aber offen, wie sie im Fall eines Entzugs reagieren will. Ob die Planspiele dann aufgehen - oder eine empörte Öffentlichkeit dann einen Rücktritt fordern würde, ist deshalb völlig offen. Die Freie Universität jedenfalls lässt sich nicht in die Karten schauen. Im Gegenteil: Nicht einmal zum Datum der Entscheidung macht sie Andeutungen. Ein "Damoklesschwert" nannte kürzlich der Publizist Albrecht von Lucke das drohende Urteil. Franziska Giffey muss unter diesem Schwert leben - und die SPD sich womöglich entscheiden, ob auch sie ein so hohes Risiko eingehen will.

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