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Die Weltmacht USA zieht sich zurück, andere Mächte triumphieren.

© Hussein Malla/AP/dpa

Versagen des Westens im Nahen Osten: Die Fehler begannen beim Arabischen Frühling

Von Ägypten bis Syrien: Der gute Wille des Westens bereitete den Weg, der zu Chemiewaffeneinsätzen und Massengräbern führte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das war die Frage zur letzten Sendung von Anne Will: „Erdogans Siegeszug – schaut Europa weiter hilflos zu?“  Die Teilnehmer hätten kurz „Ja“ sagen können, doch dann wäre es eine sehr kurze Sendung gewesen. Also wurden diverse Vorschläge gemacht. Sie reichten von der Einrichtung eines EU-Sondergesandten für die Region über eine Art KSZE für den Nahen Osten bis zu einem Einsatz europäischer Soldaten in der sogenannten Sicherheitszone – einem Gebiet in Syrien, das die Türkei kontrollieren möchte.

Diese Antworten indes waren kaum mehr als ein „Ja, aber“, wodurch die bittere Wahrheit verschleiert werden sollte, dass nicht nur die EU sondern der gesamte Westen weiter hilflos zuschauen werden. Soll wirklich die Bundeswehr entsandt werden, um Frieden zu stiften zwischen Türken, Kurden, Syrern und Islamisten? Man muss die Frage nur stellen, um die Antwort zu kennen.

Wie ist die Lage? Baschar al-Assad hat seine Macht konsolidiert, keiner hat mehr ein Interesse daran, ihn zu stürzen. Die russische Schutzmacht baut ihre Militärpräsenz weiter aus, die iranische Schutzmacht freut sich über den Rückzug der US-Truppen. Gemeinsam mit der Türkei und dem Irak versuchen sie, das Streben der Kurden nach Autonomie zu unterdrücken.

Die Anti-Assad-Rebellen sind zersplittert und zum großen Teil islamistisch indoktriniert. Die kleine, moderate Bürgerrechts-Opposition spielt keine Rolle. Wo soll da Platz für Europa, für den Westen sein? Warum sollten Iran, Russland, die Türkei und Syrien dem Westen irgendeinen Platz in ihrer Region einräumen?

Die Katastrophe begann vor fast genau zehn Jahren

Es ist höchste Zeit, sich die Gründe für das Scheitern des Westens insbesondere im Syrienkonflikt vor Augen zu führen. Denn die Katastrophe begann vor fast genau zehn Jahren mit einer Hoffnung, ja einer Verheißung. Der gute Wille pflasterte den Weg, an dessen Ende Chemiewaffeneinsätze und Massengräber standen.

Damals sprach US-Präsident Barack Obama in Kairo: „Alle Menschen sehnen sich nach bestimmten Dingen – der Fähigkeit, seine Meinung zu äußern und ein Mitspracherecht dabei zu haben, wie man regiert wird. Sie wollen Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und in die Gleichheit vor dem Gesetz, sie wollen eine Regierung, die transparent ist und Menschen nicht bestiehlt, sowie die Freiheit, so zu leben, wie man möchte.“

Obama beendete seine wohlklingende Analyse mit einem weitreichenden Versprechen: „Das sind nicht nur amerikanische Ideen, sondern es sind Menschenrechte. Und aus diesem Grund werden wir sie überall auf der Welt unterstützen.“

Der Arabische Frühling begann

Wenig später schienen Obamas Worte gehört worden zu sein, der Arabische Frühling begann. Im Namen von Freiheit und Demokratie wurden Despoten gestürzt, zunächst in Tunesien, dann in Ägypten. Erinnerungen an den Mauerfall wurden wach.

Doch die Analogien täuschten. In Ägypten setzte sich bei den ersten freien Wahlen der Muslimbruder Mohamed Mursi durch, der alsbald gestürzt und dessen Herrschaft durch eine erneute Tyrannei abgelöst wurde. Der bis heute mit harter Hand regierende Präsident Abd al-Fattah as-Sisi ist kaum besser, als Hosni Mubarak es war.

In Libyen herrschen Chaos und Anarchie

Als nächstes sprang der Funke der Rebellion nach Libyen über. Weil in der Stadt Bengasi ein Massaker drohte, intervenierten Frankreich, Großbritannien und die USA. Mit westlicher Hilfe und getrieben von durchaus sympathischem Menschenrechtsidealismus wurde Muammar Gaddafi gestürzt. Doch anschließend zog der Westen sich zurück, seitdem herrschen in Libyen Chaos und Anarchie, islamistische Terrororganisationen breiten sich aus.

Westliches Engagement war immer nur gesinnungsethisch motiviert. Die Verantwortung für eine Nachrevolutionsordnung wollte das Wertebündnis nie übernehmen.

Schreckliche Bilanz in Afghanistan und Irak

Als Mahnung dienten die Einsätze in Afghanistan und dem Irak. Die Bilanz des Afghanistankrieges? Hunderttausend Tote, eine Billion Euro Militärausgaben, eine halbe Billion Euro für Entwicklungshilfe, trotzdem kehren die Taliban zurück.

Die Bilanz des Irakkrieges? Fast 20.000 Tote, 2,2 Billionen US-Dollar, in Bagdad kamen Vertreter der mit dem Iran verbundenen Schiiten an die Macht, die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ formierten sich.

Auf die Libyen-Malaise folgte das Syrien-Debakel. Auch hier war der Westen, trotz oft martialisch klingender Botschaften in Richtung Damaskus, nie zu einem echten Engagement bereit. Denn wie nach Afghanistan, dem Irak und Libyen galt, wie nach jedem Krieg, die alte Porzellanregel: Was Du kaputt machst, musst Du bezahlen. Mit allen Konsequenzen wie „nation building“, Aufbau von Justiz, Verwaltung, Infrastruktur, Bildungswesen. Selbst das Überschreiten „roter Linien“ blieb folgenlos.

Die „Aufständischen“ wurden vom Westen bewaffnet

Überdies musste jedem Realpolitiker klar sein, dass Assad von einem anderen Kaliber sein würde als Gaddafi oder Mubarak. Denn Assad kämpfte nicht nur für sich und seine Herrschaft, sondern auch für die Minderheit der Alawiten, die stets die Rache der Sunniten fürchten mussten. Außerdem hatte er, anders als die Despoten in Kairo, Tunis und Tripoli, mit Russland und dem Iran zwei starke Schutzmächte.

Trotzdem wurden die „Aufständischen“ vom Westen bewaffnet und ermuntert, selbst in aussichtsloser Lage gegen Assad Widerstand zu leisten. Panzerabwehrwaffen wurden geliefert, Panzerabwehrlenkraketen und schultergestützte Flugabwehrraketen. Auch aus Libyen kamen Waffenlieferungen an, weil viele islamistische Gaddafi-Gegner mit den syrischen Rebellen sympathisierten. Die Waffen stammten aus geplünderten Waffendepots Gaddafis.

Der Bürgerkrieg in Syrien verlängerte sich

Ohne Zweifel verlängerte sich der syrische Bürgerkrieg, weil der Westen viel zu lange die Illusion verbreitete, die Gegner Assads tatkräftig zu unterstützen. Dabei gab es weder überzeugende Aufbaupläne für eine mögliche Nach-Assad-Ära, noch wurde gezögert, die zunehmend islamistisch beeinflussten Rebellen massiv aufzurüsten.

Ob Al Qaida, Al Nusra, die Brigade des Islam oder die IS-Milizen: Sie alle profitierten auf mörderische Weise von dem westlichen Narrativ, im Namen von Freiheit und Demokratie einen arabischen Despoten stürzen zu wollen und den Menschen in Syrien zur Selbstbestimmung zu verhelfen.

Das war falsch und verlogen, töricht und kurzsichtig. Auch durch die Politik des Westens wurde die Zahl der Flüchtlinge in die Höhe getrieben, weil man sich auf die Seite einer Kriegspartei gestellt hatte, die zu stark zum Verlieren und zu schwach zum Gewinnen gewesen war.

Was mit dem Versprechen Obamas begonnen hatte, überall auf der Welt für Menschenrechte zu kämpfen, endet nun mit dem Abzug der US-Truppen durch Donald Trump. Dieser Abzug ist zumindest eines: das ehrliche Eingeständnis, auf ganzer Linie gescheitert zu sein und versagt zu haben.

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