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Auf dem letzten Bundesparteitag der Linken in Chemnitz traten einige Delegierte mit sogenannten Palästinensertüchern auf.

© dpa/Hendrik Schmidt

Wieder Streit um Antisemitismus in der Linken: Gysi und Ramelow warnen in Brandbrief vor Israel-Hass in der „Linksjugend“

Per Beschluss leugnet die Parteijugend de facto das Existenzrecht Israels. Die Parteispitze verurteilt das, aber fordert keine Kurskorrektur. Nun schlagen 17 Bundestagsabgeordnete in einem Brief Alarm.

Stand:

Eine Woche, nachdem der Bundeskongress des parteinahen Jugendverbandes „Linksjugend [’solid]“ einen umstrittenen Beschluss gefasst hat, der „den kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts“ brandmarkt, haben sich die Parteivorsitzenden der Linken zu den Vorgängen geäußert. „Eine einseitige Perspektive auf Israel und Palästina bringt niemandem in der Region etwas“, erklärten Jan van Aken und Ines Schwerdtner in einem Statement am Donnerstag.

Zuvor hatte der Parteivorstand am Mittwochabend über den Vorgang debattiert. Es herrsche „eine sehr breite Einigkeit darüber, dass der verabschiedete Antrag inhaltlich nicht mit den Positionen der Linken vereinbar ist“, schrieben die beiden Vorsitzenden danach.

„Psychoterror aus den eigenen Reihen“

Schwerdtner und van Aken kritisierten auch, wie mit Gegnern des Beschlusses auf dem Bundeskongress umgegangen wurde. „Einschüchterung, Druck und Ausgrenzung haben keinen Platz in einer linken Jugendorganisation – und erst recht nicht in der politischen Kultur, für die wir als Linke stehen“, schreiben die beiden Linken-Chefs.

Nach dem Kongress am Wochenende hatten Teilnehmer davon berichtet, dass es einen „Psychoterror aus den eigenen Reihen“ gegeben habe. Mehrere Delegierte reisten dem Vernehmen nach vorzeitig ab, nachdem Genossen angekündigt hatten, sie nachts in ihren Hotelzimmern aufzusuchen. In internen Chatgruppen war von „Säuberungsaktionen“ gegen „Verräter“ oder „Zionisten“ die Rede.

Prominenten Bundestagsabgeordneten der Linkspartei reicht der Umgang der Parteivorsitzenden mit dem Fall aber offensichtlich nicht. Einem Bericht der „Welt“ zufolge, warnen 17 Bundestagsabgeordnete der Partei in einem Brief an die Parteispitze und die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, dass in der Partei „etwas ins Rutschen gekommen ist“.

Wörtlich heißt es in dem Brief, der der „Welt“ vorliegt:

„Nach dem Beschluss des Antrags ‚Nie wieder zu einem Völkermord schweigen‘ auf dem 18. Bundeskongress der Linksjugend Solid am vergangenen Wochenende und nach den Berichten über den Verlauf der Tagung aus dem Kreis von teilnehmenden Genoss*innen dürfen und können wir als Partei Die Linke jetzt nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen“, heißt es darin. „Sowohl der Beschluss in der Sache als auch die Hinweise auf die Einschüchterungen und Drohungen gegenüber Delegierten sind nicht zu akzeptieren. Offenbar ist in unserer Partei etwas ins Rutschen gekommen.“

Unterzeichnet ist der Brief unter anderem von Bodo Ramelow, Dietmar Bartsch und Gregor Gysi.

Der Jugendverband der Partei stelle sich mit seinem Entschluss gegen eine Zweistaatenlösung, die im Programm der Linkspartei als Grundlage für Frieden im Nahen Osten genannt werde, heißt es in dem Brief weiter. Die Schreiber sehen einen Teil der Delegierten der Parteijugend „außerhalb des Konsenses unserer Partei“.

Die Verfasser des Briefes verlangen vom Parteivorstand Klarheit, dass „diese politische Orientierung und politische Kultur“ nicht unwidersprochen in der Partei geduldet werden. Es müssten „deutlich wahrnehmbar klare Grenzen gezogen werden“.

Einschüchterung, Druck und Ausgrenzung haben keinen Platz in einer linken Jugendorganisation.

Jan van Aken und Ines Schwerdtner, Parteichefs der Linken

Die Einschüchterung von Andersdenkenden und die israelfeindliche Sprache im Antrag „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“ setzen eine Reihe von antisemitischen Vorfällen in der Linkspartei fort. So hatte der frühere Berliner Kultursenator, Klaus Lederer, und weitere prominente Mitglieder die Linke im vergangenen Jahr verlassen – nach einem Antisemitismus-Eklat auf einem Parteitag der Berliner Linken.

Verlässt Petra Pau die Partei?

Nach dem Beschluss des Linksjugend-Bundeskongresses ließ die frühere Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau erkennen, dass für sie ein Schmerzpunkt erreicht sein könnte: Die Linke stehe vor einer prinzipiellen Entscheidung. „Auch für mich ist dies nach 35 Jahren entscheidend“, schrieb sie bei X.

Viele in der Partei hatten das Statement von van Aken und Schwerdtner deshalb mit großer Spannung erwartet. Benjamin-Immanuel Hoff, ehemaliger Chef der Staatskanzlei in Thüringen sowie Beauftragter der Landesregierung für jüdisches Leben, zeigte sich danach erleichtert über ihre Feststellung, dass der Beschluss der Linksjugend nicht mit der Positionierung der Partei die Linke vereinbar sei. „Das halte ich für einen wichtigen Punkt“, sagte er dem Tagesspiegel.

Das Parteivorstandsmitglied Sabine Berninger hingegen kritisierte auf Facebook, dass der Bundesvorstand keinen offiziellen Beschluss gefasst hat, der die Positionierung des parteinahen Jugendverbands verurteilt. Zudem enthält das Statement von van Aken und Schwerdtner keine Aufforderung an die Linksjugend, ihre Position zu korrigieren, die das Existenzrecht Israels faktisch negiert.

Pro-BDS-Antrag in Berlin

Benjamin-Immanuel Hoff verteidigt das, er hält es nicht für klug, der Linksjugend ohne Kurskorrektur mit einem Ausschluss zu drohen. „Die Menschen in diesem Jugendverband müssen für eine andere politische Haltung kämpfen“, sagte er. „Ich halte es für einen Irrglauben, dass sich Linkssein heute darin ausdrückt, Palästina bedingungslos und unreflektiert zu unterstützen.“

In der kommenden Woche dürfte die Linke erneut über ihre Haltung zu Israel streiten. Dann wird die Berliner Linke auf ihrem Parteitag am 15. November über einen Antrag abstimmen, der Israel einen Genozid in Gaza vorwirft. Ein anderer Antrag fordert die Unterstützung der BDS-Bewegung, die Israel boykottieren will.

Petra Pau kritisierte beide Anträge im RBB. „Ich verwende das Wort Genozid nicht“, sagte sie. Die Forderung nach einem Boykott israelischer Waren sei stumpfsinnig. „Ich rate uns ganz deutlich, uns mit dem Berliner Alltag zu beschäftigen“, sagte Pau. Dazu gehöre auch die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Berlin.

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