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„Die Prozente der AfD steigen ja immer weiter“: Schriftstellerin Juli Zeh sieht Brandmauer gegen die Rechten gescheitert
Seit Jahren betonen verschiedene Parteien ihre Abgrenzung von der AfD. Die in Brandenburg lebende Autorin Juli Zeh hat dazu eine klare Meinung – auch von einem Verbotsverfahren hält sie wenig.
Stand:
Die Schriftstellerin und Juristin Juli Zeh hält das Konzept der „Brandmauer“ gegenüber der AfD für gescheitert. „Der Versuch, mit der Brandmauer die AfD kleinzuhalten, hat in den letzten zehn Jahren nichts gebracht“, sagte sie im Interview mit der „wochentaz“. „Die Prozente der AfD steigen ja immer weiter.“ Der Begriff „Brandmauer“ steht für eine klare politische Abgrenzung zur AfD.
Auch ein Verbotsverfahren der AfD ist aus ihrer Sicht nicht der richtige Weg. „Wenn Sie einen halbwegs cleveren AfD-Funktionär fragen, was auf seinem Wunschzettel für 2026 steht, dann sagt der wahrscheinlich: Ich wünsche mir ein Verbotsverfahren“, führte sie aus. „Allein der Versuch, sie zu verbieten, würde der AfD krass nutzen.“
Seit Jahren streiten sich verschiedene Parteien, ob man mit einem Verbotsverfahren gegen die aktuell von Alice Weidel und Tino Chrupalla geführte Partei vorgehen sollte. Sie wird vom Verfassungsschutz als in Teilen gesichert rechtsextrem eingestuft. Aktuell liegt kein offizielles Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht vor.
Der durchschnittliche AfD-Wähler will nicht das Parlament abschaffen.
Juli Zeh, Schriftstellerin und Juristin
Die AfD verdoppelte bei der Bundestagswahl ihr Ergebnis, kam auf 20,8 Prozent und wurde hinter der Union zweitstärkste Kraft. In bundesweiten Umfragen liegt sie seitdem knapp hinter, gleichauf oder sogar vor CDU/CSU. Im letzten Politbarometer des Jahres von ZDF und Tagesspiegel kam die AfD auf 25 Prozent, einen Prozentpunkt hinter der Union.
2026 werden in fünf Bundesländern neue Landesparlamente gewählt: Baden-Württemberg (8. März), Rheinland-Pfalz (22. März), Sachsen-Anhalt (6. September), Berlin und Mecklenburg-Vorpommern (jeweils 20. September). In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern kommen die Rechten in Umfragen auf Werte an die 40 Prozent.
Zeh, Autorin von Büchern wie „Unterleuten“ und „Zwischen Welten“, verteidigte auch Sympathisanten der AfD. „Der durchschnittliche AfD-Wähler will nicht das Parlament abschaffen“, sagte die 51-Jährige. Er hege vielmehr ein tiefes Misstrauen gegen alle Entscheidungsträger in den Hauptstädten: „Natürlich ist das Misstrauen in dieser Form aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Aber wenn man irgendetwas verstehen will, muss man es zur Kenntnis nehmen.“
In ihrem Ort kam die AfD bei der Bundestagswahl auf 54 Prozent
In ihrem brandenburgischen Dorf, wo bei der Bundestagswahl im Februar 54 Prozent AfD gewählt haben, fänden die Menschen vor allem die anderen Parteien schlecht: „Ich glaube, wir haben momentan niemanden im Dorf, der mit seinen Meinungen außerhalb der Verfassung stünde.“ Die überwiegende Mehrheit sei auch nicht der Meinung, man müsste alle Ausländer remigrieren oder noch Schlimmeres.
Den hohen Zuspruch der AfD in ihrem Dorf im Havelland erklärte Zeh mit einer extremen Unzufriedenheit der Menschen. „Sie haben nicht das geringste Vertrauen in die herkömmlichen Parteien, weil es an allen Ecken und Enden an der simplen Grundversorgung fehlt: Bildung, Mobilität, Gesundheit, Pflege, bezahlbarer Wohnraum.“
Zeh attestierte Teilen der deutschen Gesellschaft ein problematisches Demokratieverständnis. „Demokratie ist nicht, wenn Menschen Dinge wählen, die man selbst gut und richtig findet.“ Sonst müsste die Schweiz als eine untergegangene Demokratie betrachtet werden, weil es dort etwa erfolgreiche Plebiszite gegen den Bau von Minaretten gibt.
„Man muss unterscheiden können zwischen eigenen politischen Überzeugungen und Demokratie“, sagte Zeh. Im Extremfall setze unsere Verfassung auch demokratisch legitimierten Entscheidungen Grenzen, aber man könne nicht alles als undemokratisch bezeichnen, was einem nicht gefalle.
Zugleich kritisierte Zeh Alarmismus in Politik und Medien. „Wenn man sagt, die Apokalypse droht, wer hat dann noch Zeit für Demokratie und Liberalismus?“, fragte Zeh. Wer so rede, befördere letztlich den Erfolg von Rechtspopulisten. „Das gilt für jeden, der wegen einer erfolgreichen Schlagzeile so tut, als stünden wir unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Landes oder vor dem Dritten Weltkrieg.“ (lem)
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