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Real-O-Mat

© Tagesspiegel/Mario Heller

Die Tücken des digitalen Wahlhelfers: Warum der Real-O-Mat verwirrt

Immer mehr Online-Tools sollen die Wahlentscheidung erleichtern. Ein neues Angebot verspricht realistischere Einschätzungen. Das Ergebnis sollte man jedoch zu interpretieren wissen.

Stand:

Wen soll ich wählen? Eine wachsende Zahl von Online-Tools soll diese Entscheidung erleichtern. Der wohl bekannteste digitale Wahlhelfer nennt sich „Wahl-O-Mat“. Er wurde von der Bundeszentrale für Politische Bildung entwickelt, Millionen Deutsche nutzen ihn.

Das Tool zählt eine Reihe von Thesen auf, denen man zustimmen oder widersprechen kann. Aus den Antworten ermittelt der „Wahl-O-Mat“ die prozentuale Übereinstimmung mit verschiedenen Parteien.

Ähnlich funktioniert auch ein neues Angebot namens „Real-O-Mat“. Es wurde vom Projekt „FragDenStaat“ entwickelt, das sich für politische Transparenz einsetzt. Der zentrale Unterschied zum „Wahl-O-Mat“: Nicht die Wahlprogramme der Parteien werden mit den eigenen Positionen abgeglichen, sondern ihr tatsächliches Abstimmungsverhalten im Bundestag.

Angenommen, eine Partei verspricht im Wahlprogramm, das Kindergeld zu erhöhen, stimmt im Bundestag aber gegen eine Erhöhung. Im Wahl-O-Mat hat man mit der Partei trotzdem eine Übereinstimmung, im Real-O-Mat hingegen nicht. Das wirkliche Handeln entspricht in diesem Fall nicht dem Wahlprogramm.

Mit dem Online-Tool „sollen Diskrepanzen zwischen dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten der Parteien und den Aussagen in den Parteiprogrammen transparent gemacht werden“, heißt es auf der Webseite des „Real-O-Mats“. Dieser Ansatz hat jedoch seine Tücken. So berücksichtigt das Angebot etwa die Dynamiken zwischen Opposition und Regierung nicht.

Koalitionslogiken beeinflussen das Ergebnis

Um beispielsweise die reale Haltung der Parteien zur Lieferung des Waffensystems Taurus an die Ukraine zu ermitteln, greift der „Real-O-Mat“ auf die Abstimmung über einen entsprechenden Antrag der Unionsfraktion im Bundestag zurück. Die Position von Grünen und FDP in dieser Frage stuft er als „nicht wertbar“ ein.

Beide Parteien hätten den Antrag abgelehnt, sich in der Plenardebatte jedoch für die Taurus-Lieferung ausgesprochen, heißt es in der Begründung. Dass es übliche parlamentarische Praxis ist, als Regierungsfraktion Anträgen der Opposition selbst bei inhaltlicher Übereinkunft nicht zuzustimmen, wird nicht deutlich.

„Dieses Abstimmungsverhalten ist nunmal eine politische Realität“, sagt Michelle Trimborn, Pressereferentin von „FragDenStaat“, dem Tagesspiegel. „Wichtig war uns deshalb, die spezifischen Gründe der Parteien herauszuarbeiten.“ Hat man sich einmal durch den „Real-O-Mat“ geklickt, kann man nachlesen, warum sich die einzelnen Parteien für oder gegen einen Antrag entschieden haben.

Aus unserer Sicht ist das aber nichts Schlechtes, wenn das Tool erstmal irritiert.

Michelle Trimborn von „FragDenStaat“

„Rein strategische Anträge haben wir bewusst nicht aufgenommen“, sagt Trimborn. Beim Taurus-Antrag der Unionsfraktion, den man durchaus als strategisch werten kann, „haben wir uns inhaltlich definitiv am schwersten getan“, gesteht sie. „Wir haben ihn aber drin gelassen, weil es ein wichtiges Thema ist.“

Bei verschiedenen Antwortkombinationen erhalten die drei Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP im Real-O-Mat oftmals ein sehr ähnliches Ergebnis. Sie haben schließlich als Koalitionspartner gemeinsam abgestimmt. Trotzdem sind manche verwirrt darüber, dass drei unterschiedlich verortete Parteien auf den ersten Blick die meisten Positionen teilen.

„Uns war im ersten Moment nicht so bewusst, dass Leute fragen: ,Wieso kommt denn da dasselbe raus?’“, sagt Trimborn. „Aus unserer Sicht ist das aber nichts Schlechtes, wenn das Tool erstmal irritiert. Es sorgt dafür, dass sich die Menschen nochmal näher mit den Positionen der Parteien beschäftigen“, erklärt sie.

Wo bleibt die Zukunft?

Für weitere Irritation sorgt, dass der „Real-O-Mat“ den Blick in die Vergangenheit richtet. Er stellt etwa folgende These zur Abstimmung: „Eine temporäre Impfpflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen soll die Corona-Pandemie eindämmen.“ Die ist jedoch seit Jahren vorüber.

Dasselbe gilt für den Mindestlohn von zwölf Euro und das Sondervermögen für die Bundeswehr – beides ist bereits beschlossen. Nutzer des Real-O-Mats müssen also teils den Blick in die Vergangenheit richten, anstatt konkrete politische Vorhaben für die Zukunft zu bewerten.

„Natürlich blickt unser Tool auf die vergangene Politik“, bekennt Pressereferentin Trimborn. „Wir haben diese Positionen aber aufgenommen, weil es Themen waren, die die Menschen bewegt haben“, erklärt sie. Aufrüstung, die Rolle der Bundeswehr oder der Mindestlohn seien „weiterhin Fragen von Relevanz, die grundsätzliche politische Positionen abbilden.“ Trimborn ist überzeugt: „Der Blick nach hinten lohnt sich, weil sich daraus etwas über die Zukunft schließen lässt.“

Der Einfluss der Kooperationspartner

Auf der Webseite des „Real-O-Mats“ werden mehrere Partner genannt, darunter die Deutsche Umwelthilfe, die Seenotrettungsorganisationen „Sea-Watch“ und „Sea-Eye“ sowie der Verein „Sanktionsfrei“, der sich gegen Sanktionen für Bürgergeldempfänger ausspricht.

Wie sah die Kooperation mit diesen Gruppen konkret aus? „Sie hatten keinerlei Einfluss auf das Projekt, weder inhaltlich noch finanziell“, sagt Trimborn. Ihnen seien lediglich vorab Social-Media-Vorlagen zur Verfügung gestellt worden, um den „Real-O-Mat“ bekannter zu machen.

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