Extremismus: Ein rechter Streit
Die Linksfraktion hat der Bundesregierung 286 Fragen zum Rechtsextremismus gestellt – und ist mit den Antworten unzufrieden.
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Berlin - Insgesamt 286 Fragen war der Linksfraktion im Bundestag das Anliegen wert: Vor fast genau einem Jahr reichte sie die Große Anfrage „Zur Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung“ ein. Jetzt liegt die Antwort vor, und die innenpolitische Fraktionssprecherin Ulla Jelpke fällt ein vernichtendes Urteil: Eine „Mischung aus Ahnungslosigkeit, Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit“ komme in dem 106-Seiten-Papier zum Ausdruck. Fraktionsvize Petra Pau packt rhetorisch noch eins drauf: Der Blick in die Geschichte zeige, wer verharmlose, mache sich mitverantwortlich – die Bundesregierung verharmlose das Problem.
Zur Entwicklung der rechtsextremistischen Parteien stellt die Bundesregierung fest, der NPD sei es „gelungen, im Rahmen der ,Volksfront von rechts‘ (Deutschland-Pakt‘) unterschiedliche Kräfte sowohl aus dem Neonazi-Lager als auch aus dem rechtsextremistischen Parteienspektrum zu bündeln“. Der Fortbestand dieses „Zweckbündnisses“ hänge „in erster Linie von künftigen Wahlerfolgen ab“. Für die DVU, die sich „von der Neonazi- und Skinheadszene abzugrenzen“ versucht, sei dieser Pakt „nur bedingt erfolgreich, der Wiedereinzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt im März 2006 scheiterte. Die Partei Republikaner befinde sich „seit Jahren in einem Abwärtstrend“, sie setze trotz Kritik von der Parteibasis den Abgrenzungskurs gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen fort.
Insgesamt seien Mitgliederzahlen und Auflagenhöhen von Publikationen der Parteien in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Allerdings habe die NPD einen Mitgliederzuwachs registriert: von 5300 im Jahr 2004 auf 6000 im Jahr 2005. Die NPD habe die „Bedeutung langjähriger kontinuierlicher Basisarbeit und lokaler Verankerung“ für ihre Erfolge in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie im September 2006 in den Landtag einzog, erkannt und versuche das nun auch anderswo. Bei den aufgeführten Beispielen ist die Regierung nicht ganz auf der Höhe der Zeit: Das Engagement der NPD in einer Bürgerinitiative im Mecklenburgischen gegen den Abbau von Braunkohle wurde von den Bürgerbewegten durch den Ausschluss des NPD-Fraktionschefs im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, vor wenigen Wochen kurzerhand beendet.
Die Linkspartei beklagt, dass die Bundesregierung zu etlichen Problemfeldern „keine Erkenntnisse“ habe, etwa zur Unterwanderung von Kleingewerbe wie Fitness- oder Tattoostudios durch Neonazis und zur Sozialstruktur der rechten Szene, oder dass sie die Existenz sogenannter national befreiter Zonen zurückweise. Anfang Mai will die Fraktion das Papier zum Thema im Bundestag machen. Sie sieht sich durch die Befunde in ihrer Forderung bestätigt, die V-Leute in der NPD abzuschalten – nach dem Motto: Wenn sie nicht mehr herauskriegen, sind sie ohnehin überflüssig. Dann könne auch das Verbotsverfahren gegen die NPD neu diskutiert werden. Das ignoriert freilich die Tatsache, dass Erkenntnisse von V-Leuten in der Regel nicht auf dem Marktplatz gehandelt werden.
Um die gesellschaftliche Bedeutung ihres Anliegens zu untermauern, verweist die Linkspartei auf eine im November 2006 vorgestellte Studie der Friedrich- Ebert-Stiftung, die nachgewiesen habe, dass der Rechtsextremismus vom Rand in die Mitte der Gesellschaft gerückt sei. Diese auf einer Umfrage basierende Arbeit, die damals großes Aufsehen erregte, ist allerdings unter Wissenschaftlern umstritten. Der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU-Berlin, Klaus Schroeder, kommt in einer 43-seitigen Expertise, die dem Tagesspiegel vorliegt, zu dem Ergebnis, die Studie stelle „aufgrund inhaltlicher und methodischer Defizite weder einen Beitrag zur Erforschung des Rechtsextremismus dar, noch kann sie sinnvolle Vorschläge zu seiner Bekämpfung unterbreiten“. Er wirft den Autoren Oliver Decker und Elmar Brähler vor, den Befragten, aber auch den demokratischen Parteien ihre Vorstellungen von Politik und Gesellschaft als Leitlinie zur Beurteilung einer rechtsextremistischen Gesinnung aufzuzwingen und die demokratischen Grundüberzeugungen nach links verschieben zu wollen. Der Wissenschaftler kritisiert, dass bei bestimmten Fragenkomplexen der Studie auch Befürworter einer linksautoritäten Diktatur zustimmen könnten. Die „ungenauen und undifferenzierten Fragestellungen“ führten „zwangsläufig zu unbrauchbaren Ergebnissen“. „Diese dann in Beweise für latenten Rechtsextremismus umzudeuten, ist schlichtweg skandalös“, resümiert Schroeder.
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