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Ist Angela Merkel bereit, ihre Wirtschaftsmacht als Druckmittel bei Wladimir Putin einzusetzen?

© Charles Platiau/REUTERS

Merkel reist zu Putin: Ein ungleiches Paar, das sich gegenseitig braucht

Die Kanzlerin trifft Russlands Präsidenten. Gesprächsstoff gibt es genug. Erreichen wird Merkel bei Putin vorerst wenig – dabei hätte sie Mittel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wenn die Waffen gesprochen haben, müssen wieder die Staatsfrauen, Staatsmänner und Diplomaten ran. Gelöst haben die Militäraktionen nichts, allenfalls die Machtverhältnisse geklärt. Kanzlerin Merkel reist am Samstag zu Präsident Putin, um mehrere Konflikte zu bereden: Iran, Syrien, Libyen, Ukraine, die blockierte Gaspipeline Nord Stream 2. Ein ungleiches Paar, das sich gegenseitig braucht. Sie verfügt über ökonomische Macht und Verbündete, er über Militär- und Verhinderungsmacht. Keiner kann dem anderen seinen Willen aufzwingen.

Die deutsche Wirtschaft ist zweieinhalb Mal so stark wie die russische, die EU acht Mal so stark. Es hilft nur begrenzt, denn beiden fehlt die Hard Power. Die hat Putin. Er kann mal eben Militär nach Syrien schicken und selbst die Großmacht USA, die ebenfalls ökonomisch acht Mal stärker als Russland ist, schwach aussehen lassen. Er kann – wie die Türkei, noch so ein wirtschaftlicher Schwächling und militärischer Gernegroß – Soldaten nach Libyen schicken und es so erscheinen lassen, als bestimmten Putin und Erdogan die Zukunft. Doch eine Stabilisierung wird ihnen ohne Hilfe des Westens weder in Syrien noch Libyen gelingen. Soll man sie geben und zu welchen Bedingungen?

Die Erde erlebt eine signifikante Verschiebung der Machtpolitik. Mit asymmetrischen Maßnahmen – verdeckten Militäreinsätzen, Cyberangriffen, Manipulation der öffentlichen Meinung, Terror – haben Russland, der Iran, Nordkorea ihre wirtschaftliche Unterlegenheit erstaunlich effektiv kompensiert.

Putin führt einen hybriden Krieg

Sie boxen international oberhalb ihrer ökonomischen Gewichtsklasse. Und doch sollten sich westliche Demokratien nicht ins Bockshorn jagen lassen. Diese Regime haben zwar Erpressungsmacht durch ihr destruktives Potenzial. Sie haben aber wenig konstruktive Macht. Putin kann die Ukraine durch den hybriden Krieg am Anschluss an Europa hindern. Von seinem Ziel, sie in einem Wirtschaftsverbund mit Russland zu halten, ist er weiter entfernt als vor dem Krieg. Ebenso wenig kann der Iran den Irak aus eigener Kraft stabilisieren. Bagdad wird bald darum bitten, dass die amerikanischen und europäischen Soldaten länger bleiben.

Was kann Merkel erreichen?

Teheran hält dem Sanktionsdruck der USA überraschend gut stand. Die jüngste Eskalation hat es zunächst ohne Offenbarung seiner militärischen Unterlegenheit überstanden. Doch eine unbeabsichtigte Folge der Raketenangriffe – die Belege für den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierjets verdichten sich – wird zum internationalen GAU.

Was kann Merkel in dieser Gemengelage bei Putin erreichen? Auf die Schnelle wenig. Sie kann ein Geben und Nehmen sondieren. Was verlangt Putin für mehr Druck auf Iran, das Atomabkommen nachzubessern? Er hat kein Interesse an einer Lösung. Besser für ihn ist es, wenn der USA-Iran-Konflikt weiter schwelt und der Iran nicht zur Konkurrenz für russische Gasexporte wird. Putin will europäische Aufbauhilfe für Syrien; was gibt er dafür? Zusagen für ein Syrien ohne Assad oder zumindest eine Provinz als Testfeld für Aufbau und Flüchtlingsrückkehr?

Die Kernfrage: Ist Merkel, ist die EU bereit, ihre Wirtschaftsmacht als Druckmittel einzusetzen – so wie Putin, Erdogan, die Mullahs ihre Machtmittel nutzen? Nicht so unverblümt, das verträgt sich nicht mit den Prinzipien des freien Markts. Doch in einer Welt, in der andere drohen, müssen auch Wohlmeinende zeigen, dass sie Machtmittel haben.

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