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David Cameron.

© REUTERS

Großbritannien: Eine europäische Herausforderung

Die Mehrheit der Briten ist gegen die EU-Mitgliedschaft. Brüssel ist alles andere als beliebt. Premierminister David Cameron will daher die Beziehung zur Gemeinschaft neu ordnen.

Streit und Sorgen um Großbritanniens Zukunft in Europa wachsen bei den Briten und ihren Nachbarn. Noch weiß niemand, was Premier David Cameron in seiner immer wieder verschobenen Europa-Erklärung am 22. Januar sagen wird – wenn Frankreich und Deutschland den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags feiern. Aber die Partner werden nervös. Großbritannien habe Griechenland als „größte Herausforderung für die EU“ abgelöst, klagte der irische Außenminister Eamon Gilmore bei der Übernahme der irischen EU-Ratspräsidentschaft. Denn Cameron will die Mitgliedschaft seines Landes in der EU neu aushandeln und dann per Referendum abstimmen lassen. Es ist ein Abenteuer, das mit einem Austritt der Briten enden und ungeahnte Fliehkräfte in der EU freisetzen könnte.

Noch nie waren die Briten so unzufrieden mit der EU. Die EU-Austrittspartei UKIP fühlt sich schon als dritte Kraft im Lande und könnte bei den Europawahlen 2014 die Torys auf den dritten Platz verdrängen. Zwei Drittel der Briten fordern ein EU-Referendum. 56 Prozent würden nach einer Umfrage vom November für „Brexit“ stimmen, den Austritt.

Nicht nur rabiate Europagegner, auch Tory-Kabinettsmitglieder und sogar der Premier können sich ihr Land ohne EU vorstellen und sagen das auch. Aber der „Mail on Sunday“ sagte Cameron am Wochenende: „Auszutreten wäre Wahnsinn.“ Camerons engster Verbündeter im Kabinett, Schatzkanzler George Osborne, sprach in einem Interview mit der „Welt“ ganz anders: „Die EU muss sich ändern, wenn wir bleiben sollen.“ Nie in 40 Jahren britischer EU-Mitgliedschaft hat ein britischer Kabinettsminister eine solche Drohung ausgesprochen.

Zusammen geben diese widersprüchlichen Aussagen die Richtung für Camerons EU-Strategie an. Er will Großbritanniens Verbleib in der EU und vor allem im gemeinsamen Markt sichern, glaubt aber, dass dies nur möglich ist, wenn die Beziehung neu definiert und gelockert wird. Aber kann Cameron solche Verhandlungen erzwingen? Und wie viel Porzellan würde das zerschlagen? Nachdem Cameron vor einer Woche andeutete, er könne kommende EU-Vertragsverhandlungen als Hebel nutzen, schickte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Vorsitzenden des Europaauschusses des Bundestags, Gunther Krichbaum, als Emissär nach London. Deutschland lasse sich nicht erpressen, warnte er.

Briten gehen in der EU einen Sonderweg, seit sie sich 1992 in den Maastricht-Verhandlungen aus dem Projekt einer gemeinsamen Europawährung ausklinkten. Nun glauben sie, dass sich durch die Eurokrise und ihre Folgen die Situation grundlegend geändert hat. Sie haben Angst vor einem immer stärker integrierten, von Deutschland und Frankreich dominierten Eurozonen-Block, von dem sie systematisch überstimmt werden, und wollen ihre Eigenständigkeit sichern. Pläne für eine „Föderation der Nationalstaaten“, wie sie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vortrug, und Merkels Drängen auf Fiskal- und politische Union der Eurozone jagen ihnen Angstschauer über die Rücken. Die Kluft zwischen den Visionen der Europa-Patriarchen und der pragmatischen, wirtschaftlich geprägten Europa-Auffassung der Briten wird immer größer.

Am Mittwoch wird die einflussreiche Tory-Parlamentariergruppe „Fresh Start“ in einem Manifest die „Rückgabe“ von 130 Kompetenzen fordern, die in den vergangenen Jahrzehnten nach Brüssel abgewandert sind – vor allem im Bereich von Recht und Innenpolitik. Sie wollen die Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs einschränken und ein britisches Veto gegen EU-Finanzregulierung, um das Weltfinanzzentrum London zu schützen. Die Gruppe glaubt, dass harte Forderungen und die explizite Drohung mit dem Austrittsreferendum die EU an den Verhandlungstisch zwingen würden.

Proeuropäische Tories warnen, dieser Kurs könne Großbritannien aus Europa führen. Der einstige Tory-Gegenspieler Margaret Thatchers, Lord Heseltine, sprach von einem „unnötigen“ Wagnis, das jahrelange Unsicherheit für Wirtschaft und Investoren schaffe. „Warum würde jemand eine Fabrik in Großbritannien bauen, wenn er nicht weiß, unter welchen Bedingungen wir in Zukunft Handel treiben“, sagte er zur „Financial Times“. Der ehemalige Labour-Europapolitiker Peter Mandelson sowie der Tory Kenneth Clarke, der einzige Pro-Europäer im Kabinett, wollen nun gemeinsam mit Unternehmern für den Verbleib in der EU werben. Die USA warnten ihre britischen Freunde unverblümt, ohne Stimme in Brüssel seien sie ein weniger wertvoller Bündnispartner. CDU-Politiker Krichbaum, Kommissionspräsident Barroso, EU-Präsident Herman van Rompuy – alle warnten die Briten, sie würden außerhalb der EU Wohlstand und Einfluss verlieren.

Cameron muss mit seiner Rede nächste Woche Euroskeptiker und Europabefürworter gleichermaßen hinter sich bringen. Er muss Europäer, vor allem Deutschland, überzeugen, dass er es ernst meint, ohne den guten Willen zu zerstören, den die Briten in der EU noch haben. Die Bundeskanzlerin, die bisher EU-Vertragsänderungen ins Auge fasste, um die Integration der Eurozone voranzutreiben, könnte davon abrücken, um den Briten keine Möglichkeit zur „Erpressung“ zu geben. Doch als Deutschlands Botschafter in London, Georg Boomgarden, kategorisch erklärte, Neuverhandlungen kämen nicht infrage, nannte der „Sunday Telegraph“ dies in einem Leitartikel „albern“. „Die Realität ist, dass sich die EU ändert. Die Eurozone hat den Prozess der fiskalischen und politischen Union begonnen, und Großbritannien hat keinen Anteil daran.“

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