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Moral gegen Macht: Da ist manchmal der Verlierer der Gewinner.

© dpa

Was die SPD in der NSA-Affäre treibt: Eine Frage des Charakters

Mit Bush-Bashing gewann Gerhard Schröder einst eine Bundestagswahl. In der SPD lebt die Erinnerung daran fort. Denn in aussichtsloser Lage bleibt ihr immer eine Hoffnung - durch Distanz zu Amerika im Volk zu punkten. Das zeigt sich auch jetzt, in der NSA-Affäre. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die SPD blickt auf eine stolze Tradition zurück. Dafür stehen August Bebel, Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Das Ermächtigungsgesetz Hitlers lehnte die SPD-Fraktion ab, der Kniefall von Warschau leitete die Ostpolitik ein, um die Agenda 2010 wird Deutschland heute von anderen europäischen Ländern beneidet. Doch wenn die Genossen an die jüngere Zeit denken, schwillt vielen die Brust bei einem anderen Großereignis – dem Nein Schröders zum Irakkrieg. Dieses Nein ist längst zur Metapher geworden für Mut, Standhaftigkeit, Friedensliebe, Nationalbewusstsein. Das Gegenteil wird mit Begriffen wie Feigheit, Duckmäuserei, Vasallentum und Unterwürfigkeit gegeißelt.

Aktuell erfährt diese kontrastierende Metaphorik eine lustvoll inszenierte Renaissance durch die NSA-Affäre. Bereits Anfang August 2013 zog Sigmar Gabriel die historische Parallele: „Heute vor elf Jahren erklärte Gerd Schröder sein Nein zum Irakkrieg“, schrieb der SPD-Vorsitzende. „Das war eine unbequeme Entscheidung – und eine richtige. Ich würde mir wünschen, dass Angela Merkel ein bisschen von dem Mut, den damals ein SPD-Kanzler gegenüber den USA zeigte, auch heute an den Tag legen würde.“ Ähnlich intonierte das Thema jetzt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. „Wir dürfen uns nicht zum Vasallen der USA machen“, sagte sie, eine deutsche Kanzlerin dürfe „nicht unterwürfig“ sein gegenüber den USA. „Gerhard Schröder hat vorgemacht, wie man Rückgrat zeigt, wenn es um elementare deutsche Interessen geht.“

"Zum ersten Mal bin ich stolz, ein Deutscher zu sein"

Als entscheidendes Datum von Schröders Gesinnungswandel von der „bedingungslosen Solidarität“ mit Amerika nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und nach zwei heiklen rot-grünen Voten für eine Kriegsbeteiligung Deutschlands (Kosovo ohne UN-Mandat und Afghanistan) gilt der 1. August 2002. Gut sieben Wochen später sollte ein neuer Bundestag gewählt werden. Doch Rot-Grün steckte im Umfragetief. Die Arbeitslosigkeit war konstant hoch geblieben. Der Herausforderer, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, lag mit der Union bei weit über vierzig Prozent. An diesem Tag wurde Schröder im ZDF interviewt. Ob er noch ein Kaninchen im Hut habe, um die Wahlen zu gewinnen, wurde er von Wolf von Lojewski gefragt. Es gehe nicht um Kaninchen oder andere Tiere, entgegnete der Kanzler brüsk, sondern um Inhalte. Dann nannte er als erstes die „beunruhigenden Nachrichten aus dem Nahen Osten bis hin zur Kriegsgefahr“.

Damit war das Thema gesetzt, und Schröders Tonlage wurde von Woche zu Woche deutlicher. „Dieses Land wird unter meiner Führung für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen“, versprach er seinen Anhängern unter tosendem Applaus. Leidenschaftlich unterstützt wurde der „Genosse der Bosse“ auch von den Jusos. Deren damaliger Chef, Niels Annen, berichtete von einer „wahren Flut von E-Mails“, die ihn täglich erreichten. „Ihr dürft da nicht wackeln!“, sei deren Tenor. Immer besser wurden prompt die Umfragewerte der SPD, während die Opposition hilflos zwischen Schockstarre und demonstrativem Pro-Amerika-Kurs pendelte.

Am Ende wurden die Wahlen, wenn auch knapp, von Rot-Grün gewonnen. Mit Bush-Bashing hatte Schröder einen Beliebtheitsboom ausgelöst. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ihm auch die Flutkatastrophe in Ostdeutschland geholfen hatte, bei der er in Gummistiefeln und Regenjacke seinen Macher-Nimbus wiederbeleben konnte.) „Zum ersten Mal bin ich stolz, ein Deutscher zu sein“: Erstaunlich ungebrochen schallte einem dieser Satz nun von Links entgegen.

Seitdem wissen Sozialdemokraten, dass ihnen in aussichtsloser Lage eine Hoffnung immer bleibt: durch Distanz zu Amerika – ob mit George W. Bush oder Barack Obama im Weißen Haus – sowohl im Volk zu punkten als auch die Spaltung innerhalb der Union zwischen Transatlantikern und Nationalkonservativen zu vertiefen. Seitdem wissen auch die Unionisten, dass ein zu gutes Verhältnis zur jeweiligen US-Regierung in Krisenzeiten abrupt vom Wähler bestraft werden kann. Denn ein Deutschland, das der Welt heute bevorzugt den Frieden erklärt, schöpft seine Kraft und sein Selbstbewusstsein daraus: Andere Völker sind mächtig, wir sind moralisch.

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