Politik: Eine Kulturennation
Von Gerd Appenzeller
Der Mord an dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh hat nicht nur die Menschen in den Niederlanden tief erschüttert. Auch in anderen Ländern mit großen muslimischen Minderheiten wie der Bundesrepublik stellt man sich die Frage, ob die Vision einer multikulturellen Gesellschaft nicht nur eine Seifenblase war, in der man sich zwar selbstgefällig spiegeln konnte, die aber eben keinerlei Substanz hatte. Von dramatischem Scheitern spricht Angela Merkel. Edmund Stoiber will die christliche Prägung Deutschlands verteidigen, der Bundeskanzler warnt vor einem Kampf der Kulturen und fordert von den Muslimen ein Bekenntnis zur deutschen Rechtsordnung. Die demonstrierten gestern in Köln für ein friedliches Zusammenleben. Viele von ihnen werden empfinden, was der Grüne Reinhard Bütikofer aussprach: Man solle Millionen gesetzestreuer Ausländer nicht einfach mit religiösen Fanatikern gleichsetzen.
Genau so aber wird die ganze Debatte geführt. Natürlich ist Deutschland multikulturell, aber nicht in dem blauäugigen Verständnis, das sich gerade in Berlin lange mit dem Begriff verband. Millionen einstiger Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Portugal und Griechenland haben seit 40 Jahren dieses Land unmerklich verändert. Damals wurden sie von den Deutschen oft beschämend geringschätzig behandelt. Heute sind sie mit ihren Familien so selbstverständlich ein Bestandteil der Gesellschaft, dass wir uns überhaupt nicht mehr vorstellen können, wie Deutschland ohne ihren Einfluss aussähe – grauer, trister vermutlich.
Der einigende Hintergrund von Christentum und europäischer Aufklärung erleichterte ihre Eingliederung und Anpassung. Beide Voraussetzungen fehlten, als die ersten türkischen Arbeiter nach Deutschland kamen. Auch sie haben wir geholt, und auch bei ihnen machten wir uns, wie schon zuvor bei den Menschen aus Südeuropa, Illusionen darüber, dass ihr Aufenthalt nur von kurzer Dauer sei. Heute erkennen wir: An der dreifachen Barriere von anderer Religion, anderer Kultur und anderer Sprache scheiterte weitgehend die Integration der Türken.
Die Radikalisierung des Islam ist importiert, aber sie stößt auf Resonanz, auch weil nicht Deutsch sprechende, türkischstämmige Jugendliche in Berlin nur sehr selten einen Arbeitsplatz finden. Doch dieses Problem haben die Zuwanderer selbst vergrößert. Wenn Kinder erst in der Schule Deutsch lernen dürfen und Mädchen und Frauen aus einem patriarchalischen Geschlechterverständnis heraus von der Mehrheitsgesellschaft isoliert werden, ist ihnen die Teilnahme am Leben im Gastland unerträglich erschwert. Andererseits beweisen tausende von Fällen gelungener Integration, dass das deutsch-türkische Miteinander nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist.
Für dieses Miteinander gibt es aber noch mehr Voraussetzungen. Seitens der Deutschen sind das Respekt vor der Menschenwürde des Fremden und die Bereitschaft des Staates, bei der Eingliederung zu helfen. Seitens der Minderheit ist es die Akzeptanz der Regeln des Gastlandes. Ob man das Leitkultur nennt, steht dahin. Aber dazu gehören die christlich geprägten Traditionen der Mitmenschlichkeit, die Demokratie, die Toleranz, die Chancengleichheit der Geschlechter von Beginn an und das Miteinander einer aufgeklärten und nicht religiös dominierten Gesellschaft.
In dieser offenen Gesellschaft gibt es aber eben auch eine klare Ansage: Wer ihre Regeln nicht akzeptiert, sollte nicht in Deutschland leben wollen.
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