zum Hauptinhalt
Boris Palmer – hier bei einer Konferenz Anfang März in Reutlingen – ist umstritten.

© Imago/Eibner/Dimitri Drofit

Update

Uni-Präsident fordert Entschuldigung: Boris Palmer verteidigt Verwendung des N-Wortes

Bei einer Konferenz über die Integration von Migranten hat Tübingens OB in Frankfurt am Main heftige Aufregung und Protest ausgelöst. Es ging auch um eine Äußerung zum Judenstern. 

| Update:

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer macht erneut Schlagzeilen. Bei einer umstrittenen Tagung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main löste er am Freitagabend einen Eklat aus, wie unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtet.

Der Politiker war demnach Teilnehmer der Diskussionsrunde „Migration steuern, Pluralität gestalten“. Im Vorfeld der Veranstaltung unterhielt sich Palmer mit anderen Konferenzgästen – und nutzte dabei mehrfach das N-Wort. Mit diesem Begriff wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

Auf Videos in den sozialen Netzwerken ist zu sehen, wie Palmer versucht, seine Wortwahl vor Studierenden auf dem Uni-Campus zu rechtfertigen. „Ihr beurteilt Menschen anhand von einem einzelnen Wort.“ Nach einer kurzen Unterbrechung fügte er hinzu: „Das ist nichts anderes als ein Judenstern.“ Diese Äußerung wurde als Verharmlosung des Holocaust kritisiert.

Die anwesenden Studierenden, die teilweise gekommen waren, um gegen die Veranstaltung zu demonstrieren, waren sichtlich aufgebracht. Etliche riefen im Sprechchor „Nazis raus“. Der Politiker schloss sich dem Sprechchor an. „Ich will auch keine Nazis in diesem Land“, sagte er.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auf der sich anschließenden Podiumsdiskussion soll die Situation wegen der Äußerungen weiter eskaliert sein. Wie die „Frankfurter Rundschau“ (FR) berichtete, beharrte der Politiker darauf, dass es bei der Verwendung des N-Wortes auf den Kontext ankomme.

Palmer verteidigt Verwendung des N-Worts

Palmer sagte: „Wenn ich eine Person, die vor mir steht, als N... bezeichne, ist das eine justiziable Beleidigung. (...) Wenn ich aber die Frage diskutiere, ob Astrid Lindgrens Roman in Zukunft Südseekönig oder N...könig schreiben soll, dann ist das eine vollkommen legitime Verwendung des Wortes N... (...) Ich lasse mich nicht aus der Verbindung des Wortes an sich als Rassist abstempeln.“

Palmer bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass die Äußerungen so gefallen sind. „Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen“, erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierern erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass „ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet“.

Palmer bestätigte der dpa die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. 2021 hatte er seine Familiengeschichte auf Facebook thematisiert: Auf dem jüdischen Friedhof in Königsbach lägen seine Ahnen seit dem 18. Jahrhundert. 1937 sei der Familie dann die Flucht in die USA gelungen. Sein Vater blieb als „uneheliches Kind einer Nichtjüdin im Remstal und wurde in der Schule vom Lehrer Moses genannt, nicht Helmut“.

Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.

Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen

In einem Facebook-Post am Samstag erläuterte Palmer, er sage das N-Wort, weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. „Das hoch umstrittene Wort“ gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz. „Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.“

Palmer hatte im Mai 2021 in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das N-Wort benutzt. Palmers Äußerung hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst.

Konferenzteilnehmer hatten Palmer kritisiert

Andere Teilnehmer der Konferenz in Frankfurt wie der Psychologe Ahmad Mansour, der Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans und der Politiker Manuel Ostermann hatten Palmer kritisiert und entgegneten der FAZ zufolge, dass das Wort eine Beleidigung darstelle – vor allem, wenn man es mehrfach wiederhole. Der Moderator der Veranstaltung verließ schließlich den Raum. „Herr Palmer, mit Ihnen will ich nichts mehr zu tun haben“, sagte er demnach.

Trotz des Eklats hielt Palmer seinen Vortrag mit dem Titel „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“. Darin schlug er der FAZ zufolge unter anderem Qualitätsabstriche bei der Versorgung von neu ankommenden Flüchtlingen sowie eine Erstversorgung mit Sachleistungen statt mit Geldmitteln vor. Dies sei notwendig, um den begrenzten Ressourcen auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheits- und Bildungswesen zu begegnen.

Am Samstagvormittag äußerte sich schließlich auch die Organisatorin der Konferenz zu dem Vorfall am Freitagabend. „Ich distanziere mich nachdrücklich von den Äußerungen von Boris Palmer“, schrieb Susanne Schröter vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, die Palmer zu der Konferenz eingeladen hatte, auf Twitter. „Sein Verhalten hat die sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt und ist nicht akzeptabel“, so die Ethnologin.

Sein Verhalten hat die sehr gute und differenziert geführte Tagung schwer beschädigt und ist nicht akzeptabel.

Susanne Schröter vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam, die Boris Palmer zu der Konferenz eingeladen hatte

Kritik an Palmer kam auch von Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU), wie die Agentur epd berichtete. Die Wortwahl Palmers im Vorfeld und seine Beiträge während der Konferenz seien „indiskutabel“. Und weiter: „Derartige Provokationen leisten Spaltung, Ausgrenzung und Rassismus Vorschub“, kommentierte Poseck. „Sie schaden in einer Debatte, die mit Sensibilität und Ernsthaftigkeit zu führen ist.“ Der hessische Justizminister selbst hatte zu Beginn der Konferenz ein Grußwort gesprochen.

Auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, zeigte sich empört und fordert eine öffentliche Entschuldigung Palmers. „Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe Universität nicht toleriert - dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe“, sagte Schleiff in einer Stellungnahme auf der Universitäts-Website.

Kritik schon vor Beginn der Konferenz

„Die Würde des Menschen ist die Grundlage unserer Verfassung und unseres Zusammenlebens. Sie muss daher auch Maßstab aller Diskussionsbeiträge zur Migration sein“, mahnte Poseck. „Vereinfachungen helfen bei einem so komplexen Thema nicht weiter.“ Politisch Verantwortliche müssten sich der Tragweite ihrer Äußerungen bewusst sein.

Bereits vor diesem Vorfall war die Veranstaltung kritisiert worden. Sie sei keine „seriöse wissenschaftliche Konferenz“, hieß es in einer Stellungnahme des Asta der Uni Frankfurt. Die Veranstaltung trage durch ihre Gäste dazu bei, „rechtsoffene und populistische Narrative“ zu verbreiten, sagte Nabila Saya vom Asta der FR zufolge. Die Konferenz sei „politisch motiviert“. Und eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Migration finde dort nicht statt.

Palmer ist seit 2007 Tübingens OB und war im Oktober 2022 für weitere acht Jahre im Amt bestätigt worden. Der 50-Jährige war als unabhängiger Kandidat angetreten, weil seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende 2023 wegen Streitereien um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe ruht. Dies war ein Kompromiss in einem Parteiausschlussverfahren.

Im Februar hatte sich eine neue Gruppe innerhalb der Grünen in einem heftig diskutierten Papier für eine radikale Umkehr in der Migrationspolitik ausgesprochen. Palmer war einer der prominentesten Unterzeichner. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false