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Der Tatverdächtige vom Magdeburger Weihnachtsmarkt-Anschlag arbeitete als Facharzt im Maßregelvollzug in Bernburg.

© dpa/Heiko Rebsch

Update

„Er heißt bei uns ‚Dr. Google‘“: Klinik-Kollegen zweifelten offenbar fachliche Kompetenz von Taleb A. an

Seit mehreren Jahren arbeitete der Tatverdächtige vom Magdeburger Weihnachtsmarkt-Anschlag als Facharzt. Ein Bericht legt nahe, dass ihm seine Kollegen misstrauten – und auch Patienten.

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Auch drei Tage nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt ist das Motiv des Tatverdächtigen Taleb A. unklar. Der aus Saudi-Arabien stammende Mann passt für Behörden und Sicherheitsexperten in kein gängiges Schema. Dokumentiert ist allerdings, dass er mehrfach mit der Androhung von Straftaten aufgefallen war – in Mecklenburg-Vorpommern, wo er von 2011 bis Anfang 2016 lebte und in Stralsund einen Teil seiner Facharzt-Ausbildung absolvierte.

Die Wahl dieses Berufes mag es umso unverständlicher erscheinen lassen, dass A. am vergangenen Freitag mutwillig fünf Menschen getötet und mehr als 200 weitere verletzt haben soll. Nun kommen offenbar auch fachliche Zweifel an ihm auf. Zumindest legt dies ein Bericht der „Mitteldeutschen Zeitung“ (MZ) nahe.

Misstrauen in Belegschaft gegenüber Taleb A.

Demnach habe es in der Belegschaft des Maßregelvollzugs Bernburg südlich von Magdeburg, wo A. seit März 2020 als Facharzt für Psychiatrie arbeitete, schon länger Misstrauen gegenüber dem heute 50-Jährigen gegeben. „Er heißt bei uns ‚Dr. Google‘“, zitiert die MZ einen Mitarbeiter. So habe A. vor jeder gestellten Diagnose im Internet nachschauen müssen, daher die spöttische Bezeichnung.

Zudem soll A. bei seinen Visiten explizit auf Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen verzichtet haben. Gespräche mit ihnen habe er „möglichst vermieden“. Diese und weitere Umstände nährten dem Bericht zufolge das Misstrauen gegenüber dem saudischen Staatsbürger, der im Juli 2016 als politisch Verfolgter Asyl erhalten hatte.

Der Mediziner koordinierte in Bernburg unter anderem die Therapie von suchtkranken Straftätern. Dabei fiel er dem MZ-Bericht zufolge in der Belegschaft immer wieder durch einen Ratschlag an neue Patienten auf. Wenn diese Taleb A. fragten, wie sie schnell von ihrer Rauschgiftsucht loskommen können, soll er geantwortet haben: „Alkohol gut, Honig schlecht.“

Auch bei Patienten sei der saudische Arzt offenbar auf Misstrauen gestoßen. „Einige haben sich geweigert, von ihm behandelt zu werden“, zitiert die MZ eine Beschäftigte. Es habe mehrmals Missverständnisse gegeben, wenn Diagnosen gestellt wurden, da Taleb A. auch nach fast zwei Jahrzehnten in Deutschland noch schlecht Deutsch gesprochen habe.

Offenbar individuell lebensgefährliche Medikamente verschrieben

Im Salus-Fachklinikum, das direkt neben dem Maßregelvollzug Bernburg liegt, habe er zuletzt nicht mehr praktizieren dürfen, heißt in dem Bericht. Hintergrund sei, dass Taleb A. dort mehrfach Medikamente verschrieben haben soll, die potenziell lebensgefährlich für die Patienten gewesen wären, hätten sie diese eingenommen. Schwestern hätten dies demnach bemerkt und die Einnahme noch verhindern können. Trotz dieser Vorfälle habe A. weiter im Maßregelvollzug praktizieren dürfen.

„Es gab ständige Beschwerden bei anderen Ärzten und Vorgesetzten wegen Taleb A.“, zitiert die MZ eine ehemalige Krankenschwester aus dem Maßregelvollzug. „Es gab nie Konsequenzen wegen seiner fragwürdigen Behandlungsweisen.“

Dem Bericht zufolge habe er auch Beruhigungspillen an Suchtkranke verteilt, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre. Es habe sogar die Polizei kommen müssen, weil ein Patient wegen einer falschen Diagnose Strafanzeige gestellt habe.

Den Angaben zufolge habe es auch Hinweise an die Leitung des Fachklinikums für Psychiatrie und Suchtmedizin in Bernburg gegeben, wo sich A. um suchtkranke Straftäter kümmerte. Weder die Klinik noch das betreibende Gesundheitsunternehmen Salus äußerten sich bisher dazu.

„Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst“, hieß es lediglich am Samstag in einer Mitteilung von Salus. Der Deutschen Presse-Agentur zufolge hatte das Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt noch in der Nacht nach dem Anschlag die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben.

Taleb A. war am Freitagabend mit einem Mietwagen auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg durch die Menschenmenge gerast. Dabei wurden ein neunjähriges Kind sowie vier Frauen getötet und mehr als 200 Menschen teils schwerst verletzt.

A. wurde unmittelbar nach der Tat festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Ihm werden fünffacher Mord, mehrfacher versuchter Mord und mehrfache gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. (cst, dpa)

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