Urteil des Verfassungsgerichts: Karlsruhe erinnert Regierung an ihre Informationspflicht
Das Parlament muss an der Gestaltung der Außenpolitik beteiligt werden, urteilt das Verfassungsgericht. Der Regierung war das entgangen.
Es gibt sie noch, die klaren Fälle. Zumindest wirken sie so, wenn das Bundesverfassungsgericht über sie entschieden hat. Dann ist klar, was eigentlich allen auch vorher hätte klar sein müssen.
Etwa, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, kurz GASP, und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, kurz GSVP, auch nur EU-Angelegenheiten sind, über die der Bundestag, wenn er sie schon nicht steuern kann, zumindest frühzeitig Bescheid wissen sollte. So zumindest verlangt es Artikel 23 des Grundgesetzes, der in den neunziger Jahren eingefügte „Europa-Artikel“.
Die Verhältnisse zu anderen Staaten sind jedoch die klassische Domäne der Exekutive. Und so war die Bundesregierung bisher anderer Auffassung: Maßnahmen im Bereich von GASP und GSVP wurden aus dem Katalog, der die Mitteilungspflichten gegenüber dem Parlament aufzählt, schlicht herausdefiniert.
Die Grünen, damals noch Oppositionspartei, ließen sich das nicht gefallen, die Linken ohnehin nicht. So zogen die Abgeordneten nach Karlsruhe, wo sie am vergangenen Mittwoch umfassend Recht bekamen.
Die Politikfelder GASP und ihr Unterfall, die GSVP, gehören spätestens seitdem zur mitteilungspflichtigen – und damit öffentlichen – EU-Politik, stellte der Zweite Senat in einem grundlegenden Urteil fest (Az.: 2 BvE 3/15).
Außenpolitik macht man eben, man diskutiert sie nicht. So will es die Tradition.
Jost Müller-Neuhof
Dass es hier um bedeutende politische Entscheidungen geht, erwies schon der Anlass, die Flüchtlingskrise im Jahr 2015, das Sterben im Mittelmeer. Der EU-Rat beschloss, mit der Operation „Sophia“ die Militärpräsenz zu stärken und Schleuserkriminalität zu bekämpfen.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums retteten „Sophia“-Maßnahmen fast 50.000 Menschen aus Seenot. Wie die Deutschen den Einsatz prägten, zeigte sich unter anderem in der Namensfindung. „Sophia“ hieß ein somalisches Mädchen, das auf einer Marine-Fregatte zu Welt kam; eine deutsche Premiere.
Doch frühzeitige Informationen an das Parlament? Fehlanzeige, jedenfalls in der Planungsphase. Das Strategiekonzept blieb unter Verschluss, die Grünen-Parlamentarier bemühten sich vergeblich.
GASP und GSVP gehören der Regierung, man wollte keinen Präzedenzfall schaffen. Außenpolitik macht man eben, man diskutiert sie nicht. So will es die Tradition.
Dass Olaf Scholz die Sache anders gehandhabt hätte als damals Angela Merkel, braucht niemand zu glauben. Kanzleramt ist Kanzleramt.
Bemerkenswert war die Begründung: Es gab keine
Welche Staatsverständnis dahinter steht, zeigt sich noch markanter am Begehr der Linken. Sie wollten einen Brief lesen, den der damalige türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu an Angela Merkel, aber auch an die anderen Staatschefs der EU geschrieben hatte.
Im Wesentlichen ging es um die Zusammenarbeit der Türkei mit der EU zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Natürlich wurde auch dieser Wunsch abgeschlagen. Eine Nebensache vielleicht, doch bemerkenswert war hier die Begründung: Es gab keine.
Das Kanzleramt verwies darauf, dass die Korrespondenz mit Staatschefs grundsätzlich etwas Vertrauliches sei und Davutoglu auch seinerseits darauf vertraue. Von diesem Dogma abzuweichen, hieße, die Funktionsfähigkeit der Regierung zu gefährden.
Nun ist die Türkei kein EU-Partner, doch es steht fest, dass das Schreiben EU-Bezüge hatte. Daher hätte man die Linken-Abgeordnete, die danach fragte, nicht einfach abtropfen lassen dürfen. Die Regierung sei verpflichtet gewesen, ihre Ablehnung inhaltlich näher zu begründen, urteilte das Verfassungsgericht.
Ein Hinweis, von dem man hoffen muss, dass er ernst genommen wird an der Spitze der Exekutive. Eine Entscheidung fällen zu dürfen, ohne sich erklären zu müssen, ist ein Privileg aus vordemokratischer Zeit.
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