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Expertenrat kassiert Habecks größte Erfolgsmeldung: Deutschland ist doch nicht auf Kurs beim Klimaschutz
Im März verkündete Klimaschutzminister Robert Habeck, Deutschland werde die Klimaziele einhalten. Doch der Expertenrat Klima kommt in seinem Prüfgutachten nun zu einem anderen Ergebnis – und erwartet eine „Zielverfehlung“.
Stand:
Zufrieden präsentierte Robert Habeck am 15. März den Klimaschutz-Projektionsbericht der Bundesregierung. Das Umweltbundesamt attestierte ihm, dass Deutschland bis 2030 die im Klimaschutzgesetz festgelegte Höchstmenge an CO₂-Emissionen um 47 Millionen Tonnen unterschreiten werde. Damit sei man beim Klimaschutz erstmals auf Kurs, sagte der Wirtschaftsminister und Vizekanzler.
Doch an diesem Montag grätscht dem Grünenpolitiker der Expertenrat Klima dazwischen. Der hat den gesetzlichen Auftrag, die Angaben der Regierung zu überprüfen. In einem Sondergutachten kommt das Gremium zu dem Schluss, dass die Klimaschutzziele bis 2030 voraussichtlich nicht erreicht werden.
„In Summe können wir die von den Projektionsdaten 2024 ausgewiesene kumulierte Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus“, fasst der Vorsitzende Hans-Martin Henning das Ergebnis zusammen.
Der Expertenrat hält die projizierten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie – mit Einschränkungen – auch in der Industrie für unterschätzt.
Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats Klima
„Nach Prüfung der Daten bestätigt der Expertenrat, dass die Gesamtemissionen bis 2030 substanziell sinken werden, allerdings vermutlich weniger stark als in den Projektionsdaten ermittelt“, sagt Henning. „Der Expertenrat hält die projizierten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie – mit Einschränkungen – auch in der Industrie für unterschätzt.“
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KTF-Urteil wirkt sich aus
Dass der Expertenrat der Einschätzung des Umweltbundesamtes widerspricht, hängt maßgeblich mit den zusammengestrichenen Geldern im Klima- und Transformationsfonds (KTF) zusammen. Stichtag für den Projektionsbericht war der 31. Oktober 2023. Danach entfernte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil 60 Milliarden Euro aus dem Fonds, mit dem die Regierung Klimaschutzmaßnahmen finanziert. Der Expertenrat geht deshalb davon aus, dass sich die deutsche Wirtschaft langsamer als projiziert klimaneutral transformieren wird.
Auch der niedrige Gaspreis und der durch die Wirtschaftskrise ausgelöste geringe Preis im europäischen Emissionshandel hemmen die ökologische Transformation. Zudem attestiert der Expertenrat den Gutachtern des Umweltbundesamtes methodische Mängel.
Kein Handlungszwang für Habeck, aber Experten drängeln
Das Expertengremium kassiert damit den größten politischen Erfolg von Robert Habeck wieder ein. Euphorisch hatte der Wirtschaftsminister im März gesagt: Wenn die Regierung alle beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen umsetze, „dann sind wir durch“. Zusätzliche Maßnahmen seien nicht nötig. Habeck hatte den Projektionsbericht genutzt, um den Deutschen zu signalisieren, dass es keine weiteren Zumutungen wie das Heizungsgesetz braucht, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Das steht nun zur Disposition. Laut dem vor kurzem von Bundestag und Bundesrat beschlossenen neuen Klimaschutzgesetz muss Habeck allerdings aktuell nicht mehr tun. Erst wenn zwei Projektionsberichte in Folge in den Augen des Expertenrats eine Zielverfehlung plausibel machen, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. In Zugzwang kommt damit erst die neue Bundesregierung nach der Bundestagswahl.
Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen.
Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats Klima
Doch die Klimaschutzexperten der Bundesregierung drängen Habeck, das Problem nicht seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin zu überlassen. Schließlich habe man bereits 2023 eine Zielverfehlung prognostiziert, auch wenn diese Einschätzung für das neue Klimaschutzgesetz unerheblich sei.
„Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf. „Der Fokus sollte hier auf den beiden für die europäische Lastenteilung relevanten Sektoren Gebäude und Verkehr liegen, die zudem die größten Zielüberschreitungen aufweisen.“
Vor allem der Verkehr hat zu hohe Emissionen
Selbst laut der Projektion der Bundesregierung, die der Expertenrat für unterschätzt hält, wird der Verkehrssektor bis zum Ende des Jahrzehnts 177 Millionen Tonnen CO₂ zu viel ausstoßen, im Gebäudesektor sind es 33 Millionen. Die übrigen CO₂-intensiven Wirtschaftszweige erreichen laut Regierung ihre Klimaziele.
Im März hatte Habeck Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) noch von der Pflicht freigesprochen, mehr für den Klimaschutz zu tun. Nun dürfte die Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen, ein Ende des Dienstwagenprivilegs und eine hohe Zulassungssteuer für spritschluckende Autos wieder Fahrt aufnehmen.
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Habeck selbst hatte am Wochenende noch die Bedeutung des Klimaschutzes betont. Die globale Erderwärmung sei kein Abstraktum, sagte er bei einem Besuch in den Flutgebieten in Bayern. Sie treffe die Menschen hart, weil Wetterextreme immer stärker würden und immer mehr zunähmen. Worte, die den Grünenpolitiker nun unter Druck setzen.
Zumal der Expertenrat Klima in seinem Gutachten auch betont, dass Deutschland nicht auf dem Weg ist, bis 2045 klimaneutral zu werden. Bis 2040 wird die deutsche Volkswirtschaft laut aktueller Prognosen 278 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente zu viel ausstoßen. Selbst im Jahr 2050 wird die deutsche Volkswirtschaft demnach noch rund 150 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft pusten.
Deutschlands Wälder und Moore würden zudem nicht wie geplant als CO₂-Senken fungieren, weshalb auch die Forstwirtschaft und der Landnutzungssektor ihre Klimaziele verfehlten. Auch diesbezüglich empfehle man die rasche Einleitung von gegensteuernden Maßnahmen, schreibt der Expertenrat trocken in seinem Gutachten.
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