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Friedrich Merz und die AfD: Der erste Riss in der Brandmauer
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat einen Migrationsplan. Damit ist er in der Offensive. Aber in der Umsetzung begeht er folgenschwere Fehler.

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Friedrich Merz ist aufgewacht. Sein Wahlkampf hat bisher kaum Esprit und Energie versprüht. Jetzt ist ein Thema zurück, das er eigentlich meiden wollte: die Migrationspolitik. Mit voller Wucht steht sie im Zentrum des Wahlkampfs.
Und Merz nimmt alle Risiken in Kauf. Er zieht rote Linien, die er in späteren Koalitionsverhandlungen vielleicht wieder einholen muss. Enttäuschungen sind dabei programmiert. Vor allem aber, und das ist ein echter Bruch in allen bisherigen Unions-Linien, bringt er Risse in die Brandmauer zur AfD. Und alle anderen unsicheren Kantonisten wie die FDP und auch das BSW wackeln gleich mit.
Schon nächste Woche will der CDU-Chef seine Pläne im Bundestag einbringen. Das ist im Prinzip richtig, denn Deutschland muss handeln und kann nicht nochmal monatelang warten, bis etwas passiert. Ziel muss sein, die Wahrscheinlichkeit für weitere Angriffe, wie man sie in Aschaffenburg erlebt hat, zu senken.
Dafür müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden. Das geht über neue Befugnisse für die Bundespolizei, bessere Absprachen und Durchsetzung der bestehenden Regeln und Gesetze – und zwar ganz gleich, wer nun genau zuständig ist, ob Bund oder Land. Das Hin- und Herschieben der Verantwortung muss enden.
Merz hat Vorschläge entwickelt. Immerhin. Sie kommen aus dem demokratischen Spektrum und darüber kann man streiten. Aber Merz nimmt in Kauf, mit den Stimmen der AfD eine neue Migrationspolitik in Deutschland einzuführen.
Die Union werde die Anträge einbringen, ganz gleich, wer ihnen zustimme, sagt Merz. Damit geht er einen punktuellen politischen Pakt mit der rechtsextremen AfD ein. Was folgt als Nächstes? Eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung? Eine Koalition gar?
Merz schließt genau das aus. Er erklärt, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gebe, man in keine Regierung gehe und auch keine Anträge im Bundestag mit der AfD verhandele. Dennoch. Merz hat mit seinem Vorstoß die Tür ein Stück geöffnet. Das kann eine Dynamik entfalten, die er nicht mehr stoppen kann.
Hat er genau das gewollt? War es ein Versehen? Es kann sich als genau das entpuppen, wovor die Wahlkampfstrategen der Union Sorge hatten und worauf die SPD hoffte: Dass sich Merz verbal verrennt.
Möglicherweise ist ihm das hier passiert. Getrieben von Emotion und der Überzeugung, beim Thema Migration harte Kante zeigen zu wollen, hat er die Sache nicht bis zum Ende gedacht. In der Union sorgt das auf jeden Fall für Rumoren.
Schlauer wäre es gewesen, den Wahlkampf für einen Moment ruhen zu lassen, das Gespräch mit der SPD zu suchen und gemeinsam eine Initiative im Bundestag zu starten. Wäre dann die AfD aufgesprungen, wäre es weniger dramatisch, weil es ein breites Bündnis aus der parlamentarischen und demokratischen Mitte gewesen wäre. Und es wäre weniger politisch attraktiv für die AfD.
Union und SPD stehen gemeinsam in der Pflicht, Sicherheit herzustellen.
Christian Tretbar
Dabei wäre ein breiter politischer Konsens bei der Frage enorm wichtig. Erstens tragen beide großen Parteien die Verantwortung. Es war eine CDU-Kanzlerin, die beim Thema Migration zunächst aus humanitären Gründen die Gesetze außer Kraft gesetzt und es dann nicht vermocht hat, wieder die Durchsetzung und Anpassung der Gesetze in die Hand zu nehmen.
Es waren aber auch ein SPD-Kanzler und eine SPD-Innenministerin, die getrieben wurden und dem eigenen Anspruch hinterherhinken. In großem Stil wollte Scholz abschieben, wie er vollmundig angekündigt hat im vergangenen Jahr. Passiert ist wenig.
Union und SPD stehen hier also gemeinsam in der Pflicht, ein staatliches Grundversprechen einzuhalten, nämlich für Sicherheit zu garantieren.
Das schreckliche Attentat von Aschaffenburg ist in erster Linie dramatisch, weil ein zweijähriges Kind und ein 41-jähriger Mann ihr Leben verloren haben. Und dies, weil Behörden bei der Durchsetzung der Gesetze versagt haben und weil die Politik Befugnisse einzelner Behörden zu stark beschränkt – und sie auch zu schwach ausstattet.
Dass der Umgang mit diesem brutalen Ereignis jetzt dazu führen könnte, dass politische Tabus brechen und die Grundlage für neue politische Bündnisse mit dem rechtsextremen Rand gelegt sind, macht die Ereignisse in Aschaffenburg nur noch verheerender.
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