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Kanzler Scholz nach Merz-Aussage besorgt: „Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln“
Nach der Messerattacke von Aschaffenburg will die Union Anträge für eine härtere Migrationspolitik auch mit AfD-Stimmen durchsetzen. SPD und Grüne sind alarmiert. FDP und BSW dagegen nicht abgeneigt.
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Fällt nach der Messerattacke von Aschaffenburg die viel beschworene Brandmauer der Union gegen die AfD? In der Bundestagsfraktion von CDU/CSU will man kommende Woche Anträge für eine Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einbringen. „Unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“, sagte Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz in Berlin. Das schließt auch die AfD ein.
Seit Monaten versichert Merz, seine Haltung zur AfD sei klar: Man werde weder koalieren noch verhandeln. Eine Zusammenarbeit schloss der 69-Jähre immer wieder aus. Auch vor „Zufallsmehrheiten“ mit der AfD bis zur Bundestagswahl hatte er stets gewarnt. Um die Migrationsanträge ohne die Regierungsparteien durchzusetzen, benötigt Merz zwar nicht nur, aber eben auch die AfD. Absprachen mit der Partei gab es nach heutigem Kenntnisstand keine. Vor allem bei SPD und Grünen sieht man in der Offenheit trotzdem einen Bruch der sogenannten „Brandmauer“ zur AfD.
SPD fürchtet „Ende der Brandmauer“
„Bislang hatte ich den Eindruck, dass man sich auf die Aussage des Oppositionsführers verlassen könne, auch nach der Wahl nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag der „Stuttgarter Zeitung“. Nachdem die CDU ihre Anträge im Bundestag nun mit Stimmen der AfD durchsetzen wolle, mache er sich „wirklich Sorgen“. „Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln“, sagte Scholz.
Wer wie Merz sage, er schließe jetzt die Grenzen, egal mit wem, der betreibe das Geschäft der Populisten und der Rechtsextremisten, kritisierte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Merz’ Vorstoß bei einer Wahlkampfveranstaltung im niedersächsischen Peine.
Andere SPD-Politiker kritisierten Merz ebenfalls scharf. Generalsekretär Matthias Miersch sieht in der Offenheit für die Zustimmung der AfD ein „fatales Signal“. „Hier würde sich eine schwarz-blaue Zusammenarbeit anbahnen, vor der wir immer gewarnt haben“, sagte Miersch dem Spiegel. CDU/CSU müssten schnell Aufklärung schaffen. Miersch warf Merz zudem Beliebigkeit vor: „Letzte Woche schloss er jede Zusammenarbeit mit der AfD aus, heute macht er wieder einmal die Rolle rückwärts.“ Die Union müsse für Aufklärung sorgen.
Deutliche Kritik äußerte auch Katja Mast, die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD. „Wenn Merz das macht, ist es der Dammbruch, das Ende der Brandmauer.“ Mast sprach von einem „Freifahrtschein für eine Zusammenarbeit mit der AfD.“
Grüne sehen Merz in „Sackgasse“, schließen Koalition aber nicht aus
Bei den Grünen reagierte man ähnlich. „Friedrich Merz spielt mit dem demokratischen Zusammenhalt in der politischen Mitte“, sagte Lamya Kaddor dem Tagesspiegel. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen warf Merz unausgegorene und symbolhafte Schnellschüsse vor, die auch die Polizeigewerkschaft nicht für umsetzbar hielten. „Damit erpresst er uns andere Parteien und nimmt die Mehrheitsbeschafferin AfD in Kauf“, so Kaddor.
„Friedrich Merz‘ Ankündigung kann man nur als Lockerungsübung zur AfD verstehen“, sagte Konstantin von Notz dem Tagesspiegel. „Merz bringt eine traditionsreiche Partei wie die CDU in Verdacht, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen“, sagte der Innenpolitiker der Grünen: „Das ist kein gutes Zeichen für die Union“. Der Unionschef verstoße damit gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der beiden Parteien und erschüttere seine eigene politische Glaubwürdigkeit.

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Eine Koalition mit der Union schließt er dennoch nicht aus und verweist dabei auch auf gemeinsame Regierungen in den Ländern, etwa in Schleswig-Holstein. „Ich glaube nicht, dass Merz‘ Haltung zur Linie der Union wird“, sagte von Notz: „Er hat sich in eine Sackgasse manövriert.“ Offenbar sorge Trump und der Erfolg der FPÖ in Österreich bei Merz für eine große Orientierungslosigkeit.
Auch die Grünen-Spitze warnte Merz vor gemeinsamer Sache mit der AfD. Kanzlerkandidat Robert Habeck erinnerte daran, dass der CDU-Chef diese stets ausgeschlossen habe. „Eine Zusammenarbeit unter seiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben, er knüpfe sein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort“, sagte Habeck der Deutschen Presseagentur in Berlin: „Ich nehme Friedrich Merz beim Wort, dieses Wort darf nicht gebrochen werden – ich fürchte nur, Friedrich Merz steht kurz davor, das zu tun.“
Jetzt „die Brandmauer zur AfD einzureißen und EU- und Verfassungsrecht zu missachten, ist die wohl schlechteste Idee der Union und schadet unserer Demokratie“, sagte Grünen-Co-Chef Felix Banaszak der „Welt“.
CSU appelliert an SPD und Grüne
Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz sieht in dem Vorgehen allerdings kein Problem. „Das ist in der Vergangenheit immer so gewesen“, sagte die Aschaffenburgerin der „Welt“. Die AfD habe auch schon Anträgen von SPD und Grünen zugestimmt, sie abgelehnt oder sich enthalten. Einige der Merz-Forderungen habe die Union schon früher eingebracht, sie aber gegen die Ampelstimmen nicht oder nur in Teilen durchbekommen. Diese wolle man nächste Woche wieder zur Abstimmung stellen. „Ich lade SPD, Grüne und FDP ein, diesen Weg auch mitzugehen“, sagte Lindholz.

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CSU-Chef Markus Söder wurde noch deutlicher und forderte die beiden Regierungsparteien auf, den Anträgen im Bundestag zuzustimmen. „Ich gehe doch davon aus, dass Grüne und SPD zustimmen müssen“, sagte Söder nach einem Treffen der Ministerpräsidenten von Bayern, Thüringen und Sachsen am Freitag im fränkischen Kronach vor Journalisten. Sollten die Regierungsfraktionen zustimmen, stelle sich auch nicht die Frage, ob die AfD die Unionspläne mittrage.
Auch Friedrich Merz selbst äußerte sich am Freitagnachmittag erneut zu seinem Vorstoß. „Ich fordere den Bundeskanzler, die SPD, die Grünen und die FDP auf: Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen“, schrieb der Unionsvorsitzende auf X. Merz bekräftigte seine Ankündigung, in der kommenden Sitzungswoche Anträge für eine Verschärfung der Migrationspolitik einbringen zu wollen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass SPD, Grüne und FDP gegen mehr Sicherheit für die Menschen in unserem Land stimmen.“
BSW-Chefin Wagenknecht und FDP-Vize Kubicki wollen zustimmen
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht zeigte sich dagegen offen für den Vorstoß von CDU/CSU. „Wenn die Union sinnvolle Anträge in den Deutschen Bundestag einbringt, um die unkontrollierte Migration zu beenden und Ausreisepflichtige in ihre Heimatländer zurückzuführen, dann stimmen wir ihnen selbstverständlich zu“, sagte Wagenknecht dem RND. Offensichtlich auch, wenn die AfD auch zustimmt.
Sie halte es für unmöglich und unglaubwürdig, wenn Merz die Bürger auf die Zeit nach der nächsten Regierungsbildung vertröstete. „Die Union soll liefern“, sagte Wagenknecht. Es brauche eine 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik.
Auch in der FDP sieht man das Stimmen mit der AfD unkritisch. „Mir doch Latte, wer da sonst noch zustimmt“, sagte Partei-Vize Wolfgang Kubicki gegenüber der „Bild“: „Wir können doch unsere Zustimmung zu für das Land notwendige Maßnahmen nicht daran koppeln, wer mitstimmt.“
FDP-Fraktionsvize Christian Dürr zeigte sich ebenfalls offen. „Wenn die Union eine entschlossene Migrationspolitik im Bundestag vorantreibt, werden wir uns das genau ansehen und unterstützen, wenn es in die richtige Richtung geht“, sagte er dem RND.
AfD-Chefin Weidel feiert, Chrupalla ist skeptisch
In der AfD hatten man Merz schon am Donnerstag eine Zusammenarbeit angeboten. In einem Brief an den Unionsvorsitzenden warb Parteichefin Alice Weidel dafür, „ohne weiteres Zögern die erforderlichen Beschlüsse zu fassen“.
Sie wertete die Ankündigung von Merz am Freitag daher als Erfolg. „Die Brandmauer ist gefallen!“, schrieb Weidel bei X: „CDU und CSU haben mein Angebot angenommen, in der Schicksalsfrage der Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen.“
Ihr Co-Chef gab sich dagegen noch zurückhaltend. „CDU und CSU haben unsere Anträge auf effektiven Grenzschutz und Abschiebungen gefährlicher Zuwanderer immer abgelehnt“, sagte Tino Chruplla dem RND. Eine gute Migrationspolitik gebe es nur unter Federführung seiner Partei. Es brauche keine Brandmauern, sondern sichere Grenzen. (mit dpa)
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