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Sommermärchen in der Krise?: Die Politik hofft auf den Stimmungsumschwung bei der EM
Die Wirtschaft kriselt, beim Haushalt knirscht es, die Europawahl hängt der Regierung in den Knochen. In der Politik sind die Erwartungen an die Europameisterschaft groß.
Stand:
Robert Habeck hoffte schon Ende April auf die Europameisterschaft. „Die Wirtschaft wird wieder wachsen, die CO₂-Emissionen gehen runter, die Energiepreise gehen runter und vielleicht werden wir auch Fußballeuropameister und alle haben wieder gute Laune“, sagte der Vizekanzler bei einer Veranstaltung der „taz“ über den Sommer 2024.
Für den Grünen-Politiker Habeck scheint die Heim-EM so etwas wie die letzte Hoffnung. „Das kann schon so passieren und die Ampel bekommt die zweite Luft.“
Kurz vor Beginn der Europameisterschaft hat sich die Lage für die Koalition jedoch eher verschärft als entspannt. Bei der Europawahl wurden SPD, Grüne und FDP abgestraft. Gemeinsam kommt man gerade noch auf etwas über 30 Prozent. Die politischen Ränder sind gestärkt, die Stimmung ist aufgeheizt. Auch die Konjunktur schwächelt weiter, wie Habecks Ministerium einen Tag vor dem Eröffnungsspiel mitteilen muss. Alle haben wieder gute Laune? Noch ist davon wenig zu spüren.
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Der Ökonom Christian Rusche glaubt nicht an einen großen Aufschwung durch das Heimturnier, zu dem knapp zwei Millionen Besucher aus der ganzen Welt erwartet werden. „Großveranstaltungen können ein wirtschaftlicher Faktor sein, allerdings wurde dieses Mal – anders als bei der WM 2006 – wenig in die Infrastruktur investiert“, sagt Rusche, der am Institut der deutschen Wirtschaft arbeitet.
Wenn es richtig gut für das deutsche Team läuft, könnte das den Konsum ankurbeln.
Christian Rusche, Ökonom, rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu 0,5 Prozent.
Für einige Branchen sei das Turnier jedoch durchaus relevant, allen voran der Handel, die Gastronomie und die Hotellerie. Sollte das DFB-Team gut abschneiden, glaubt Rusche zudem an einen psychologischen Effekt. „Wenn es richtig gut für das deutsche Team läuft, könnte das den Konsum ankurbeln und vielleicht zu einem Wirtschaftswachstum von bis zu 0,5 Prozentpunkten führen“, sagt der Ökonom und ergänzt: „Dafür muss das DFB-Team aber schon das Halbfinale erreichen.“
Hannes Delto dagegen hofft auf ein weniger gutes Abschneiden der deutschen Mannschaft. „Je weiter das deutsche Team kommt, desto offener und sichtbarer könnte sich der Rassismus zeigen“, befürchtet der Sozialpsychologe, der an der Fachhochschule für Sport und Management in Potsdam Professor für Sportkommunikation ist. Schon in der Vergangenheit hat er Diskriminierung und Rassismus im Zuge von Sportgroßveranstaltungen untersucht.
Ich glaube nicht, dass wir eine Lagerfeuer-Stimmung erleben werden.
Hannes Delto, Professor für Sportkommunikation in Potsdam, blickt sorgenvoll auf die Europameisterschaft.
Auf ein Sommermärchen 2.0 hofft Delto nicht. „Ich glaube nicht, dass wir eine Lagerfeuer-Stimmung erleben werden.“ Die EM sei nur für einen Teil der Gesellschaft ein fröhliches Fest. Der positive Patriotismus würde – das zeige die Sozialwissenschaft – bei Turnieren schnell in National-Chauvinismus kippen. Dass der Fußball integrativ, fair und tolerant wäre, seien leider nur Zuschreibungen, die punktuell zutreffen würden. „Für Minderheiten können die Fanmeilen zu Angsträumen werden“, prognostiziert Delto.
In der Bundespolitik, die in diesen Tagen unter schwierigen Bedingungen einen Haushaltsentwurf erarbeitet, will man sich die Stimmung von solchen Prognosen jedoch nicht verderben lassen: „Fußball bringt uns zusammen. In Zeiten internationaler Unsicherheit ist die EM ein Anlass, unser freies und demokratisches Land, die Freundschaft mit unseren europäischen Nachbarn und den fairen Wettbewerb zu zelebrieren“, sagt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner dem Tagesspiegel. Der Finanzminister freut sich auf ein „großes Fußballfest mit unseren Gästen“.
Darin ist sich Lindner ausnahmsweise einig mit seinem grünen Koalitionspartner: „Internationale Fußball-Turniere sind besondere Anlässe, die Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammenbringen“, sagt Grünen-Chef Omid Nouripour. Fußball könne zwar die aktuellen Probleme nicht lösen, verbinde aber, sagte der Grünen-Vorsitzende, der selbst großer Fußball-Fan ist. „Dieses Turnier im eigenen Land kann uns sicherlich viel Freude bereiten“, sagt Nouripour.
Auch aus der Opposition kommen positive Wortmeldungen: „Ich freue mich auf ein friedliches und stimmungsvolles Turnier und hoffe, dass sich Deutschland wieder einmal als hervorragender Gastgeber präsentiert“, sagt CDU-Chef Friedrich Merz dem Tagesspiegel. Zumindest im Bundestag, direkt neben der großen Fanmeile, scheint die Laune also gut. Vielleicht erfüllen sich die Hoffnungen des Vizekanzlers ja doch.
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