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Gregor Gysi in seinem Büro im Bundestag

© Mike Wolff

Gregor Gysi im Interview: „Wenn es darauf ankäme, wären wir disziplinierter als die SPD“

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi fordert von der SPD einen "Riesenruck" - damit Rot-Rot-Grün auch im Bund möglich ist. Im Interview spricht der Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl daneben über die Leidenschaft der DDR-Bürger für Europa und Doping im Westen.

Herr Gysi, haben Sie in den Sommerferien einen Sprachkurs besucht?

Nein, ich komme leider nicht dazu. Ich finde auch nicht den richtigen Lehrer. Dabei hatte ich in meinem Leben schon einmal einen Englisch-Intensivkurs. Aber wenn ich je eine Fee oder einen Zauberzwerg träfe, wünschte ich mir, alle lebenden und toten Sprachen perfekt in Wort und Schrift zu beherrschen. Dann wäre ich der perfekte Kommunikator.

Und Sie hätten womöglich eine noch fehlende Voraussetzung für das Außenministeramt. Das wollen Sie doch haben, wenn es darauf ankommt?

Ich glaube keine Sekunde, dass ich nach der Wahl Minister werde. Das muss auch nicht sein. Ich bin ja nicht mehr Mitte 30. Verändert werden muss die Außenpolitik aber sehr wohl. Beispielsweise muss man die Abkommen zwischen den Geheimdiensten stoppen, denen darf man gar keine Tür aufmachen. Dann würde ich gern mit den USA verhandeln, dass sie schnellstens ihre Atomwaffen aus Deutschland abziehen. Das Besatzungsstatut muss endlich aufgehoben werden. Und unser Land sollte eine wirkliche Vermittlerrolle im Nahen Osten spielen, dazu müssten wir uns gleichberechtigt für Israel und Palästina einsetzen.

Wäre das nicht eine schöne Rollenaufteilung für die Geschichtsbücher: Oskar Lafontaine, der die Linke groß gemacht hat, und Gregor Gysi ...

der dann Außenminister wird?

Na, wenigstens: die Linke in die Bundesregierung bringt.

Also wenn Sie mich jetzt nach Koalitionen fragen: Es gibt ein paar Kernpunkte, wo wir im Widerspruch zur Allparteienkonsenssoße stehen. Und die SPD muss wissen, was sie will. Will sie sich weiter an Kriegen beteiligen? Dann sind wir der falsche Partner. Will die SPD weg von der Rente mit 67 und der Senkung des Rentenniveaus, geht das nur mit uns. Wenn die SPD endlich auch sagt, die Euro-Rettungsschirme waren falsch, man muss den Euro retten, aber eben auf andere Art und Weise, dann sind wir der richtige Partner. Dasselbe gilt für die prekäre Beschäftigung, für die Grundstrukturen von Hartz IV sowie das Thema gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, bezogen sowohl auf Frauen und Männer als auch auf Ost und West, und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung. Es geht immer um die Frage: Bleibt die SPD auf der Gegenseite oder nicht?

Eine lange Liste von Haltelinien.

Das sind keine Haltelinien. Ich sage, die SPD muss sich entscheiden, ich möchte sie inhaltlich stellen. Das heißt ja nicht, dass es nicht da und dort auch mal einen Kompromiss geben kann. Im Grundsatz geht es darum, ob sie mit uns sozialer anfangen oder mit Union und FDP herumzappeln will.

Sehen Sie Bewegung bei der SPD?

Warten wir es ab. Wenn es nach der Wahl eine große Koalition gibt, und das ist ja nicht so unwahrscheinlich, wird die SPD irgendwann endlich bemerken, dass sie seit der Agenda 2010 nur abbaut. Vielleicht wächst dann bei den Sozialdemokraten die Bereitschaft, die machtpolitischen Realitäten in diesem Lande ernst zu nehmen und über einen Wechsel zu Rot-Rot-Grün nachzudenken. Die SPD braucht einen Riesenruck.

Hätten Sie die Autorität, um eine Partei auf eine Regierungsbeteiligung einzuschwören?

Ich mache mir da keine Sorgen. Meine Erfahrung ist, dass die sogenannten Radikalen dann eher weich werden und so einer wie ich darauf achten müsste, dass man die Linien nicht überschreitet.

Und weil Sie nicht so richtig wollen, wird Sahra Wagenknecht Bundesministerin?

Sie wäre doch gut. Aber wir müssen doch jetzt nicht über solche ungelegten Eier reden. Interessant ist doch, was die SPD inhaltlich will. Bisher ist die SPD leider einfach zu pfeifig – zumindest noch.

Was treibt Sie um, wenn Sie an die SPD denken, Mitleid, Besorgnis, Schadenfreude?

Diese Partei ist in ihrer Leidensfähigkeit von niemandem zu toppen.

Hat SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht recht, wenn er sagt, die Linke, das seien zwei Parteien in einer, SPD-Hasser und Sektierer im Westen, Pragmatiker im Osten?

Sigmar Gabriel war es doch, der eine rot-rote Koalition in Sachsen-Anhalt mit allen Mitteln verhindert hat. Die SPD sucht immer eine neue Ausrede. Erst waren wir die Schmuddelkinder wegen der SED-Vergangenheit, dann ging es um Oskar Lafontaine, jetzt diese These. Das ist doch alles Quatsch. Wenn es darauf ankäme, wären wir disziplinierter als die SPD.

Sehen Sie die Gefahr, dass eine Regierungsbeteiligung im Bund die Linke zerreißt? Der Preis könnte hoch sein, wie bei den Grünen 1998, die damals einen Teil der Partei verloren haben.

Kaum. Wenn wir nie regieren, verlieren wir auch Leute.

Ihr Genosse Harald Wolf, früherer Wirtschaftssenator in Berlin, sagt, als Einstieg wären wechselnde Mehrheiten im Bund, die Tolerierung einer rot-grünen Regierung nicht schlecht. Wie sehen Sie das?

Der müsste es ja auch nicht machen. Wechselnde Mehrheiten wären aber verantwortungslos. Was soll eine Bevölkerung mit einer Bundesregierung anfangen, die in den Fragen A und B mit der Linken und bei den Fragen C und D mit der Union stimmt, dann vielleicht mit der FDP? Es widerspricht dem gegebenen Demokratieverständnis. Ich fand das einmal gut, 1994 in Sachsen-Anhalt, da war es ein Dammbruch. Die weiteren Versuche auf Landesebene, ob nun in Magdeburg oder Düsseldorf, sind eher schiefgegangen.

Wie Gysi über die Grünen denkt

Wie wollen Sie denn die Grünen von einem Linksbündnis überzeugen?

Die Grünen sind so scharf aufs Regieren, die werden viele Kompromisse eingehen. Sie würden wohl auch Schwarz-Grün machen. Bei uns müssten sie einige Kröten schlucken.

Herr Gysi, sind Sie eigentlich ein leidenschaftlicher Europäer?

Ja. Ich hatte das Privileg, in der DDR in einer besonderen Familie aufzuwachsen. Meine Eltern sprachen perfekt Deutsch, Russisch, Englisch und Französisch. Sie hatten Freunde in der ganzen Welt, in Südafrika, in den USA, in Großbritannien, Frankreich und Belgien, die uns besuchten. Das hat mich geöffnet.

Stimmen Sie Peer Steinbrück zu, wenn er sagt, Angela Merkel fehle wegen ihrer DDR-Sozialisation die Leidenschaft für Europa?

Ausdrücklich nein. Die Sehnsucht, Europäer zu sein, war unter den DDR-Bürgern besonders groß. Sie haben damit die Hoffnung verbunden, gleichberechtigter zu werden. Der Wunsch nach europäischer Integration mag in Ost und West unterschiedlich motiviert sein, er ist aber gleich groß. Peer Steinbrück hat vom Osten keine Ahnung.

Erfüllt es Sie mit Genugtuung, dass endlich auch Doping im West-Sport systematisch aufgearbeitet wird?

Nein, aber es zeigt, dass sich beide deutsche Staaten in manchen Punkten ähnlicher waren, als es viele glaubten und es die Bundesregierung zugeben will. Nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik wurde staatlich gestützt und offenkundig mit Wissen der jeweiligen Bundesinnenminister gedopt. Man hätte sich moralisch nicht so aufspielen sollen, wie man es tat. Und es ist auch erstaunlich, welche Erinnerungslücken bei einigen plötzlich auftreten.

Ermittlungen im Zusammenhang mit früheren Stasi-Kontakten

Vor einem Jahr war die Linke so zerstritten, dass Sie auf dem Parteitag in Göttingen sogar die Möglichkeit einer Spaltung in den Raum gestellt haben. Wie ist die Stimmung zwischen Ost und West jetzt?

Ich bin ja eigentlich ein friedlicher Mensch, aber damals war ich in Gewitterstimmung und habe nicht darüber nachgedacht, ob meine Worte schaden könnten oder nicht. Ich glaube aber, es war ein reinigendes Gewitter. Der Gedanke, dass alles schiefgehen kann, hat die Partei erschreckt. Die Mitglieder haben verstanden, dass wir uns nicht mehr nur mit uns selbst beschäftigen können. Wir sind politischer geworden und wieder näher an den Bürgern dran. Bis sich das in den Umfragen niederschlägt, kann es noch etwas dauern. Vertrauen wieder aufzubauen, ist zähe Arbeit.

Die Staatsanwaltschaft in Hamburg ermittelt seit Monaten rund um ihre früheren Stasikontakte und wird das Verfahren voraussichtlich nicht vor der Bundestagswahl abschließen. Belastet das Ihren Wahlkampf?

Nein. Natürlich nervt es mich, dass gegen mich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Aber da ich keine falschen eidesstattlichen Versicherungen abgebe, bin ich mir sicher, dass das Verfahren eingestellt wird.

Macht Ihnen die Politik jetzt wieder Spaß?

Ja, ich liebe Wahlkämpfe. Von allen Bundestagswahlkämpfen, die ich erlebt habe, ist dieser allerdings der lahmste. Das kann unmöglich so bleiben. Dann muss halt ein 65-Jähriger wie ich mal ran und mit einer inhaltlichen Debatte über Rot-Rot-Grün ein bisschen Zoff in die Bude bringen.

Gregor Gysi ist Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Der 65-Jährige gehört zum achtköpfigen Spitzenteam seiner Partei bei der Bundestagswahl. Er führt die Landesliste seiner Partei und ist Direktkandidat im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick. Das Gespräch führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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