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Bunter Protest: Bleibt der Opposition nur Symbolpolitik?

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Grüne und Linke zahnlos im Bundestag: Die Opposition ist gleichzeitig so stark und so schwach wie lange nicht

Im Verhältnis ist die Opposition so stark wie seit vielen Jahren nicht. Doch wegen der AfD kommen Grüne und Linke nicht zu ihren Minderheitenrechten. Das macht sich bereits stark bemerkbar.

Stand:

Vergangenen Donnerstagvormittag im Deutschen Bundestag. Selten war das Parlament so bunt. In lilafarbener, blauer, grüner, gelber, oranger und roter Kleidung sitzen Abgeordnete von Grünen und Linkspartei im Plenum. Mit ihrer Garderobe bilden sie einen menschlichen Regenbogen im Hohen Haus und protestieren damit gegen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), die zum Berliner CSD in diesem Jahr keine Regenbogenfahne auf dem Reichstagsgebäude hissen will.

„Wenn Julia Klöckner keine Regenbogenflagge auf dem Bundestag haben will, dann bringen wir sie eben in den Bundestag“, heißt es aus der Grünen-Fraktion. Dort hat man an diesem Tag einen Gesetzentwurf zum Schutz von queeren Menschen eingebracht.

Nach einer Stunde und einer hitzigen Debatte mit zahlreichen Zwischenrufen wird der Entwurf in den Ausschuss überwiesen, von wo er vermutlich nicht zurück ins Plenum kommen wird. Nach dem Tagesordnungspunkt verlassen viele Abgeordnete den Saal – der Regenbogen verliert an Farbe.

Die Aktion ist wortwörtlich Symbolpolitik und doch ist sie ein großer Erfolg für Grüne und Linke. Die Bilder verbreiten sich rasch auf Social Media, zahlreiche Medien berichten. Kurze Aufmerksamkeit für die Opposition in diesen bewegten Krisenzeiten. Auf viel mehr können Grüne und Linke momentan kaum hoffen, denn die Opposition ist in dieser Legislaturperiode historisch ausgebremst.

13
Stimmen beträgt die Mehrheit der schwarz-roten Koalition gerade einmal.

Es wirkt widersprüchlich, denn die schwarz-rote Koalition verfügt im Bundestag nur über eine knappe Mehrheit von 13 Abgeordneten. Zum Vergleich: In den Ampel-Jahren und der letzten großen Koalition unter Angela Merkel hatten die Regierungsfraktionen eine satte Mehrheit von mehr als 90 Abgeordneten. Nun ist die Opposition verhältnismäßig so stark wie seit vielen Jahren nicht – und doch ist sie so schwach wie lange nicht.

Denn die Opposition ist gespalten in zwei Lager, die eine Zusammenarbeit strikt ablehnen. Auf der einen Seite die AfD als stärkste Oppositionskraft, auf der anderen Seite des Parlaments Grüne und Linke, die als „demokratische Opposition“ jede Form der Zusammenarbeit mit der Partei, die das Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, ausschließt. Profiteur von dieser Konstellation sind Union und SPD.

Das Funktionieren der Opposition ist gestört.

Der Politikwissenschaftler Frank Decker über das Agieren von AfD, Grünen und Linken.

„Das Funktionieren der Opposition ist gestört“, sagt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker. In der parlamentarischen Demokratie überwachen die Oppositionsfraktionen eigentlich die Arbeit der Regierung. Doch weil Grüne und Linke keine gemeinsame Sache mit der AfD machen wollen, beschneiden sich Grüne und Linke selbst. „Die schärfsten Waffen der Opposition – eine Verfassungsklage und ein Untersuchungsausschuss – sind ihr genommen“, erklärt Decker.

Tatsächlich werden die eingeschränkten Minderheitenrechte der Opposition schon rund 50 Tage nach der Kanzlerwahl von Friedrich Merz deutlich. In der Affäre um die Maskenbeschaffung in der Coronapandemie verlangen Grüne und Linke seit Tagen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA).

Darin könnten Zeugen vorgeladen und befragt, Akten beantragt und Anhörungen durchgeführt werden. In fast jeder Legislaturperiode gab es mehrere dieser Ausschüsse – die nächsten Jahre könnte es gar keinen geben.

Union und Linke auf Konfrontationskurs

Denn für die Einsetzung eines PUAs braucht es 25 Prozent der Abgeordneten. Dafür fehlen Grünen und Linken jedoch neun Abgeordnete. Nicht einmal eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses zur Maskenaffäre konnten Grüne und Linke beantragen. Ausgerechnet Jens Spahn, der für sein Handeln als Gesundheitsminister in der Kritik steht, verhindert als Fraktionschef der Union nun, dass Grüne und Linke seine Rolle in der Pandemie untersuchen können.

„Die Kontrollinstanzen der Demokratie werden ad absurdum geführt“, sagt Heidi Reichinnek, Fraktionsvorsitzende der Linken. Zwar ist ihre Partei seit der Bundestagswahl wieder viel stärker im Parlament vertreten, trotzdem konstatiert sie: „Als demokratische Opposition fühlen wir uns ausgebremst und in unserer Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, behindert.“

Als demokratische Opposition fühlen wir uns ausgebremst und in unserer Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, behindert.

Linken-Fraktionschefin Heidi Rechinnek kritisiert Union und SPD.

Das gilt auch für Reichinnek persönlich. In der vergangenen Woche bei der Wahl zum parlamentarischen Kontrollgremium – dem Ort, wo Abgeordnete die Arbeit der Geheimdienste überwachen – scheiterte sie, weil die Union sie für ungeeignet hält.

In dem Gremium sitzt nun lediglich ein Vertreter der Opposition. Auch bei anderen Gremien-Wahlen fielen die Kandidatinnen der Linken durch. „Es ist ein Problem, dass wir als demokratische Opposition gerade dem Wohlwollen der Union ausgesetzt sind“, ärgert sich Reichinnek.

Tatsächlich machen Union und SPD wenig Anstalten, sich für die Minderheitenrechte einzusetzen. Mit den Linken will die Union per se nicht sprechen oder verhandeln, ein Treffen zwischen den Fraktionschefs von Grünen, Union und SPD blieb nach Tagesspiegel-Informationen vorerst ohne Ergebnis.

Union gegen weitere Rechte, SPD offen für Gespräche

Dabei geht es nicht nur um das Recht, einen PUA einzusetzen, sondern auch darum, ob Sondersitzungen des Bundestags oder von Ausschüssen einberufen werden können. Momentan können Grüne und Linke nicht einmal eigenständig Anhörungen in Ausschüssen beantragen. Ihnen bleibt oft nur das Mittel der parlamentarischen Anfragen – und selbst die wurden zuletzt in der Bundestagsverwaltung zum Teil nur schleppend weitergeleitet.

„Wir sollten die Spielregeln einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie nicht am jeweiligen Wahlergebnis ausrichten“, sagt Steffen Bilger, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, dem Tagesspiegel. Er sehe daher keine Notwendigkeit, die Rechte der Opposition zu verändern. „Die Stärke der Opposition hängt auch nicht in erster Linie an formalen Quoren, sondern vor allem an ihrer Fähigkeit, mit Argumenten zu überzeugen, konstruktive Vorschläge zu machen und die Menschen für ihre Anliegen zu gewinnen“, argumentiert Bilger.

Jens Spahn (l.) und Steffen Bilger haben wenig Interesse an weiteren Rechten für die Opposition.

© Imago/Bernd Elmenthaler

Damit überzeugt er jedoch noch nicht einmal den eigenen Koalitionspartner. „Auch wir sehen Defizite bei den Oppositionsrechten“, teilt der SPD-Politiker Johannes Fechner auf Anfrage mit. Der Parlamentarische Geschäftsführer hält es etwa für geboten, dass Oppositionsanträge für Sachverständigenanhörungen in Ausschüssen nicht dauerhaft vertagt werden dürfen. Es wäre immerhin ein kleiner Erfolg für Grüne und Linke.

Die Möglichkeit eines Untersuchungsausschusses will aber auch SPD-Mann Fechner der Opposition nicht so einfach überlassen. „Das Quorum für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sollten wir nicht absenken“, sagt er und begründet dies mit der Gefahr, dass es dann sehr viele Untersuchungsausschüsse geben könnte. „Das würde Oppositionsparteien dazu verleiten, statt nur zu wirklichen Skandalen Untersuchungsausschüsse zu parteipolitischen Zwecken zu beantragen“, sagt Fechner.

Tatsächlich kursiert im politischen Berlin die Sorge, dass bei einer Absenkung des Quorums die AfD das Mittel des Untersuchungsausschusses ungehemmt missbrauchen könnte und damit Chaos in den Bundestagsbetrieb bringen könnte. Mit 151 Abgeordneten hat die AfD zwei Parlamentarier mehr als Grüne und Linke zusammen.

Für die Wahl von Verfassungsrichtern braucht es Grüne und Linke

„Wir bräuchten so etwas wie ein Fairness-Abkommen mit den Regierungsfraktionen für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses“, schlägt Britta Haßelmann vor. Eine Möglichkeit wäre dafür, dass Grüne und Linke einen PUA für die Legislaturperiode erhalten, für den dann auch mindestens neun Abgeordnete der Koalition stimmen.

Haßelmann hält es für essenziell, dass alle parlamentarischen Werkzeuge in einer Demokratie auch zur Anwendung kommen. „Für die Außenwahrnehmung kann der Bundesregierung nicht der Eindruck recht sein, dass ihr Minderheitenrechte egal sind“, sagt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Heidi Reichinnek versucht derweil, Druck auf die Regierung aufzubauen. Es werde Momente geben, bei der Grüne und Linke gebraucht würden – etwa bei Grundgesetzänderungen oder der Wahl von Verfassungsrichtern. Bei Letzterem droht Reichinnek der Union, die nötigen Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit zu verweigern.

„Es ist üblich, dass man mit den für eine Mehrheit notwendigen Fraktionen Gespräche führt“, erklärt sie. Doch die Union habe bislang kein Gespräch initiiert. „Unsere bisherigen Gesprächsangebote wurden ebenfalls ignoriert“, sagt Reichinnek und warnt vor der Konsequenz: „Unter diesen Umständen können wir die vorgeschlagene Person nicht einfach wählen.“

Die Medien übernehmen die Kontrolle der Regierung stärker

Der Bonner Politikwissenschaftler Decker sieht genau in diesen Fragen die Oppositionsparteien jedoch in einem Dilemma: „Entweder die Opposition profiliert sich und blockiert die Wahl von Verfassungsrichtern und Grundgesetzänderungen. Oder sie unterstützt die Regierung und hilft durch stabiles Regieren beim Zurückdrängen der AfD.“ Denn vom politischen Chaos würden vor allem die Rechten profitieren, so Decker.

Der Politikwissenschaftler beobachtet, dass sich durch die Einschränkungen von Grünen und Linken im Parlament die eigentliche Oppositionsarbeit stückweise verlagere. „Die Kontrolle der Regierung erfolgt stärker über die Medien, aber auch durch die Aktionen der Zivilgesellschaft.“

Er sieht die aktuelle Situation entspannt. Es habe in der Vergangenheit immer wieder Zeiten gegeben, in der die Opposition geschwächt gewesen sei. Vor allem in der Zeit der ersten großen Koalition von 1965 bis 1969, als es lediglich die FDP als Oppositionskraft im Bundestag gab, sei es einer außerparlamentarischen Opposition gelungen, das Handeln der Regierung auszugleichen und kritisch zu begleiten.

Es sei auch jetzt nicht die Zeit zum Katastrophisieren, findet Decker: „Wenn die parlamentarische Opposition nicht funktioniert, ist das nicht der Untergang der Demokratie.“ (Mitarbeit: Daniel Friedrich Sturm)

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