
© imago/penofoto/IMAGO/P.Nowack
Mehrheit mit FDP und BSW möglich: Merz will AfD-Stimmen bei Migrationsanträgen in Kauf nehmen
Die Union bringt nach der Messerattacke von Aschaffenburg kommende Woche im Bundestag Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik ein. Für eine Mehrheit bräuchte sie nicht nur die AfD.
Stand:
Die Unionsfraktion will nach der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg kommende Woche im Bundestag Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einbringen – und in Kauf nehmen, dass es Mehrheiten mit der AfD geben könnte.
„Wir werden nächste Woche in den Deutschen Bundestag Anträge einbringen, die ausschließlich unserer Überzeugung entsprechen“, sagte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz in Berlin. Er fügte hinzu: „Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt.“
Wir stimmen keinem einzigen AfD-Antrag zu.
Friedrich Merz, CDU-Chef
Der Unions-Kanzlerkandidat betonte: „Wir stimmen keinem einzigen AfD-Antrag zu, weil wir sämtliche Themen, die wir für richtig halten, von uns aus in den Bundestag einbringen.“ Merz ergänzte: „Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“
Seine Haltung zur AfD sei und bleibe klar, sagte Merz: „Wir arbeiten mit dieser Partei nicht zusammen.“ Dies bedeute erstens: „Wir gehen mit denen nicht zusammen in eine Regierung. Zweitens: Wir verhandeln mit denen im Deutschen Bundestag nicht über irgendwelche Anträge.“ Dies gelte auch für das BSW von Sahra Wagenknecht.
Der „Bild“ sagte ein AfD-Sprecher, dass die AfD den Anträgen von CDU/CSU auch dann zustimmen würde, sollte die Union wie erwartet die AfD-Anträge ablehnen. „Das ist, was die AfD schon die ganze Zeit so handhabt. Das Land geht vor“, so der Sprecher.
AfD-Chef Chrupalla äußert sich skeptisch
AfD-Chefin Alice Weidel hatte sich bereits am Donnerstag mit einem offenen Brief an Merz gewandt. Dessen angeregter „migrationspolitischer Kurswechsel“ sei „ein gutes Zeichen“, heißt es laut einem Bericht von „Bild“ darin. Weidel verwies demnach auf die Bundestagssitzung am kommenden Mittwoch, „die nicht ungenutzt verstreichen darf“. „In staatspolitischer Verantwortung appelliere ich daher an Sie: Lassen Sie uns ohne weiteres Zögern die erforderlichen Beschlüsse fassen, um in die Tat umzusetzen, was die Bürger jetzt mit Recht von der Politik erwarten“, zitiert das Boulevardblatt weiter aus dem Brief.
AfD-Chef Tino Chrupalla hingegen reagierte skeptisch auf Merz’ Ankündigung. „CDU und CSU haben unsere Anträge auf effektiven Grenzschutz und Abschiebungen gefährlicher Zuwanderer immer abgelehnt. Stattdessen hat Merz die Politik der offenen Grenzen fortgeführt“, sagte Chrupalla dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Eine gute Migrationspolitik gibt es nur unter Federführung der Alternative für Deutschland. Deutschland braucht keine Brandmauern, sondern sichere Grenzen.“
FDP-Vize Kubicki rechnet mit Zustimmung
FDP-Vize Wolfgang Kubicki erklärte der „Bild“, dass seine Partei den Unionsanträgen zustimmen würde: „Wir können doch unsere Zustimmung zu für das Land notwendigen Maßnahmen nicht daran koppeln, wer mitstimmt. Sonst können wir gleich Rot-Grün weiter regieren lassen.“
BSW-Chefin Wagenknecht begrüßte den Vorstoß der CDU ebenfalls. „Wenn die Union sinnvolle Anträge in den Deutschen Bundestag einbringt, um die unkontrollierte Migration zu beenden und Ausreisepflichtige in ihre Heimatländer zurückzuführen, dann stimmen wir ihnen selbstverständlich zu“, sagte Wagenknecht dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
„Wir haben immer gefordert, noch vor der Wahl die notwendigen Entscheidungen für unser Land zu treffen, und halten es für unmöglich und unglaubwürdig, wenn Friedrich Merz die Bürger auf die Zeit nach der nächsten Regierungsbildung vertröstet“, so Wagenknecht weiter. „Die Union soll liefern, das Land braucht jetzt eine 180-Grad-Migrationswende und mehr innere Sicherheit.“
Union, AfD, FDP und BSW hätten eine Mehrheit
Die Fraktionen von Union, AfD, FDP und BSW kommen gemeinsam auf 372 Stimmen, für eine Mehrheit im Bundestag würden schon 367 Stimmen reichen. Sollte hingegen eine der Fraktionen nicht zustimmen, gäbe es keine Mehrheit. Es sei denn, einige fraktionslose Bundestagsmitglieder stimmen mit den Unionsanträgen. Unter den Fraktionslosen gibt es auch ehemalige AfD-Mitglieder.

© https://www.bundestag.de/parlament/plenum/sitzverteilung_20wp I Tagesspiegel/Rita Boettcher
Wie würde es nun zu einem solchen Antrag kommen? Zuerst müsste der Ältestenrat des Bundestages zustimmen, dass die Union den Antrag einbringen darf. Für gewöhnlich stimmt der Ältestenrat dafür, Anträge auch von Nicht-Regierungsparteien einzubringen.
Anschließend würde der Antrag im Bundestag in erster Lesung behandelt und dann zur Abstimmung gestellt. Falls eine Mehrheit des Bundestages dafürstimmt, ist der Antrag allerdings kein Gesetz, sondern hat vielmehr Appellcharakter. Eine Gesetzesänderung bis zur Bundestagswahl ist quasi ausgeschlossen.
CSU-Chef Markus Söder erhöhte in dem Zusammenhang den Druck auf die Regierungsparteien. „Ich gehe doch davon aus, dass Grüne und SPD zustimmen müssen“, sagte Söder am Freitag. Sollten die Regierungsfraktionen zustimmen, stelle sich auch nicht die Frage, ob die AfD die Unionspläne mittrage.
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte Merz vor einer Zusammenarbeit mit der AfD. „Nach dem Bruch der Ampel hat Friedrich Merz im Bundestag selber den Vorschlag unterbreitet, auch in dieser Phase des Übergangs nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten“, sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Auch für die Zeit nach der Wahl habe Merz immer wieder betont: „Eine Zusammenarbeit unter seiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben, er knüpfe sein Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort. Ich nehme Friedrich Merz beim Wort, dieses Wort darf nicht gebrochen werden – ich fürchte nur, Friedrich Merz steht kurz davor, das zu tun“, so Habeck.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz appellierte an den Unionsvorsitzenden. „Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln“, sagte Scholz der „Stuttgarter Nachrichten“, der „Stuttgarter Zeitung“ sowie den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft vom Samstag.
Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, äußerte deutliche Kritik an möglichen gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD. „Wenn Merz das macht, ist es der Dammbruch, das Ende der Brandmauer“, sagte Mast, die in dem Falle von einem „Freifahrtschein für eine Zusammenarbeit mit der AfD“ sprach. (mit Agenturen)
- AfD
- Alice Weidel
- CDU
- CSU
- Deutscher Bundestag
- FDP
- Friedrich Merz
- Robert Habeck
- Sahra Wagenknecht
- Tino Chrupalla
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: