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Der Holocausüberlebende Roman Schwarzman sprach am Mittwoch in der Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus.

© dpa/Michael Kappeler

„Ich habe den Teufel gesehen“ : Holocaust-Überlebender zieht bedrückende Parallelen ins Heute

Hitler habe ihn töten wollen, weil er Jude sei. Putin wolle ihn töten, weil er Ukrainer sei, sagt Roman Schwarzman im Bundestag. Wie das Parlament an einem besonderen Tag der NS-Opfer gedachte.

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Schmerzlich ist der Bogen vom Gestern ins Heute, den Roman Schwarzman schlägt. Der Holocaust-Überlebende, 88 Jahre alt, ist am Mittwoch Hauptredner in der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus. „Damals wollte Hitler mich töten, weil ich Jude bin. Jetzt versucht Putin mich zu töten, weil ich Ukrainer bin“, sagt Schwarzman.

Er erinnert an seinen Bruder, der bei Zwangsarbeit im Winter ausrutschte und in einen eisigen Fluss fiel. Die SS-Männer werteten das als Fluchtversuch und erschossen ihn sofort. Er erinnert an endlose Gräber voller Leichen, die er selbst gesehen habe. Daran, dass in seiner Heimatstadt Odessa 25.000 Juden in leerstehende Lagerhallen gedrängt und bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Mütter hätten ihre Kinder aus Fenstern geworfen, im verzweifelten Bemühen, sie zu retten.

Putin versucht, uns als Nation zu vernichten, so wie Hitler versucht hat, das jüdische Volk im Zweiten Weltkrieg zu vernichten.

Roman Schwarzman überlebte den Holocaust

Und dann, als er all dieses Grauen in Erinnerung gerufen hat, nimmt er es zur Grundlage, um über das Heute zu sprechen. „Putin versucht, uns als Nation zu vernichten, so wie Hitler versucht hat, das jüdische Volk im Zweiten Weltkrieg zu vernichten.“ Schwarzman berichtet von ukrainischen Soldaten, die aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt seien. „Ihre Geschichten von Folterkellern der russischen Besatzer verursachen bei mir Phantomschmerzen.“

„Ich habe den Teufel gesehen“

Schwarzman warnt davor, vor Putin einzuknicken: „Ich war im Ghetto, ich habe den Teufel gesehen, und ich sage: Wir überschätzen ihn sehr. Seine Kraft ist nicht größer als die, die wir ihm selbst beimessen.“

Ganz konkret appelliert er an die Politikerinnen und Politiker: „Wer glaubt, dass Putin sich mit der Ukraine zufriedengeben wird, der irrt.“ Sein Land brauche Flugabwehr, Flugzeuge und mehr Langstreckenflugkörper, auch um die Menschen in den besetzten Gebieten zu befreien.

Einmal habe er der Vernichtung bereits entgehen können. „Jetzt bin ich ein alter Mann und muss erneut mit der Angst leben, dass meine Kinder und Enkelkinder zu Opfern eines Vernichtungskrieges werden.“ Seine Wohnung in Odessa wurde durch einen russischen Luftangriff zerstört.

Nach seiner Rede wird Schwarzman herzlich umarmt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, jenem Mann, dem Kritiker vorwerfen, mitverantwortlich zu sein für eine jahrelang verfehlte Russlandpolitik.

Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages.

© imago/Future Image/IMAGO/Frederic Kern

Steinmeier hat vor Schwarzman gesprochen und einen anderen Bogen vom Gestern ins Heute geschlagen. Er spielt an auf die Brandmauer-Debatte, in deren Zeichen der gesamte Tag steht. „Nehmt die Feinde der Demokratie ernst“, zitiert der Bundespräsident den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub.

„Wir leben in einer Zeit der Entscheidung. Wir haben es in der Hand, das Errungene zu bewahren und unsere Demokratie zu schützen“, sagt Steinmeier. „Gehen wir nicht zurück in eine dunkle Zeit. Wir wissen es besser, machen wir es besser.“

Ihm hören, außer Schwarzman, noch andere zu, die Zeugnis ablegen können vom Schrecken der dunkelsten Zeit in der deutschen Geschichte. Margot Friedländer zum Beispiel sitzt auf der Besuchertribüne des Parlaments.

„Viele Juden fühlen sich nicht sicher in Deutschland“

Auch die Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck und Christian Wulff sind dort, Israels Botschafter in Deutschland Ron Prosor, Romani Rose als Präsident des Zentralrats der Sinti und Roma sowie Josef Schuster als Präsident des Zentralrats der Juden.

Zur Eröffnung der Gedenkstunde hat als erste Parlamentspräsidentin Bärbel Bas gesprochen. „Wir müssen ehrlich mit uns sein: Viele Jüdinnen und Juden fühlen sich nicht sicher in Deutschland“, sagt sie. Im Kampf gegen Antisemitismus gebe es enttäuschende Rückschritte. Ein jeder solle sich immer wieder fragen: „Was bin ich bereit, für das ‘Nie wieder’ zu tun?“

Schwarzman erinnert daran, was viele Juden in der Ukraine gedacht hätten, als der Krieg ausbrach: „Wir brauchen nicht zu fliehen. Die Deutschen sind anständige und kultivierte Menschen.“

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