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Die 78-jährige Anna Suchowa füllt in der Stadt Isjum Papiere aus, damit die Ermittler für Kriegsverbrechen ihre DNA zur Identifizierung ihres Bruders verwenden können (Symbolbild)

© Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

Im Wald verscharrt: Einwohner von Isjum suchen mittels DNA-Test nach getöteten Familienmitgliedern

Bis heute wissen viele Menschen im ukrainischen Isjum nicht, ob ihre vermissten Angehörigen in Massengräbern liegen. Die Identifizierung der Leichen ist herausfordernd.

Im September befreite die ukrainische Armee große Teile der Region Charkiw, darunter auch die Stadt Isjum, die während der Kämpfe und der Besetzung besonders gelitten hatte. Nach der Entminung wurden in den umliegenden Wäldern Leichen von Zivilisten gefunden. Die Körper wurden aus Einzel-, Doppel- und Massengräbern mit Hunderten von Leichen exhumiert und zur Untersuchung abtransportiert.

Bis heute wissen viele Einwohner von Isjum nicht, ob ihre vermissten Angehörigen in den Gräbern liegen, die sie gefunden haben. Im November begannen die Strafverfolgungsbehörden in der Region Charkiw mit dem Einsatz eines mobilen DNA-Labors, um die Leichen zu identifizieren.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist bekannt, dass in den Wäldern bei Isjum mehr als 440 Menschen begraben wurden. Es gebe mehrere Leichen mit auf den Rücken gebundenen Händen, eine Person sei mit einem Seil um den Hals begraben worden, teilte der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, damals mit. Journalisten internationaler Medien, die vor Ort Zeugen der Leichenfunde waren, berichteten ebenfalls von Leichen mit gefesselten Händen.

Die Körper sollen nun mit Hilfe eines mobilen DNA-Labors – einem Fahrzeug mit Laborausrüstung und einer Kühlkammer – identifiziert werden. Das Equipment dazu stammt aus Frankreich. Die Identifikation wird von Experten des Kriminaltechnischen Instituts aus Charkiw übernommen.

Nach Angaben von Dmytro Chubenko, Sprecher der regionalen Staatsanwaltschaft von Charkiw, verwenden die Gerichtsmediziner zur Identifizierung der Leichen DNA-Material, das sie von Angehörigen der Vermissten erhalten haben. Dieses wird dann mit dem DNA-Material der exhumierten Körper verglichen.

Dass die Leichen auf chaotische Weise im Wald verscharrt worden seien, erschwere die Identifizierung. Zudem hätten bisher nur 150 Personen DNA-Proben abgegeben, um potenzielle Verwandte unter den Toten zu ermitteln.

Ermittler sammeln DNA-Proben, um während der russischen Besatzung in Charkiw verstorbene Ukrainer zu identifizieren.
Ermittler sammeln DNA-Proben, um während der russischen Besatzung in Charkiw verstorbene Ukrainer zu identifizieren.

© Regionalstaatsanwaltschaft Charkiw

„Die Russen, die die Stadt besetzten, machten Notizen in einem Notizbuch, aber die Namen der Begrabenen wurden nicht aufgeführt. Die Gräber waren nummeriert und mit der Adresse und dem Geschlecht des Verstorbenen gekennzeichnet“, sagt Chubenko. „An die Füße der Toten wurden Zettel mit Nummern geheftet.“ Die Notizen seien aber oft auch fehlerhaft. „Die dem Körper einer Frau zugewiesene Nummer entpuppte sich als die eines Mannes.“

So seien Menschen, die an Krankheiten starben, ebenso im Wald verscharrt worden wie hingerichtete Bewohner. Krankenwagen hätten die Verstorbenen abgeholt und an einen unbekannten Ort gebracht. Angehörige hätten ihre toten Verwandten dann nur mit Glück wiederfinden und richtig beerdigen können. Noch schlimmer sei es den hingerichteten Stadtbewohnern ergangen. Das Notizbuch habe keine Informationen über sie enthalten.

Eine orthodoxe Ikone steht neben leeren Gräbern, die nach der Exhumierung von Leichen aus Massengräbern in der Stadt Isjum ausgehoben wurden.
Eine orthodoxe Ikone steht neben leeren Gräbern, die nach der Exhumierung von Leichen aus Massengräbern in der Stadt Isjum ausgehoben wurden.

© Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

„Die Leichen der in Massengräbern Begrabenen waren am schwierigsten zu identifizieren. Eines dieser Gräber enthielt die Überreste von 100 Menschen, die eines gewaltsamen Todes starben“, erklärt Dmytro Chubenko. Darin hätten die Experten Leichen von Erwachsenen und Kindern mit gebrochenen Gliedmaßen, zertrümmerten Knochen und Einschusslöchern im Schädel gefunden.

Jeden Morgen stünden besorgte Verwandte an den Sammelstellen der Kriminologen an, um die Leichen ihrer vermissten Angehörigen zu finden. Zudem bitten die Ermittler um DNA-Proben per Post – auch aus Ländern, in denen ukrainische Flüchtlinge Asyl gefunden haben.

Auch in den Städten Irpin und Butscha in der Region Kiew konnten Verwandte auf diese Weise ihre verstorbenen Angehörigen identifizieren. Die Zahl der Leichen in den dortigen Massengräbern geht ebenfalls in die Hunderte. Aus den kürzlich befreiten Gebieten der Region Cherson gibt es unterdessen erste Meldungen von russischen Kriegsverbrechen. Der Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments spricht von „entsetzlicher“ Folter. Ein Einsatz mobiler DNA-Labore auch im Südosten der Ukraine wird damit immer wahrscheinlicher.

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