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Kaum noch Spielraum: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Imago Images/Photothek

„Intensivstationen füllen sich rasant“: Minister, Mediziner, RKI – alle fordern schnellen harten Lockdown

Wegen Ostern sind die Infektionszahlen nur bedingt aussagekräftig. Auf den Intensivstationen wird es aber schon jetzt immer enger.

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Zwei Pressekonferenzen, eine eindringliche Warnung: Das deutsche Gesundheitssystem droht an seine Grenzen zu kommen. Das machte zum einen die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) bei einem kurzfristig anberaumten Termin zur aktuellen Lage deutlich. Und zum anderen mahnten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Chef Lothar Wieler bei ihrem wöchentlichen Auftritt in der Bundespressekonferenz in Berlin, dass die Gefahr groß sei, dass die Kliniken überlastet werden.

Wieler sagte, die Situation dort sei inzwischen „sehr, sehr ernst. Die Intensivstationen füllen sich rasant“ – während viele Betten noch mit den Patienten aus der zweiten Coronavirus-Welle belegt seien.

„Die Lage ist derzeit besonders besorgniserregend“, sagte auch Divi-Präsident Gernot Marx. Waren es in der vergangenen Woche noch rund 3600 Covid-19-Patienten, die auf den Intensivstationen in Deutschland behandelt wurden, steigt die Zahl nun dramatisch. „Wir stehen derzeit bei 4474 belegten Betten – wie von uns vorhergesagt.“ Rund 2700 Intensivbetten stünden aktuell nur noch zur Verfügung.

Auch die Prognose des Divi-Präsidenten macht kaum Hoffnung auf eine Entspannung der Situation. Bis Ende April gehen die Mediziner von mehr als 5000 Covid-19-Patienten aus, die intensivmedizinisch versorgt werden müssen.

„Es muss also umgehend etwas passieren. Wir appellieren dringend an die politischen Verantwortlichen. Wir brauchen jetzt Entscheidungen, jeder Tag zählt“, sagte Marx.

In einem Zimmer der Intensivstation wird ein Patient mit einem schweren Covid-19 Krankheitsverlauf behandelt.
In einem Zimmer der Intensivstation wird ein Patient mit einem schweren Covid-19 Krankheitsverlauf behandelt.

© Christophe Gateau/dpa

Dass die Lage in Deutschland momentan sehr angespannt ist, bekräftigte auch Spahn. „Wir haben über 25.000 neue Fälle. Das sind viel zu viele.“ Er verwies auch auf die niedrigeren Zahlen durch Ostern, wo weniger Leute zum Arzt gegangen sein dürften. „Wir sollten unser Handeln nicht von den aktuellen Zahlen leiten lassen.“

Dass diese viel höher ausfallen dürften, verdeutlichte Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin. „Wir haben im Moment das Problem, dass die aktuellen Zahlen wahrscheinlich nicht die wahren Zahlen sind. Wir glauben, dass die Inzidenz im Moment über 150 liegt, wieviel wissen wir frühestens kommende Woche.“ Und je höher die Corona-Zahlen im Allgemeinen, desto höher mit Verzögerung auch die Zahlen der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen.

Die Sorge der Intensivmediziner, teilte auch Spahn. „Sie schlagen zurecht Alarm. Wir dürfen nicht warten, bis die Kliniken überlastet sind.“

Intensivbetten in Berlin füllen sich

Ein Szenario, dass schon bald eintreffen könnte, wenn nicht gehandelt wird. Im Großraum Köln-Bonn seien die Intensivbetten für Covid-19-Patienten extrem voll, erklärte Karagiannidis. Dort seien derzeit nur sieben Betten frei. In Bremen seien es zwei Betten und in Thüringen derzeit ein Bett.

Er plädierte wie Spahn und Wieler für einen harten Lockdown von zwei bis drei Wochen, „weil unser Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt. Es gibt kaum mehr Kapazitäten und das Personal ist extrem belastet.“

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Auch in Berlin füllen sich die Intensivbetten. In der Bundeshauptstadt verzeichne man im Vergleich zur vergangenen Woche 20 Prozent mehr Covid-19-Patienten, die eine intensive Betreuung benötigten, erklärte Steffen Weber-Carstens vom Divi-Intensivregister. Auffällig sei, dass die Patienten deutlich jünger und die Verläufe deutlich schwerer seien. Patienten müssen zudem länger als bisher intensivmedizinisch betreut werden. Grund dafür sei vor allem die gefährlichere Virusvariante B.1.1.7.

Die Frage des Personals trieb auch Spahn um. Es sei „keine Frage der Betten, sondern eine des Personals“. Zudem, so Spahn, müsse man auch außerhalb der Stationen schauen, wo ebenfalls viele Corona-Patienten liegen und dort isoliert werden müssten. Das sei eine extreme Belastung für die Pflegekräfte, Ärzte und weitere Kräfte. Man dürfe diese Menschen nicht verschleißen. Es dürfe keine Stimmung aufkommen, dass Deutschland „nach der Pandemie erst recht Personalprobleme hat.“

Pflegekräfte auszubilden dauert

Auch Uwe Janssens, der ehemalige Präsident der Divi, verdeutlichte das Personal-Problem. Er machte auch Personalmangel verantwortlich, der das Problem auf den Stationen weiter verschärfe. Ein Intensivbett könne nur betreut werden, wenn dazu ausgebildetes Personal vorhanden sei.

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Und das ist der Knackpunkt. Deutschland habe Spahn zufolge so viele Pflegekräfte wie kein anderes Land auf der Welt, „aber eine Intensivpflegeausbildung geht nicht einfach in sechs Monaten. Das kann man nicht einfach mal in zwölf Monaten erhöhen.“ Man könne Maßnahmen für Notbehelfe ergreifen, aber das bringe nur bedingt weiter.

Eine weitere Nebenwirkung der sich füllenden Intensivbetten: „Wir schieben bereits eine hohe Anzahl von Operationen vor uns her. Personal muss abgezogen werden und unterstützen“, erklärte Frank Wappler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Und auch die Kraft und Motivation vieler Mitarbeiter sinke. Die höheren Belastungen könnten in Zukunft zu noch größerer Personalflucht führen.

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Spahn äußerte sich auch verwundert über die Aussagen einiger Politiker-Kollegen zur Einschätzung der Pandemie. „Ich empfehle uns allen, den Parteienstreit – Wahljahr hin oder her – herunterzufahren und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Bekämpfung der Pandemie.“ Alle müssen an einem Strang ziehen. Es brauche einen Lockdown, um die aktuelle Welle zu brechen.

Auch RKI-Chef Wieler hält einen scharfen Lockdown von zwei bis vier Wochen für nötig, um die dritte Infektionswelle zu brechen. Sollte die Mobilität nicht eingeschränkt werden, würden die Infektionszahlen ansteigen. „Jeden Tag, den wir nicht handeln, verlieren wir Menschenleben.“

Spahn bittet Hausärzte um Geduld

Die Hausärzte bat Spahn um Geduld. Man könne den Praxen gegenwärtig nicht sagen, wie viel Impfstoff sie in zwei Wochen geliefert bekommen, sagte Spahn. Die Patienten bat er, nicht von sich aus wegen Terminen bei den Ärzten nachzufragen. Es sei verabredet, dass die Praxen Kontakt aufnähmen.

In den ersten zwei Wochen würden die Arztpraxen mit dem Impfstoff von Biontech beliefert, bekräftigte er. Ab Mitte April gebe es etwa zur Hälfte Biontech und zur Hälfte Astrazeneca, später auch den Impfstoff von Johnson & Johnson. Biontech liefere bisher sehr verlässlich und auf den Wochentag genau. Das habe man bei den anderen Herstellern noch nicht erreicht, hier sei teils nur die Lieferwoche bekannt, nicht aber der Tag.

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Die Impfzentren seien sehr effizient, aber die Planung sei aber etwas diffiziler. Bei Fällen wie Astrazeneca sei es nicht so leicht, die Maschinerie sofort zu stoppen und umzustellen. „Das dauert schon ein paar Tage.“ Den aktuellen Impfrekord wolle er als Basis nutzen, aber man müsse das beibehalten.

[Als Abonnent von T+ lesen Sie auch: Wenn der Staat an den eigenen Corona-Vorgaben scheitert]

Über die kurzfristige Absage der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag zeigte sich Divi-Präsident Marx enttäuscht. „Wir waren dafür, dass die MPK vorgezogen wird. Ich kann nur hoffen, dass stattdessen entsprechende Entscheidungen gefällt werden und das sehr zeitnah. Wenn es nicht über die MPK geht, dann muss es eben Alternativen geben. Und den harten Lockdown brauchen wir besser heute schon als morgen“, sagte er.

Eine mögliche Alternative schwebt nun im Raum. Statt der geplanten MPK soll nun das Infektionsschutzgesetz nachgeschärft werden, um bundesweit einheitliche Corona-Regelungen zu schaffen. Eine bundesweit einheitliche gesetzliche Regelungen für die sogenannte Notbremse, wenn der Inzidenzwert in einem Landkreis über den Wert von 100 steigt, soll nun kommen. Liegt der Wert über 100 soll also der Bund – verbindlich – entscheiden.

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