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Ajatollah Ali Chamenei steht seit 33 Jahren an der Spitze des Iran.

© Foto: dpa/Iranian Supreme Leader’s Office/Uncredited

Irans „Oberster Führer“: Ali Chamenei will das Überleben des Mullah-Regimes sichern – mit allen Mitteln

Seit mehr als 30 Jahren steht der Revolutionsführer an der Spitze des Iran. Dem Widerstand der Protestbewegung zum Trotz will er den Gottesstaat erhalten.

Ajatollah Ali Chamenei war im Iran schon an der Macht, als viele der Demonstranten, die seit acht Wochen gegen sein Regime protestieren, noch nicht geboren waren. Im Jahr 1989 wurde Chamenei zum Nachfolger von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini bestimmt, des Gründers der Islamischen Republik.

In seinen 33 Jahren an der Staatsspitze hat Chamenei eine Herrschaft der Hardliner zementiert, die nach seinem Tod die Theokratie verteidigen sollen. Doch während sich der heute 83-Jährige auf die Machtübergabe an einen Nachfolger vorbereitet, zielt die landesweite Protestbewegung auf sein Lebenswerk.

Der im nordost-iranischen Maschhad geborene Chamenei studierte als junger Mann bei Khomeini in der heiligen iranischen Stadt Qom und war dessen Vertrauter in der Revolution von 1979, die den Schah vom Thron stürzte und das islamische System errichtete.

Zwei Jahre später wurde Chamenei bei einem Attentat schwer verletzt; er kann deshalb bis heute seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Von Khomeini wurde er vor dessen Tod 1989 zum Nachfolger bestimmt.

Jahrelang lieferte sich der heutige Revolutionsführer einen Machtkampf mit seinem Weggefährten, dem langjährigen Präsidenten und Parlamentspräsidenten Ajatollah Akbar Haschemi Rafsandschani, der Pragmatismus in der Außenpolitik und eine wirtschaftliche Öffnung des Landes forderte.

Chamenei dagegen steht an der Spitze der konservativen Kräfte, der Revolutionsgarde und der Hardliner, die dem Westen tief misstrauen. Ihnen ist der Erhalt der iranischen Theokratie wichtiger als wirtschaftlicher Erfolg.

Er ist sehr stur, er hört sich nicht oft andere Meinungen an.

Alex Vatanka, Iran-Experte beim Nahost-Institut in Washington

Die Feindschaft endete mit Rafsandschanis Tod: 2017 wurde seine Leiche im Swimmingpool einer Luxus-Wohnanlage für hohe Funktionäre in Teheran gefunden. Herzinfarkt, lautete die offizielle Erklärung, doch Rafsandschanis Familie glaubt bis heute nicht an eine natürliche Todesursache.

Seitdem regiert Chamenei unangefochten. Alex Vatanka, Iran-Experte beim Nahost-Institut in Washington, der ein Buch über Chamenei und Rafsandschani geschrieben hat, nennt den Revolutionsführer einen „Mikro-Manager“, der sich um alles selbst kümmern will. „Er ist sehr stur, er hört sich nicht oft andere Meinungen an“, sagt Vatanka im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Diese Sturheit erlaubt keine Kompromissbereitschaft gegenüber der derzeitigen Protestbewegung. Seit dem Ausbruch des landesweiten Aufstandes nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini in der Gewalt der Sittenpolizei Mitte September sind nach Zählung von Menschenrechtlern mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 10.000 sollen bereits festgenommen worden sein. Der Revolutionsführer hat bisher kein Entgegenkommen an die Demonstranten erkennen lassen.

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Medien der iranischen Exil-Opposition werten einige Äußerungen aus dem Umfeld Chameneis allerdings als Zeichen dafür, dass der harte Kurs des alten Mannes an der Staatsspitze auf Widerstand stößt. So sagte der Chamenei-Berater und ehemalige Parlamentspräsident Ali Laridschani, die Gesellschaft brauche mehr Toleranz. Die Demonstranten seien „unsere Kinder“.

Chamenei ist den Reformern in Teheran im Laufe seiner langen Regierungszeit zwar mehrmals entgegengekommen, etwa indem er Vertretern des zu Kompromissen bereiten Lagers den Zugang zum Präsidentenamt erlaubte. Aber das waren taktische Entscheidungen – grundlegende Kursänderungen der iranischen Politik waren damit nicht verbunden.

So gab Chamenei im Jahr 2015 grünes Licht für das Atomabkommen mit dem Westen unter dem Reformpräsidenten Hassan Ruhani, weil er sich davon Vorteile für die heimische Wirtschaft versprach.

Auch nutzt der eingefleischte Anti-Amerikaner Chamenei den im Iran verbotenen Kurznachrichtendienst Twitter, um seine Botschaften zu verbreiten. Eine gesellschaftliche Öffnung kommt für ihn aber nicht infrage.

Widersacher hat Chamenei aus dem Weg geräumt

Das Überleben der Islamischen Republik hat für den Revolutionsführer höchste Priorität. Chamenei sei überzeugt, dass das Regime nur zu retten sei, wenn die Hardliner alle Hebel der Macht unter Kontrolle hätten, sagt Vatanka.

Andere Experten sehen das ähnlich. Chamenei wolle, dass der Staat islamischen Prinzipien und seinem anti-westlichen Kurs treu bleibe, schreibt Ray Takeyh von der Denkfabrik Council on Foreign Relations in einer Analyse.

Deshalb ebnete Chamenei im vergangenen Jahr seinem Schützling Ajatollah Ebrahim Raisi den Weg ins Präsidentenamt. Mit einer „massiven Säuberung der politischen Elite“ habe der Revolutionsführer zudem potenzielle Widersacher aus dem Weg geräumt, schreibt Takeyh.

Zusammen mit Raisi treibt Chamenei in jüngster Zeit die außenpolitische Ausrichtung auf Russland, China und den zentralasiatischen Raum voran, auch um die iranische Wirtschaft resistenter gegen westliche Sanktionen zu machen.

Wer wird Nachfolger des Revolutionsführers?

Über den Gesundheitszustand des mächtigsten Mannes im Iran und mögliche Nachfolger wird viel spekuliert. Chamenei wurde 2014 wegen Prostatakrebs operiert; im September verschwand er mehrere Wochen von der Bildfläche, was Spekulationen über eine neue schwere Krankheit anheizte.

Schon im Sommer machten Meldungen die Runde, Chameneis 53-jähriger Sohn Mojtaba solle den geistlichen Rang eines Ajatollahs erhalten, der Voraussetzung für das Amt des Revolutionsführers ist. Auch der 61-jährige Präsident Raisi hat Chancen, Chamenei zu beerben.

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Bestimmt wird der Revolutionsführer vom konservativen Expertenrat; auch mächtige politische Akteure wie die Revolutionsgarde werden ein Wörtchen mitzureden haben. Chamenei selbst kann die Regelung seiner Nachfolge mitbestimmen, indem er einen Wunschkandidaten benennt. Wer immer das am Ende sein wird: Ein grundlegender politischer Wandel im Iran soll unbedingt verhindert werden.

Genau diesen Wandel strebt die Protestbewegung jedoch an und erhält dafür Unterstützung von immer mehr Iranern. Bei Kundgebungen zünden Demonstranten Plakate von Chamenei an und fordern mit dem Ruf „Tod dem Diktator“ seinen Sturz. In der letzten Phase seines Lebens steht Chamenei vor der größten Herausforderung seiner Karriere.

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