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Gesetzlich Versicherten könnten lange Wartezeiten drohen.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Finanzplan für die Krankenkassen: Jede Menge Zumutungen

An Lauterbachs Konzept gibt es viel Kritik von Pharmaindustrie, Kassen, Ärzten, Apothekern – für Änderungen wird die Zeit knapp.

Peter Struck war nicht nur erfahrener Parlamentarier, sondern auch Fraktionschef der SPD. Insofern dürfte dem Genossen Karl Lauterbach das „Struck’sche Gesetz“ geläufig sein. Es lautet: Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag, wie es eingebracht wurde. Oder, wie es der vor zehn Jahren Verstorbene formuliert hat: „Regierung ist das eine. Was am Ende rauskommt, ist Sache des Parlaments. Und in der Regel kommt etwas Besseres raus.“

Am Mittwoch hat Gesundheitsminister Lauterbach seinen Entwurf für ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz durchs Kabinett gebracht. Der Vorschlag sieht jede Menge Zumutungen vor: für die Pharmaindustrie, für Krankenkassen, Ärzte, Apotheker, die Beitragszahler. Nun muss das umstrittene Paket durch den Bundestag. Die Opposition dort wird es ablehnen. Aber auch Experten von FDP und Grünen wollen, wie sie sofort klargemacht haben, Nachbesserungen. Die einen vor allem mit Blick auf die Arzneihersteller, die anderen im Wunsch nach gerechterer Kostenverteilung.

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Kein Wunder, dass der Minister nervös ist. In einem Brief an die Ampel-Abgeordneten, der dem Tagesspiegel vorliegt, wirbt Lauterbach um Wohlwollen. Im Jahr 2020 habe die gesetzliche Krankenversicherung 248,9 Milliarden für die Versorgung ausgegeben, heißt es darin. „Entsprechend intensiv werden nun, mit Beginn des parlamentarischen Prozesses, Vertreterinnen und Vertreter organisierter Interessen versuchen, Einfluss auf die Inhalte des Gesetzesentwurfs zu nehmen“, so Lauterbach. „Umso mehr bedanke ich mich bei Ihnen schon jetzt für Ihre konstruktive Begleitung dieses Gesetzgebungsverfahrens.“ Gemeinsames Ziel sollte es sein, „die Belastungen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler so gering wie möglich zu halten. Denn gerade in Krisenzeiten geben die Sozialsysteme der Bevölkerung Sicherheit.“

Hoffen auf Nachbesserungen im Bundestag

Womöglich bedankt sich Lauterbach zu früh. Oder hofft er darauf, mit Hilfe der Abgeordneten doch noch etwas mehr Geld vom Bund loseisen zu können? Konsens unter FDP- und Grünen-Experten ist es jedenfalls, dass es für Langzeitarbeitslose vom Bund höhere Beitragszuschüsse geben muss – wie im Koalitionsvertrag versprochen. Auch die Krankenkassen drängen darauf, die Beitragszahler bei diesem versicherungsfremden Posten zu entlasten. Schließlich geht es dabei um gut zehn Milliarden Euro. Zudem hadern die Versicherer mit dem geplanten Abschmelzen ihrer Reserven, wünschen sich einen dauerhaft dynamisierten Bundeszuschuss sowie eine niedrigere Mehrwertsteuer auf Arznei. Und hoffen auf entsprechende Nachbesserung im Bundestag.

Allerdings: Um dort noch Änderungen zu erreichen, wird die Zeit knapp. Mitte Oktober setze der Schätzerkreis die Rahmendaten fest, an die sich die Kassen beim Aufstellen ihrer Haushalte für 2023 zu halten hätten, sagte der Vorstandschef der DAK Gesundheit, Andreas Storm, dem Tagesspiegel. Auf dieser Basis werde der durchschnittliche Zusatzbeitrag fürs nächste Jahr festgelegt. Falls die Gesetzgebung bis dahin nicht abgeschlossen sei, hätten sich die Schätzer – egal, zu welchen Änderungen es später noch komme – allein an Lauterbachs Entwurf zu orientieren.

Dass der Bundestag bis Mitte Oktober zu Potte komme, nennt Storm „extrem unwahrscheinlich“. Die Sache werde sich bis Ende November hinziehen. Dann aber sei es zu spät für die Kassen, um eventuelle Änderungen bei ihrer Finanzplanung zu berücksichtigen. Lauterbach hätte, am Parlament vorbei, Pflöcke eingeschlagen.

Ärzteverbände kündigen Leistungskürzungen an

Heikel ist im Zusammenhang mit den angekündigten Beitragserhöhungen übrigens noch ein weiteres Detail. In Lauterbachs Entwurf ist auch vorgesehen, dass die Behandlung von Neupatienten in Medizinerpraxen und deren sogenannte offenen Sprechstunden künftig wieder einer Budgetierung unterliegen sollen. Damit nimmt der SPD-Politiker eines eigenes Projekt wieder zurück. Schließlich hatte er die Regelung, die nun gestrichen werden soll, vor drei Jahren mitinitiiert – um die beklagte Benachteiligung von gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten bei der Terminvergabe zu lindern.

Wenn sich durch Lauterbachs Rolle rückwärts der Zugang von Kassenversicherten zu Ärzten verschlechtert, wäre das auch ein Bruch seines Versprechens, dass es mit ihm keine Leistungskürzungen gebe. Ärzteverbände aber kündigen exakt das an. Die Patienten müssten sich „demnächst auf Aufnahmestopps in Praxen und lange Wartezeiten auf Arzttermine einstellen“, so der Virchowbund. In Kombination mit den angekündigten Beitragserhöhungen für Lauterbach und seine SPD, die bereits ihr Bürgerversicherungs-Vorhaben einkassiert hat, eine politische Giftmischung.

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