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KI-Gesetz der EU tritt in Kraft: Soll Echtzeit-Überwachung möglich sein?
Sicherheitsbehörden sollen in Ausnahmefällen biometrische Fernerkennung in Echtzeit im öffentlichen Raum einsetzen können. Doch unter Politikern der Ampel-Parteien ist dies umstritten.
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In der Ampel-Koalition gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, in welchem Maße Strafverfolgungsbehörden künftig auf Künstliche Intelligenz (KI) zurückgreifen können. Vor allem der SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci fordert weitgehende Befugnisse. Der Großteil der Ampel-Fachpolitiker sieht dies anders.
Am Donnerstag tritt in Deutschland das EU-Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz in Kraft. Für das Gesetz gilt der Grundsatz: Je gefährlicher eine KI-Anwendung ist, desto strikter wird sie reguliert. Das sogenannte „social scoring“, das etwa in China eine flächendeckende Verhaltenskontrolle mithilfe der Künstlichen Intelligenz ermöglicht, soll laut dem neuen EU-Gesetz in Europa tabu sein.
Die Echtzeit-Gesichtserkennung per KI im öffentlichen Raum ist nach den Vorgaben aus Brüssel zwar grundsätzlich verboten. In einigen Ausnahmen soll das Verbot biometrischer Fernerkennung in Echtzeit für Sicherheitsbehörden allerdings nicht gelten. So etwa, wenn gezielt nach bestimmten Opfern von Entführung, Menschenhandel oder sexueller Ausbeutung oder nach vermissten Personen gesucht wird.
Auch bei einer „konkreten, erheblichen und unmittelbaren Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit natürlicher Personen oder einer tatsächlichen und gegenwärtigen oder tatsächlichen und vorhersehbaren Gefahr eines Terroranschlags“ soll die Echtzeit-Fernerkennung möglich sein. Eine weitere Ausnahme ist die Lokalisierung und Identifizierung einer Person, die im Verdacht steht, eine Straftat zu begehen.
Wie genau das europäische KI-Gesetz in Deutschland in nationales Recht umgesetzt wird, ist noch nicht endgültig ausformuliert. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Durchführungsgesetz und muss dabei unterschiedliche Übergangsfristen im Blick behalten. So treten die im Rahmen des Gesetzes vorgesehenen Verbote – etwa zum „social scoring“ – am 2. Februar 2025 in Kraft. Die meisten anderen Bestimmungen sollen dann ab dem 2. August 2026 greifen. Das gilt etwa für sogenannte KI-Hochrisikosysteme wie autonome Fahrzeuge oder medizinische Geräte, die einer besonders strengen Regulierung unterliegen.
In der Zwischenzeit diskutiert die Ampel vor allem über die Frage, welche Möglichkeiten die KI den Strafverfolgungsbehörden an die Hand geben soll. Politikerinnen wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge berufen sich bei ihrer Ablehnung einer Echtzeit-Erfassung auf den Koalitionsvertrag. Als Koalition sei man sich einig, „dass wir eine flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken ablehnen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Die biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung greife tief in die Grund- und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein, sagte sie zur Begründung.
Allerdings biete KI auch Chancen für die Strafverfolgung, sagte Wegge weiter. Daher müsse deren Einsatz etwa bei der schnelleren Durchforstung von Datenbanken auch weiterhin möglich sein, forderte sie.
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Lars Castellucci, plädiert hingegen für vergleichsweise weitgehende Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden. Ausnahmen für Sicherheitsbehörden zur biometrischen Überwachung müssten zwar im Einklang mit dem Datenschutz stehen, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. Gleichzeitig müssten die Behörden aber auch der gestiegenen Bedrohungslage gerecht werden. Sicherheitsbehörden bräuchten die nötigen Befugnisse zur biometrischen Überwachung und die geeignete Software dazu. Das KI-Gesetz der EU erlaube dies in Ausnahmefällen. „Daher spreche ich mich auch in Deutschland dafür aus“, sagte er weiter.
Unter den Fachpolitikerinnen der Ampel-Parteien sind allerdings längst nicht alle von Castelluccis Forderung überzeugt. „Biometrische Fernidentifizierung im öffentlichen Raum ist eine massive Gefahr für unsere Bürgerrechte“, sagte die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn. In Deutschland gelte es nun, die im KI-Gesetz „vorgesehenen Spielräume für strengere Regeln voll auszuschöpfen und den Einsatz dieser Technologie zur Überwachung des öffentlichen Raums auszuschließen“.
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