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Politik: Kreuzchen in Kreuzberg

Konsulate in Deutschland sollen Teilnahme an Parlamentswahlen in Türkei ermöglichen

Onur Öymen hat schon mal abgestimmt. Der türkische Parlamentsabgeordnete und ehemalige Botschafter seines Landes in Deutschland ließ sich vor einer Wahlurne ablichten, die am Berliner Reichstag aufgebaut war: Die Zeitung „Hürriyet“ rührte damit die Werbetrommel für ihre Forderung, den Türken in Deutschland und anderen europäischen Staaten die Teilnahme an den im Herbst anstehenden türkischen Parlamentswahlen zu ermöglichen. Türkische Konsulate und andere Einrichtungen sollen dabei als Wahllokale benutzt werden, allein in Deutschland geht es um mehr als eine Million Wähler. Vorgespräche mit der Bundesregierung seien positiv verlaufen, berichten türkische Verbandsvertreter – die deutsche Seite ist allerdings vorsichtiger. Zudem ist nicht klar, ob die Regierung in Ankara den Enthusiasmus von Öymen, „Hürriyet“ und anderen teilt.

Rund 1,3 Millionen Türken in Deutschland, 100 000 in Österreich und 50 000 in der Schweiz werden in diesem Jahr wie mehr als 40 Millionen ihrer Landsleute in der Türkei aufgerufen sein, ein neues Parlament zu wählen. Wahltermin ist Anfang November; nach Presseberichten will die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Wahl aber möglicherweise auf September vorziehen.

In der Vergangenheit hatten sich die deutschen Behörden geweigert, Wahlurnen in türkischen Einrichtungen aufstellen zu lassen, und dabei vor allem Sicherheitsbedenken geltend gemacht: Neben ihrer Botschaft in Berlin verfügt die Türkei in Deutschland zwar noch über 14 Konsulate, doch wäre eine Stimmabgabe von so vielen Menschen an so wenigen Punkten problematisch.

Diesmal ist die deutsche Regierung aber offenbar bereit, Vorschläge für eine Stimmabgabe der Auslandstürken zu prüfen. Der Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sprach mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über dieses Thema. Nach türkischer Darstellung zeigte sich Schäuble bereit, die Türken in Deutschland wählen zu lassen. Bei Platzmangel könnten neben den Konsulaten andere Einrichtungen angemietet werden. Für den Aufwand zahlen müsse aber die Türkei. Deutschland habe den „Vorwand der Sicherheitsbedenken“ aufgegeben, freute sich „Hürriyet“.

So weit ist es aber noch nicht. Von deutscher Seite heißt es, Schäuble habe sich nicht festgelegt. Ohnehin seien auch die Bundesländer betroffen. Zumindest prüfen will die Bundesregierung demnach etwaige Vorschläge der Türkei aber schon. Ob solche Vorschläge inzwischen auch von der Regierung in Ankara an Deutschland herangetragen wurden, ist nicht bekannt. Vor der relativ einfachen Methode der Briefwahl für ihre Auslandsbürger schreckt die Türkei zurück, weil bei der Stimmabgabe am Wohnzimmertisch besonders Ehefrauen und Jungwähler erheblichem Druck ausgesetzt sein könnten. Bei der letzten Wahl 2002 brachten türkische Parteien deshalb zehntausende Anhänger per Bus und Flugzeug zur Stimmabgabe in die Türkei. Die Auslandstürken durften damals einen Monat lang an Flughäfen und Grenzübergängen ihre Stimme abgeben. Insgesamt machten rund 115 000 türkische Wähler so ihr Kreuzchen. Erdogans AKP war bei diesen politischen Butterfahrten einsame Spitze.

In diesem Jahr könnte das aber anders sein. Die Auslandstürken sind wesentlich konservativer als der türkische Gesamtdurchschnitt, mehr als die Hälfte wählt konservative, nationalistische oder islamistische Parteien. Möglicherweise zögert Erdogan deshalb. Wenn der AKP, die sich selbst als bürgerliche Kraft der Mitte betrachtet, bei den Wahlen in diesem Jahr ernsthafte Konkurrenz droht, dann nicht von links, sondern von rechts: In den Umfragen liegt die AKP zwar mit etwa 30 Prozent an der Spitze, doch zeichnet sich ein Parlamentseintritt nationalistischer und konservativer Parteien ab – und das könnte die AKP die Alleinregierung kosten und eine Koalition erzwingen. Vielleicht hat sich deshalb noch kein türkischer Regierungsvertreter bei Schäuble gemeldet.

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