
© dpa/Soeren Stache
Lars Klingbeil und sein 172-Milliarden-Euro-Defizit : „Jede und jeder am Kabinettstisch wird sparen müssen“
Das Kabinett hat am Mittwoch den Haushalt sowie die Finanzplanung des Finanzministers beschlossen. Trotz steigender Neuverschuldung klafft ein Rekorddefizit von 172 Milliarden Euro. Lässt es sich schließen?
Stand:
Der Vizekanzler und Finanzminister strahlt über das ganze Gesicht, als er am Mittwochmittag die Bundespressekonferenz betritt. Lars Klingbeil wirkt erleichtert. Nach 85 Tagen Regierungsarbeit hat er seinen zweiten Haushaltsentwurf vorgelegt. Den für das Jahr 2025 hat der SPD-Vorsitzende am Morgen im Haushaltsausschuss präsentiert. Der Entwurf für das kommende Jahr sowie seine Finanzplanung bis 2029 wurde ebenfalls am Vormittag im Bundeskabinett beschlossen.
„Wir haben einen Haushalt, der gut durchgerechnet ist, der solide finanziert ist“, sagte Klingbeil. Sein oberstes Ziel: Arbeitsplätze sichern und Deutschland zurück auf Wachstumskurs bringen.
Rund eine Billion Euro neue Schulden
Dafür sollen die Ausgaben im kommenden Jahr um 3,5 Prozent auf 520,5 Milliarden Euro steigen. Die Steuereinnahmen sollen um 0,3 Prozent auf 383,8 Milliarden zurückgehen. Am Ende der Legislaturperiode im Jahr 2029 plant Klingbeil mit Ausgaben in Höhe von über 572 Milliarden, bei Steuereinnahmen von 424 Milliarden Euro.
Deutlich stärker steigt die Neuverschuldung: Im Rahmen des Kernhaushalts darf der Finanzminister kommendes Jahr fast 90 Milliarden und 2029 fast 127 Milliarden Euro zusätzliche Kredite aufnehmen. Rechnet man das Sondervermögen Infrastruktur dazu, steigt der Betrag auf über 186 Milliarden Euro. Bis 2030 dürfte die Neuverschuldung so insgesamt um eine Billion Euro steigen.
Trotz des hohen Verschuldungsspielraums decken die erwarteten Einnahmen die Ausgaben nicht. Das geht vor allem auf zwei Etats zurück: Der Wehretat verdoppelt sich in diesem Zeitraum auf fast 153 Milliarden Euro, der für Soziales – schon heute der mit Abstand größte – steigt bis 2029 um fast 30 Milliarden auf über 219 Milliarden. Alle anderen Häuser müssen dann ungefähr mit dem auskommen, was sie aktuell zur Verfügung haben.
In Klingbeils Haushaltsplanung klafft somit ein Defizit von über 172 Milliarden Euro. „Eine Lücke in dieser Größenordnung ist einmalig“, sagte der Florian Schuster-Johnson, Ökonom bei der Denkfabrik „Dezernat Zukunft“, dem Tagesspiegel. Im letzten Kabinett Kohl stand der CSU-Finanzminister Theo Waigel vor einem Defizit von knapp 80 Milliarden von 1996 bis 1999. Auch Gerhard Schröders Finanzminister Hans Eichel (beide SPD) musste einige Jahre später ein Defizit von 70 bis 80 Milliarden Euro beseitigen. „Das ist alles weit weg von der aktuellen Lücke“, so Schuster-Johnson.
Ende Juni hat Klingbeil dem Kabinett seinen Haushaltsentwurf 2025 sowie die Eckwerte für 2026 vorgelegt. Darin wies der SPD-Vorsitzende noch ein Defizit von 144 Milliarden aus. Dass die Lücke jetzt noch einmal um 28 Milliarden Euro gewachsen ist, liegt zum einen daran, dass die Zinszahlungen höher ausfallen als zuvor kalkuliert: Die Zinslast verdoppelt sich bis 2026 auf 71,6 Milliarden Euro. Es geht allerdings auch auf jüngste Entscheidungen der Koalition zurück.
Für die Zustimmung zu Klingbeils steuerlichem Investitionssofortprogramm – einem Kernbaustein der von Schwarz-Rot angepeilten Wirtschaftswende – im Bundesrat haben die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten ihm großzügige Entschädigungszahlungen abgerungen. So erhalten zum Beispiel Kommunen für die daraus entstehenden Steuerausfälle 13,5 Milliarden Euro vom Bund; zusätzlich werden besonders hoch verschuldete Kommunen beim Abbau ihrer Altschulden unterstützt.
Außerdem hat sich die Regierung im letzten Koalitionsausschuss auf Drängen der CSU darauf geeinigt, dass die Vollendung der Mütterrente schon 2027 statt 2028 kommen soll. Damit sollen Mütter auch für vor 1992 geborene Kinder drei statt bisher 2,5 Rentenpunkte bekommen. Die Kosten für den Bund belaufen sich für die Mütterrente III auf zusätzlich rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Experten halten das Projekt für kompliziert und wenig zielgerichtet; auch weil bedürftige Mütter davon nicht profitieren würden.
Klingbeil setzt auf Wachstum
Klingbeil selbst hat seine finanzpolitischen Prioritäten stets klar formuliert. Sie lauten: Investieren, Reformieren, Konsolidieren.
„Wir setzen auf Wachstum“, bekräftigte der Finanzminister. Man investiere so viel wie noch nie. 2025 sind es rund 116 Milliarden, 2026 fast 127 Milliarden Euro. Mit den Errichtungsgesetzen für das 500-Milliarden-Euro Sondervermögen hat er den Grundstein für Investitionen in Bahn, Brücken und Schulen gelegt. Die Anfang Juli im Bundesrat beschlossene Steuerreform soll private Investitionen ankurbeln.
„Trotzdem entlässt uns das nicht aus der Verantwortung, im Kernhaushalt zu konsolidieren“, sagte Klingbeil: „2027 ist der Haushalt, der uns massiv fordern wird“. Die Lücke sei schon während der Koalitionsverhandlungen sichtbar gewesen.
Die Union will vor allem beim Bürgergeld kürzen; Generalsekretär Carsten Linnemann will Totalverweigern alle Leistungen streichen. Dazu will Schwarz-Rot in der Bundestagsverwaltung Personal abbauen, die Zahl der Bundesbeauftragten reduzieren und bei Förderprogrammen kürzen. „Jede und jeder, der am Kabinettstisch sitzt, wird sparen müssen“, sagte Klingbeil. Einsparpotenziale sollen zudem Kommissionen für den Sozialstaat und die Rente heben.
Doch wie realistisch ist es, ein jährliches Defizit von über 40 Milliarden Euro vor allem durch Wachstum zu schließen?
„Wachstum hilft, aber bei der Größenordnung ist das nur ein kleiner Teil“, sagt Jens Boysen-Hogrefe, Haushaltsexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft, dem Tagesspiegel. Zwar würden sich die Steuereinnahmen jüngst eher wieder etwas günstiger entwickeln. „Das dürfte den Druck aber nur etwas mindern“, sagt Boysen-Hogrefe: „Die Herausforderungen sind erheblich.“ Leistungskürzungen und Abgabenerhöhungen sind aus seiner Sicht kaum zu vermeiden.
Ähnlich sieht es Schuster-Johnson. „Wachstum als Antwort auf das Haushaltsproblem ist erst mal richtig“, sagt der Ökonom. Pauschale Kürzungen helfen aus seiner Sicht allerdings nicht weiter. Er fordert Klingbeil und Co. dazu auf, vor allem den Arbeitsmarkt zu stärken. Er bemängelt: Zu viele Frauen können nur in Teilzeit arbeiten, Bürgergeld-Empfänger haben keine oder nur schlecht bezahlte Jobs und massenhaft Senioren gehen frühzeitig in Rente. „Dann werden mehr Beiträge und Steuern gezahlt, der Transferbedarf nimmt ab und der Druck im Haushalt wird geringer.“
Zur Wahrheit gehört aus seiner Sicht allerdings auch. „Wenn man jahrzehntelange Unterinvestitionen und Versäumnisse bei der Bundeswehr schnell aufholen muss, dann geht das selbst mit viel Wachstum nicht.“ Er hält den Finanzrahmen trotz Sondervermögen und Verteidigungsausnahme für zu klein. Eine reformierte Schuldenbremse müsse dauerhaft mehr Kredite für wachstumsförderliche Ausgaben zulassen.
Klingbeil selbst steht diesem Schritt offener gegenüber als seine beiden Koalitionspartner. Eine Kommission dafür wurde erst kürzlich gebildet; und doch dämpft er die Erwartungen daran. „Wir werden nicht alles durch neue Schulden auflösen können“, sagte der SPD-Vorsitzende.
Stattdessen werde man jeden Euro auf seine Wirksamkeit prüfen. Alle würden sparen müssen. „Ich bin mir sicher, dass sich die Beliebtheit des Finanzministers im Kabinett die nächsten zwölf Monate nicht zwingend erhöhen wird“, räumt Klingbeil in der Bundespressekonferenz ein. Sein Lachen ist ihm bisher noch nicht vergangen.
- Bundesrat
- Bundesregierung
- Bürgergeld
- Carsten Linnemann
- CSU
- Gerhard Schröder
- Lars Klingbeil
- Rente
- Schule
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: