
© Johannes Eisele/dpa
Letzte Zeugin Angela Merkel: Die Altkanzlerin soll das Afghanistan-Fiasko erklären
Am Donnerstag sagt Angela Merkel vor dem Untersuchungsausschuss aus. Eine zentrale Frage ist, warum die Ex-Regierungschefin den fatalen Afghanistan-Streit ihrer zuständigen Ministerien nicht früher beendete.
Stand:
Zur Vorbereitung haben manche Untersuchungsausschuss-Mitglieder jene zwölf Seiten gelesen, die Angela Merkel in ihren Memoiren dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr widmet.
Mit Interesse dürften sie registriert haben, dass die Altkanzlerin das Schicksal des Landes schon in dem Moment als „besiegelt“ ansah, als Donald Trumps US-Regierung mit den früheren islamistischen Machthabern verhandelte und im Februar 2020 den Rückzug der internationalen Truppen ein gutes Jahr später vereinbarte: „Jetzt brauchten die Taliban nur noch auf den Abzug zu warten.“
Wenn das so klar schien, stellt sich umso mehr die Frage, warum die Regierung so schlecht vorbereitet war, als es wirklich so kam und die Gotteskrieger in kürzester Zeit wieder die Kontrolle über Afghanistan an sich rissen – nicht erst am 11. September 2021, wie das offizielle Abzugsdatum lautete und Trumps Nachfolger Joe Biden es noch nachträglich ausgehandelt hatte, sondern bereits Mitte August.
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Die Fehleinschätzung des BND ist schon öffentlich geworden
Erfahren hat der U-Ausschuss, der an diesem Donnerstagmittag in der 97. Sitzung erst den früheren Kanzleramtschef Helge Braun und dann Merkel als letzte Zeugin befragt, schon von der Fehleinschätzung des Bundesnachrichtendienstes. Der BND hielt einen militärischen Vormarsch der Taliban auf die Hauptstadt Kabul erst einmal für „eher unwahrscheinlich“ – weshalb die Bundesregierung auch Warnungen des eigenen Botschaftspersonals in den Wind schlug und mit der Evakuierung der diplomatischen Vertretung wartete.
So oder so aber ist inzwischen klar, dass nach geordnet verlaufenem Abzug des Bundeswehrkontingents im Juni 2021 Chaos auf ganz anderer Ebene herrschte. Die Organisation der Ausreise sogenannter Ortskräfte, denen man sich aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit für die Truppe verpflichtet fühlte, war wegen des ministeriellen Durcheinanders schon Monate zuvor, aber auch noch danach blockiert.
Die Kanzlerin wird erklären müssen, warum dem Ausschuss kein einziges Schriftstück vorliegt, das sie verfasst hat – keine E-Mail, keine SMS, kein Blatt Papier zu Afghanistan.
Die FDP-Obfrau Ann-Veruschka Jurisch
Die Abgeordneten wollen von Merkel wissen, warum sie „so passiv“ blieb, wie die FDP-Obfrau Ann-Veruschka Jurisch sich fragt: „Warum hat sie oder das Kanzleramt nicht früher steuernd eingegriffen, nachdem sich beispielsweise Ministerinnen und Minister sieben Monate lang gestritten haben über den richtigen Kurs in Bezug auf das Ortskräfteverfahren?“ Zudem müsse die Ex-Kanzlerin erklären, „warum dem Ausschuss kein einziges Schriftstück vorliegt, das sie verfasst hat“. Es gebe von ihr „keine E-Mail, keine SMS, kein Blatt Papier zu Afghanistan“.
Eine „Arbeitshypothese“ dazu hat Jörg Nürnberger, der SPD-Sprecher für das Gremium. Er glaubt, Merkel habe zum Ende ihrer Amtszeit hin keinen großen, möglicherweise auch rufschädigenden Streit mehr riskieren wollen. Das könnte gerade in Bezug auf ihren Innenminister, den damaligen CSU-Chef Horst Seehofer, gelten, der in der Flüchtlingspolitik ihr großer Widersacher gewesen war und auf strenge Sicherheitsüberprüfungen der Ortskräfte beharrte.
Der Ausschuss muss sich mit dem Abschlussbericht beeilen
Nürnbergers Fragenkatalog wird Fragen dieser Art beinhalten. Insgesamt rechnet er mit einer mindestens fünf- bis sechsstündigen Befragung Merkels.
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„Ein bisschen unter Druck“ setzt die vorgezogene Bundestagswahl den U-Ausschuss nun schon, wie dessen Vorsitzender Ralf Stegner von der SPD kürzlich eingeräumt hat. Weil der Abschlussbericht unbedingt noch vorher veröffentlicht werden soll, wird auf eine parteiübergreifende Bewertung verzichtet – wegen der Kürze der Zeit sollen alle Fraktionen für sich eine abgeben.
Für Stegner steht schon jetzt fest, dass die „Fürsorgepflicht“ gegenüber den afghanischen Ortskräften im Vergleich zur deutschen Bürokratie den Kürzeren gezogen hat, wie er der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ sagte.
„Afghanistan ist ein Paradebeispiel für Verantwortungsdiffusion und dem Drücken vor Entscheidungen gewesen“, sagt auch die Liberale Jurisch: Ihre Schlussfolgerung lautet daher, dass solche Ressortabstimmungen nicht in Staatssekretärsrunden getroffen werden können, die aus ihrer Sicht „Quatschbuden“ sind, sondern nur in einem neuen Nationalen Sicherheitsrat.
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