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Bloß nicht hetzen lassen! Der neue französische Präsident Macron, hier am Sonntag bei der Amtseinführung.

© Alain Jocard/Pool AFP/AP/dpa

Frankreichs neuer Präsident in Berlin: Macron, Merkel und die Frage nach dem richtigen Timing

Nur mal eben kurz Europa retten? Das kann nicht funktionieren. Wer Erfolge erzielen wolle, solle sich in Geduld üben, sagen Praktiker des EU-Alltags. Sie haben recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Emmanuel Macrons Amtseinführung am Sonntag hat die Erleichterung über den Wahlausgang noch einmal belebt. Und den guten Willen vieler Deutscher verstärkt, die Aufbruchstimmung zu nutzen und alles zu tun, damit es diesmal klappt mit den Reformen in Frankreich und in Europa.

Der Kontinent ist noch einmal glimpflich davongekommen und muss die Gnadenfrist nutzen. Noch einmal fünf verlorene Jahre wie unter François Hollande kann er sich nicht leisten. Kanzlerin Angela Merkel solle Macron nun entgegenkommen, Vorleistungen erbringen, finanziellen Spielraum gewähren, damit der die Reformen angehen könne, heißt es in vielen Kommentaren. Vizekanzler Sigmar Gabriel scheint in finanziellem Entgegenkommen sogar ein Wahlkampfthema zu sehen, mit dem er die Union unter Druck setzen kann. Ob die deutschen Wähler ihm da folgen?

Er sollte auf den Rat französischer Sozialisten wie Hubert Védrine hören oder auf der SPD nahestehende Praktiker deutscher Europapolitik in Brüssel, wann der richtige Zeitpunkt ist. Die politische Realität, so deren Hinweis, folgt einem anderen Timing als die – begrüßenswerten – öffentlichen Emotionen. Wer den guten Willen zu früh einfordert, könnte ihn verbraucht haben, wenn er ihn wirklich benötigt. Dieser Moment kommt beim Blick auf die Wahlkalender in Frankreich und Deutschland erst im Herbst oder Winter.

Unterwirft er sich etwa Madame Merkel?

Wer Erfolge erzielen wolle, solle sich in Geduld üben, sagen Praktiker des EU-Alltags. Macrons Sieg habe die Aussichten verbessert, voranzukommen. Aber im Hauruck-Verfahren sei wenig zu erreichen. Überzogener Ehrgeiz schade den Erfolgsaussichten. Zunächst müssen Macron und Merkel Wahlkämpfe bestehen. Für Frankreich gilt: Nach der Präsidentenwahl ist vor der Parlamentswahl. Um die Reformen angehen zu können, muss Macron sich eine Parlamentsmehrheit verschaffen. Im Wahlkampf ist eine Annäherung an Deutschland schwierig, denn das hieße, dass beide auf Wünsche des Partners eingehen. Entgegenkommen würde Macron im Wahlkampf leicht als Unterwürfigkeit gegenüber „Madame Merkel“ ausgelegt – wie gehabt. Man muss hoffen, das Frankreichs Wähler Macron mit einer Mehrheit für Reformen ausstatten.

Dann folgt der Bundestagswahlkampf. Bei aller Liebe zu Europa wird die Union den nicht mit einem Plädoyer für Eurobonds führen können oder für andere Instrumente, die auf eine vergemeinschaftete Haftung für nationale Schulden hinauslaufen. Jedenfalls nicht, wenn sie die AfD kleinhalten will. Es wäre im Übrigen politisch das falsche Signal, sagen auch SPD-Freunde in Brüssel. Die Schuldenkrise sei nicht gelöst, sie habe sich sogar verschärft.

Wenn Frankreich und Deutschland die Wahlen hinter sich haben, ändert aller gute Wille nichts daran: Die Reformen des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme können nur die nationalen Regierungen durchsetzen. Die EU-Partner können helfen, indem sie die Reformbereitschaft durch Investitionsfonds unterstützen. Das muss aber in bedingter Abhängigkeit voneinander geschehen. Finanzielle Vorleistungen setzen falsche Anreize, sie verringern den Anpassungsdruck.

Europa steht nicht still, es gibt Fortschritte

Das führt dazu, dass die Insider zu einem Gutteil Macron in der Rolle desjenigen sehen, der die Vorleistung erbringen muss. Im Gegenzug darf er dann deutsches Entgegenkommen erwarten.

Pragmatische Bescheidenheit und Geduld, lautet also der Rat. Europa steht nicht still, es gibt Fortschritte. Von Maßnahmen wie dem Stabilitätsmechanismus und dem Investitionsfonds hätte man vor zehn Jahren nur träumen können. Heute sind sie zur Hand.

Kleine Schritte sind nötig und möglich. Der Ruf nach großen Veränderungen, neuen Regelwerken, weiterer Vertiefung erschwert sie nur. Regelwerke, die beschlossen, aber nicht angewandt werden, hat Europa schon jetzt genug, zum Beispiel die Stabilitätskriterien von Maastricht oder das Dublin-Abkommen zum Umgang mit Flüchtlingen. Für neue große Vorhaben wie ein europäisches Asylverfahren oder für Vertragsveränderungen, die eine einheitlichere Politik erzwingen, fehlen die nötigen Mehrheiten im Europäischen Rat, dem Gremium der nationalen Regierungen.

Zur Herausforderung wird jetzt, den guten Willen und den Elan am Leben zu erhalten, bis er im Winter tatsächlich gebraucht wird. Macron und Merkel müssen nicht mit den heiklen Themen beginnen. Deutschland kann Frankreich in dessen Afrikapolitik entgegenkommen und Interesse für den Vorschlag einer gemeinsamen Marinebasis am Golf bekunden.

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