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Chefin der „Wirtschaftsweisen“: Monika Schnitzer.

© Imago/Sven Simon

„Man kann sich auf Kitas nicht verlassen“: Wirtschaftsweise Schnitzer rügt Kinderbetreuung als unzureichend

Wer keine Großeltern oder Babysitter habe, könne nicht Vollzeit arbeiten, so die Chefin des Beratergremiums der Regierung. Qualifizierte Betreuung sei zudem wichtig für die Integration, so die Ökonomin.

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Das Personal in den bundesweit mehr als 60.000 Kitas ist vielerorts völlig überlastet, fast überall fehlt Personal. Notbesetzungen bei Krankheit oder kurzfristige Schließungen sind die Folge. Nach jüngsten Angaben des Städte- und Gemeindebunds fehlen bereits jetzt 100.000 Fachkräfte für die Kinderbetreuung. Und schnelle Besserung ist nicht in Sicht.

Die Chefin der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer, geht nun mit der Situation in Deutschland hart ins Gericht. „Die Kitas sind viel zu wenig Stunden am Tag geöffnet, sie sind nicht zuverlässig, schließen zu viele Wochen im Jahr. Man kann sich auf die Kitas nicht verlassen“, sagte Schnitzer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Mit einer verlässlicheren Betreuung könnte man viel zusätzliche Arbeitszeit gewinnen.

Monika Schnitzer, „Wirtschaftsweise“

Das Betreuungssystem beruhe darauf, dass man Großeltern einbeziehe oder sich privat – wenn man es sich leisten könne – Babysitter organisiere. „Wer das nicht kann, hat keine andere Wahl, als seine Arbeitszeit zu reduzieren“, sagte die Ökonomin.

Als ähnlich unzureichend bewertete Schnitzer die Lage der Arbeitnehmer hinsichtlich der Pflege Familienangehöriger. „Es gibt keine Pflegeunterstützung, die nicht dafür sorgt, dass man sich massiv einschränken muss in seiner Arbeitsleistung“, kritisierte sie.

Eine wie von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Frühjahr geforderte Abschaffung der Teilzeit hält Schnitzer in diesem Zusammenhang für „völlig unrealistisch“. Schnitzer kritisierte: „Wir haben ein System, bei dem wir Teilzeit massiv fördern. Zementiert wird es durch das Ehegatten-Splitting, an dessen Reform sich niemand traut“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Um das Kita-System zu stärken, brauche es mehr Geld und Personal, so Schnitzer. „Mit einer verlässlicheren Betreuung könnte man viel zusätzliche Arbeitszeit gewinnen. Hochqualifizierte Kinderbetreuung ist zudem extrem wichtig für die Integration.“

Auch in den Unternehmen brauche es demnach ein Umdenken, sagte die Mutter dreier Töchter. „Es kann nicht sein, dass junge Väter schief angeschaut werden, wenn sie nur noch 80 Prozent arbeiten wollen, damit sie es der Mutter ebenfalls ermöglichen, 80 Prozent zu arbeiten.“

Um den Betrieb der Kitas trotz dünner Personaldecke aufrechtzuerhalten, werden einer bundesweiten Studie zufolge, die Anfang Dezember veröffentlicht wurde, zunehmend Menschen ohne formale pädagogische Voraussetzungen in den Kindertagesstätten eingestellt. 

Zugleich sinkt der Anteil der Fachkräfte, die mindestens über eine Qualifikation als Erzieherin oder als Erzieher verfügen, wie aus dem „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. 

Unter den pädagogisch Tätigen pro Kita empfiehlt die Arbeitsgruppe Frühe Bildung von Bund und Ländern perspektivisch eine Fachkraftquote von 85 Prozent pro Kita-Team, heißt es bei der Bertelsmann Stiftung. Der Anteil pro Kita-Team sei aber im Schnitt von 75,8 Prozent (2017) auf 72,5 Prozent gesunken. (lem)

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