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Nicht nur mehr Panzer wie dieser Leopard 2 A7V fehlen der Bundeswehr.

© dpa/Philipp Schulze

Mehr Schulden für mehr Sicherheit: Diese Möglichkeiten hat Merz, das Grundgesetz zu ändern

Es geht viel durcheinander in der Debatte um eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues „Sondervermögen“ für die Bundeswehr. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Stand:

Schon im Wahlkampf hielt sich Friedrich Merz ein Hintertürchen offen, wenn er auf eine Reform der Schuldenbremse oder den großen Finanzbedarf für Sicherheit und Verteidigung angesprochen wurde. Die Betonung lag aber stets darauf, der Staat verfüge über genug Geld, habe bisher nur falsche Prioritäten gesetzt.

Am Tag nach der Bundestagswahl dann das indirekte Eingeständnis: Der Bedarf übersteigt das Sparpotenzial bei Weitem, weshalb Merz mit SPD und Grünen in Gespräche über eine mögliche Verfassungsänderung eingestiegen ist – eventuell noch bevor der neue Bundestag zusammentritt. Wir erklären, worum es geht.

1 Wie groß ist der Finanzbedarf der Bundeswehr?

Am Morgen des 24. Februar 2022, als Russland den großangelegten Überfall auf die Ukraine startete, schockte der deutsche General Alfons Mais die Öffentlichkeit mit seiner Analyse, dass die Bundeswehr in der neuen Bedrohungslage „mehr oder weniger blank“ dastehe. Seither ist einiges passiert – so genehmigte der Bundestag im Sommer desselben Jahres zusätzliche Schulden in Höhe von 100 Milliarden Euro, um die Truppe mit neuem Gerät auszustatten.

Ein Großteil ist bereits in Rüstungsverträgen gebunden – für neue Kampfjets, Hubschrauber, Abwehrraketen oder Panzer. Das sogenannte „Sondervermögen“ garantiert auch, dass bis 2027 das aktuelle Nato-Ziel eingehalten wird, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben.

Unmittelbar nach der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen „Zeitenwende“ hatte seine Parteifreundin Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestages, den Gesamtinvestitionsbedarf bereits auf 300 Milliarden Euro taxiert. Aus der Differenz ergibt sich auch die Größenordnung, über die in Berlin derzeit gesprochen wird.

„Wir schätzen den zusätzlichen Investitionsbedarf für die Truppe in den nächsten Jahren auf rund 200 Milliarden Euro“, so der CDU-Wehrexperte Markus Grübel, der von 2013 bis 2018 parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium war, gegenüber dem Tagesspiegel.

„Die Bundeswehr braucht mindestens 100 weitere Panzer, bei der Abwehr von Drohnen wie bei eigenen ist sie völlig blank, es braucht neue Fregatten für die Marine, mehr als drei Ersatzbataillone und neue Kapazitäten für den strategischen Lufttransport, den bisher die Amerikaner für uns leisten.“ 

2 Was hat die große Eile mit Trump zu tun?

Seit mehr als einem Jahr weisen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer daraufhin, das weiter aufrüstende Russland könne von 2029 an in der Lage sein, ein Nato-Land anzugreifen. Diese Jahreszahl gilt den deutschen Militärplanern seither als Zielmarke für die volle Einsatzbereitschaft der Truppe.

US-Präsident Donald Trump hat das weitere Nato-Engagement der Amerikaner mindestens indirekt in Frage gestellt.

© dpa/Michael Kappeler

Die jüngsten transatlantischen Absetzbewegungen des neuen US-Präsidenten Donald Trump haben nun die Befürchtung genährt, dass Europa mit weniger oder gar keinem amerikanischen Schutz noch schneller ins Visier Moskau geraten könnte.

Militärische Fähigkeiten, die bisher die US-Armee ihren Nato-Partnern zur Verfügung stellt, müssten zusätzlich organisiert werden.

3 Warum hält sich der alte Bundestag noch bereit?

Hinzu kommt das Ergebnis der Bundestagswahl. Im neuen Parlament verfügen AfD und Linkspartei zusammen über eine Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Sitze, mit der sie eine nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit mögliche Grundgesetzänderung gemeinsam verhindern können.

Die AfD lehnt eine Aufweichung der Schuldenbremse ab, will laut ihrem Wahlprogramm zufolge die öffentliche Verschuldung insgesamt abbauen und sieht auch keine Bedrohung durch Russland.

Die Linke sieht in höheren Rüstungs- und Verteidigungsausgaben keine Abschreckung, sondern eine höhere Eskalationsgefahr, wie ihrem Wahlprogramm zu entnehmen ist: „Mit der ,Zeitenwende’-Aufrüstung und dem Ziel der ,Kriegstüchtigkeit’ werden Kriege erleichtert.“ Grundsätzlich befürwortet sie jedoch eine Lockerung oder Abschaffung der Schuldenbremse für höhere Sozialausgaben.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine schnelle Reform der Schuldenbremse für unwahrscheinlich und favorisiert ein neues „Sondervermögen“.

© IMAGO//Florian Gaertner

Gespräche darüber verbieten sich jedoch aktuell für die Union, da sie wie mit der AfD eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei für sich selbst ausgeschlossen hat – mit dem sogenannten „Unvereinbarkeitsbeschluss“ von 2018. Das hält Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther zwar für überholt.

Für seinen Parteichef Merz ist es dennoch ein Grund dafür, warum er sich noch vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags Ende März mit den Mehrheiten des alten etwas vorstellen kann. In der Fraktionssitzung am Dienstag wurde den Unionsabgeordneten daher ein altes Zitat des früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert zu einer möglichen Sondersitzung, damals in den Sommerferien, mitgegeben: „Schwimmen Sie nicht zu weit raus.“

4 Was spricht für eine Reform der Schuldenbremse? Und was dagegen?

SPD und Grüne plädieren angesichts des großen Nachholbedarfs auch bei der Infrastruktur schon lange für eine Investitionsregel im Rahmen der seit 2011 geltenden Schuldenbremse. Den Reformbedarf sehen auch viele Wirtschaftsinstitute.

Auf eine plakative Formel brachte das vor einem Monat Armin Papperger, der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns Rheinmetall. „Wenn ich Politiker wäre, würde ich heute ein 800-Milliarden-Programm auflegen“, sagte er dem „Spiegel“: „200 Milliarden Euro für Sicherheit, 200 für Bildung, 200 für Infrastruktur und 200 für Digitalisierung.“ Sonst komme Deutschland „aus der Misere nicht raus“.

Eine Reform ist nur in dem Sinne denkbar, dass Investitionen im Verteidigungsbereich von den Regeln für die Kreditaufnahme ausgenommen werden.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Markus Grübel

In der Union wird intern ebenfalls seit dem vergangenen Frühjahr über eine Reform diskutiert. Während sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) für weitergehende Änderungen starkmachte, konzentrierte sich die Debatte jedoch darauf, den Bundesländern dieselben Regeln zuzugestehen wie dem Bund.

Der darf auch außerhalb von Pandemien oder anderen Katastrophen 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an neuen Krediten aufnehmen, in diesem Jahr etwa 50 Milliarden Euro. Den Ländern ist das untersagt, weil sie es bei der Einführung der Schuldenregel noch für unnötig gehalten hatten.

Der Argwohn gegenüber einem schnellen großen Wurf bleibt jedoch groß in der Unionsführung. Trotz am Montag signalisierter Gesprächsbereitschaft schloss Merz am Dienstag eine Reform „in der naheliegenden Zukunft“ aus, da das Vorhaben, „wenn es überhaupt stattfindet, eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit“ sei.

„Wir als Union sind skeptisch, die Schuldenbremse insgesamt aufzuweichen, weil zu befürchten wäre, dass dann alle Dämme brechen und gerade wir mit unserer Demografie unseren Kindern und Enkeln schwere Lasten aufbürden“, sagte der CDU-Politiker Grübel dem Tagesspiegel.

„Eine Reform ist nur in dem Sinne denkbar, dass Investitionen im Verteidigungsbereich von den Regeln für die Kreditaufnahme ausgenommen werden.“ Ganz vom Tisch ist sie also noch nicht – es fänden derzeit auf allen Ebenen, auch mit den Ländern statt, heißt es in CDU-Kreisen.

5 Warum ist ein „Sondervermögen“ gerade die wahrscheinlichste Variante?

Schon 2022 wurden mehr Schulden für mehr Sicherheit über ein „Sondervermögen“ beschlossen, weil neben der Union auch die Ampelregierungspartei FDP nicht an die Schuldenbremse heranwollte. „Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten“, heißt es seither in Artikel 87a des Grundgesetzes.

Hier müsste theoretisch nur eine neue Zahl eingefügt werden. „Ein neues Sondervermögen wäre die minimalinvasive Lösung“, so CDU-Mann Grübel, „und zudem strikt zweckgebunden.“

Dass Merz auch diese Möglichkeit am Dienstag „im Augenblick als schwierig“ bezeichnete, liegt nicht an der eigenen Ablehnung. Vielmehr strebt der mögliche Koalitionspartner SPD eine größere Lösung auch für Bildung und Infrastruktur an.

Er soll in weiteren Gesprächen damit überzeugt werden, dass auch weitere Sonderschulden die Sparzwänge der neuen Regierung deutlich verringern.

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